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Wirtschaftsgeographie

I. Begriff: 1. Definition: Nach heute vorherrschender Lehrmeinung läßt sich Wirtschaftsgeographie definieren als die Wissenschaft von der räumlichen Ordnung und der räumlichen Organisation der Wirtschaft. Ihr Objekt sind ökonomische Raumsysteme unterschiedlicher Maßstabsgröße. Ein ökonomisches Raumsystem besteht aus drei Systemelementen: (1) Der Verteilung ökonomischer Aktivitäten (Produktion, Konsum) innerhalb eines Raumsystems auf Standorte (Standortstruktur) bzw. Regionen (Regionalstruktur); (2) der Bewegung von mobilen Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, technisches Wissen), Gütern und Dienstleistungen zwischen den Standorten bzw. Regionen (Interaktion); (3) der Dynamik eines Raumsystems als Folge der Veränderung standort- bzw. regionsinterner Wachstumsdeterminanten sowie der Wirkung räumlicher Interaktionen (Prozeß). - 2. Gliederungsmöglichkeiten: Es ist Aufgabe der W., Beiträge zur Erklärung, Beschreibung und Gestaltung ökonomischer Raumsysteme zu leisten. Demzufolge wird das Fach in Raumwirtschaftstheorie, empirische Raumwirtschaftsforschung und Raumwirtschaftspolitik gegliedert. - Der Theoriebildung kommt, entgegen der ebenfalls vertretenen Lehrmeinung, daß die Wirtschaftsgeographie eine vorwiegend empirische Wissenschaft sei, eine wachsende Bedeutung zu. Vor allem in der jüngeren angelsächsischen Literatur wird Theorien und Modellen für die Lösung geographischer Fragestellungen besondere Beachtung geschenkt. Durch ihre bewußte Beschränkung auf wesentliche, den räumlichen Differenzierungsprozeß bestimmende Faktoren und durch die Möglichkeit, Modellvariablen kontrolliert verändern zu können, leisten sie einen entscheidenden Beitrag, den Wirkungsmechanismus und die Dynamik ökonomischer Systeme zu erklären. - Theoretische, empirische und normative Fragestellungen behandelt die Wirtschaftsgeographie auf allen wichtigen lebensräumlichen Größenmaßstäben (z. B. auf globaler, kontinentaler, nationaler, lokaler Ebene). Dies führt zu einer Unterteilung in Weltwirtschaftsgeographie, Wirtschaftsgeographie der Entwicklungsländer, Wirtschaftsgeographie der Europäischen Union, Wirtschaftsgeographie einzelner Länder bzw. Regionen. Schließlich läßt sich das Fach sektoral gliedern in eine Geographie des primären Sektors (Agrargeographie), des sekundären Sektors (Industriegeographie) sowie des tertiären und quartären Sektors (Dienstleistungs-, Verkehrs-, Fremdenverkehrsgeographie u.s.w.). Innerhalb der einzelnen Produktionssektoren lassen sich dann theoretische, empirische und regionalpolitische Aspekte abhandeln.
II. Entwicklungstendenzen in Deutschland: 1. Entwicklungstendenzen im 19. Jh.: Im Zuge von Industrialisierung, Kolonisation und Ausdehnung des Welthandels verstärkte sich im 19. Jh. das Interesse der Öffentlichkeit an geographischen Fragestellungen und des Staats an Ergebnissen der geographischen Wissenschaft. Dies führte ab 1871 zur Institutionalisierung der Geographie an Universitäten und Handelshochschulen. Die Wirtschaftsgeographie zur damaligen Zeit sah ihre Hauptaufgabe in der Erarbeitung und Bereitstellung von geographischem Grundlagenwissen für Wirtschaft und Gesellschaft. Dementsprechend kam es zur Herausbildung einer Produktenkunde, einer Welthandelsgeographie und einer mehr statistisch ausgerichteten Wirtschaftskunde. Hauptinhalte dieser Unterdisziplinen waren die Ermittlung von Fakten über die Verbreitung einzelner landwirtschaftlicher und bergbaulicher Rohstoffe sowie über Austauschbeziehungen von Welthandelsgütern. Sie war zudem geprägt von der in der Geographie vorherrschenden naturdeterministischen Position; d. h. die Entwicklung und räumliche Verbreitung der Wirtschaft, einzelner Wirtschaftszweige und Produkte wurde in Abhängigkeit von den natürlichen Bedingungen (Relief, Boden, Klima etc.) betrachtet. - 2. Entwicklungstendenzen im 20. Jh.: a) Entwicklungstendenzen bis Mitte des 20. Jh.: Anfang des 20. Jh. dominierte das Landschaftskonzept und die Länderkunde die Geographie. Die Wirtschaftsgeographie konzentrierte sich auf die Beschreibung von Wirtschaftslandschaften und individuellen Wirtschaftsräumen sowie auf länderkundliche Darstellungen. Dabei verengte sie ihr Forschungsfeld auf in der Landschaft sichtbare Bauelemente der Wirtschaft unter Betonung der Abhängigkeit des menschlichen Handelns von natürlichen Faktoren. Themenstellung (Produktenkunde, Verbreitungslehre) und Betrachtungsweise (Naturdeterminismus, Landschaftskunde) behinderten eine eigenständige Entwicklung der Wirtschaftsgeographie bis Mitte des 20. Jh. Allerdings entstanden zwischen den Weltkriegen einige wichtige Forschungsarbeiten, die einen Beitrag leisteten, die Wirtschaftsgeographie aus dieser Subordination in eine naturwissenschaftlich und landschaftskundlich ausgerichtete Geographie herauszuführen. Hierzu gehören der Versuch, den Naturdeterminismus zu überwinden, indem Naturbedingungen und Distanzen als betriebswirtschaftliche Kosten behandelt werden oder die Erweiterung des Landschaftsbegriffs um nicht physiognomisch faßbare Elemente (Kraus 1933) sowie die zunächst noch punktuelle Hinwendung zu modelltheoretischen Fragestellungen. Beispielsweise haben Obst (1926) und Waibel (1933) die Theorie der Landnutzung von v. Thünen empirisch überprüft. Ebenfalls 1933 legte Christaller seine Theorie der zentralen Orte vor, die aber erst ein Vierteljahrhundert später und zunächst im Ausland große Beachtung fand. - b) Entwicklungstendenzen nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Nachkriegsentwicklung der Wirtschaftsgeographie in der Bundesrep. D. läßt sich durch drei Entwicklungstendenzen charakterisieren. Erstens, die zunehmende theoretische Durchdringung und Fundierung von Forschung und Lehre, wobei auch die Erkenntnisse der Nachbarwissenschaften, insbes. der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Berücksichtigung finden. Zweitens, der zunehmende Einsatz quantitativer Methoden in der empirischen Forschung. Drittens, die zunehmende Anwendungs- und Handlungsorientierung einschließlich einer verstärkten normativen Betrachtung der Raumentwicklung.
III. Raumwirtschaftstheorie: 1. Begriff: Zur Erklärung von räumlichen Strukturen, Interaktionen und Prozessen stehen drei Theoriekomplexe zur Verfügung, die zunächst unverbunden erscheinen und unabhängig voneinander entstanden: die Standorttheorien, die räumlichen Mobilitätstheorien und die regionalen Wachstums- und Entwicklungstheorien. Innerhalb dieser Theoriekomplexe diskutiert die Wirtschaftsgeographie ein breitgefächertes Spektrum sehr unterschiedlicher Ansätze, das von deduktiven über verhaltenswissenschaftliche bis zu dynamischen Theorien reicht. - 2. Standorttheorien: Sie befassen sich mit einzelwirtschaflichen und gesamtwirtschaftlichen Lokalisationsproblemen. - a) Einzelwirtschaftliche Betrachtung: (1) Deduktive Theorien ermitteln den optimalen Standort für einen zusätzlichen Einzelbetrieb der Landwirtschaft, der Industrie oder des Dienstleistungsgewerbes. Den größten Bekanntheitsgrad erlangte die Industriestandorttheorie von Alfred Weber (1909). Ausgehend von vereinfachenden Annahmen (z. B. die Standorte der Rohmaterialien und des Konsums sind bekannt und gegeben, Homogenität des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Systems) beeinflussen drei Standortfaktoren, die Transportkosten, die Arbeitskosten und Agglomerationswirkungen, die Standortwahl eines Industriebetriebs. In drei sukzessiven Schritten bestimmt Weber zunächst den Standort minimaler Transportkosten und untersucht dann Deviationen von diesem Transportkostenminimalpunkt aufgrund der Einflußgrößen Arbeitskosten und Agglomerationsvorteile. Andreas Predöhl (1925) und Walter Isard (1956) gelang es mit Hilfe des Substitutionsprinzips die Industriestandorttheorie mit der allgemeinen Wirtschaftstheorie zu verknüpfen. David M. Smith (1966) konnte durch Modifikation und Erweiterung der Theorie Webers (Einführung realitätsnäherer Annahmen, Berücksichtigung der Erlöse) ihre Anwendbarkeit bei der Lösung industriegeographischer Fragestellungen verbessern. (2) Den deduktiven Industriestandorttheorien stellt Allen Pred (1967) einen verhaltenswissenschaftlichen Erklärungsansatz gegenüber. Er betont, daß Unterschiede im Informationsstand und in der Fähigkeit wahrgenommene Informationen zu nutzen ebenso wie subjektive Wertvorstellungen, persönliche Präferenzen oder der Zufall die Standortentscheidungen der Unternehmen beeinflussen. Häufig sind nicht wirtschaftlich optimale, sondern suboptimale Lösungen das Ergebnis der Standortwahl. (3) Dynamische Standorttheorien beschäftigen sich mit Veränderungen der Standortanforderungen und des optimalen Standorts von Betrieben im Zuge des ökonomischen Strukturwandels. Nach der Produktzyklus-Hypothese besitzen viele Produkte nur eine begrenzte Lebensdauer und durchlaufen einen mehrphasigen Lebenszyklus. Beim Übergang von der Entwicklungs- und Einführungsphase, über die Wachstums-, die Reife- bis zur Schrumpfungsphase verändern sich die Produktions- und Absatzbedingungen. Die Entwicklung eines neuen Produkts ist gekennzeichnet durch einen hohen Bedarf an Humankapital bzw. F&E-Investitionen. Sie erfolgt vornehmlich in urban-industriellen Zentren, da diese ein größeres Innovationspotential besitzen und leichter auf qualifizierte Arbeitskräfte und Risikokapital zurückgegriffen werden kann. Einhergehend mit der zunehmenden Standardisierung des Herstellungsverfahrens, der steigenden Sachkapitalintensität und dem sich verschärfenden Qualitäts- und Preiswettbewerb ändern sich auch die Anforderungen an den Standort. Sie machen eine funktionale Standortspaltung notwendig oder führen zu Zweigbetriebsgründungen im Hinterland des Zentrums, in peripher gelegenen Standorten innerhalb nationaler Grenzen oder in Niedriglohnländern. Daraus wird deutlich, daß phasenspezifische Standortanforderungen der Güterherstellung bestehen und sich folglich im Laufe des Lebenszyklus eines Produkts der betriebswirtschaftlich optimale Produktionsstandort verschiebt und zwar in der Regel von den urbanindustriellen Zentren in Richtung auf die Peripherie. - b) Gesamtwirtschaftliche Betrachtung: (1) Begriff: Hierbei wird nicht nach dem Standort eines Einzelbetriebs gefragt, sondern nach der optimalen räumlichen Verteilung aller ökonomischen Aktivitäten eines Sektors oder der gesamten Volkswirtschaft. (2) Theorien: (a) Deduktive Standortsstrukturmodelle: Für den primären, sekundären und tertiären Sektor haben v. Thünen, Lösch und Christaller Modelle der optimalen räumlichen Ordnung erstellt. Diesen deduktiven Standortstrukturmodellen liegen vereinfachende Annahmen zugrunde, z. B. bzgl. der Ausstattung des Raumes (Homogenität), der Verhaltensweisen der Anbieter und Nachfrager (Gewinnmaximierung, Nutzenmaximierung) sowie der Marktform (Polypol). Bei den gegebenen Prämissen bestimmen ökonomische Gesetzmäßigkeiten den räumlichen Differenzierungsprozeß. (b) Die Theorie der Landnutzung von Johann Heinrich von Thünen (1875) erklärt, daß sich in einem isolierten Staat mit einer dominierenden Stadt eine räumliche Struktur der Bodennutzung in konzentrischen Ringen herausbildet. (c) Die Theorie der zentralen Orte von Walter Christaller (1933) begründet die hierarchische Ordnung von Handels- und Dienstleistungsbetrieben im Raum und die Hierarchie des Städtesystems. (d) Darauf aufbauend entwickelt August Lösch (1940) in seiner Theorie der Marktnetze ein Idealbild einer Wirtschaftslandschaft, das in einem komplexen System von Marktnetzen die Verteilung der Produktionsstandorte und die räumliche Produktionsspezialisierung abbildet. (e) Diese sektoralen Systeme haben u. a. Walter Isard (1956) und Edwin von Böventer (1962) in Richtung auf eine gesamtwirtschaftliche Theorie des räumlichen Gleichgewichts weiterentwickelt. - 3. Räumliche Mobilitätstheorien: a) Begriff: Sie befassen sich mit Ursachen und Wirkungen der räumlichen Mobilität von einzelnen Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, technisches Wissen) sowie von Gütern und Dienstleistungen. Wichtige Anregungen erhielt die Wirtschaftsgeographie von den Nachbarwissenschaften, z. B. Beiträge der Sozialwissenschaften zur Wanderungstheorie und der Wirtschaftswissenschaften zur Theorie der Kapitalmobilität und zur Außenwirtschaftstheorie. - b) Theorien: Modifikationen dieser Ansätze durch die Wirtschaftsgeographie zielen in der Regel in Richtung auf eine stärkere Berücksichtigung von außerökonomischen Mobilitätsmotiven und von räumlichen Mobilitätshemmnissen. Originäre Beiträge leistete die Wirtschaftsgeographie auf dem Gebiet der Diffusionsforschung (Torsten Hägerstrand 1966). Drei Muster des räumlichen Ausbreitungsprozesses von Innovationen werden unterschieden. Beim Nachbarschaftseffekt breitet sich die Neuerung vom Innovationszentrum in konzentrischen Kreisen auf das Hinterland aus. Beim Hierarchieeffekt vollzieht sich die Ausbreitung der Innovation sprunghaft und folgt dem hierarchischen System der zentralen Orte. Eine Neuerung kann sich jedoch auch entlang der vom Innovationszentrum zentrifugal ausgehenden Kommunikationslinien ausbreiten; das räumliche Diffusionsmuster nimmt dann die Form von Speichen eines Rades an. Zentrale Aussagen der Mobilitätstheorien, insbes. hinsichtlich der Wirkungen von Mobilitätsvorgängen auf die regionale Wirtschaftsentwicklung beinhalten die Ausführungen zu den regionalen Wachstums- und Entwicklungstheorien. - 4. Regionale Wachstums- und Entwicklungstheorien: a) Zielsetzungen: Ihr Ziel ist die Erklärung der sozioökonomischen Entwicklung einer einzelnen Region vor allem aber der interregionalen Unterschiede im Entwicklungsstand und in der Dynamik der Regionalstruktur aller Regionen eines Raumsystems. - b) Theorien zur Entwicklung einer einzelnen Region. (1) Nach der Exportbasis-Theorie hängt das Wirtschaftswachstum einer Region entscheidend von der Entwicklung ihres Exportsektors ab, d. h. von der außerregionalen Nachfrageexpansion. Dieser basic Sektor bildet die ökonomische Grundlage und bestimmt die Einkommensentwicklung einer Region. Ein Teil des Exporteinkommens wird für lokale Güter und Dienstleistungen ausgegeben, erhöht die Produktion und das Einkommen im nonbasic Sektor und setzt einen intraregionalen Multiplikatorprozeß in Gang. (2) Im Gegensatz hierzu argumentieren die Theorien der endogenen Entwicklung, daß die sozioökonomische Entwicklung einer Region maßgeblich von Ausmaß und Nutzung der intraregional vorhandenen Potentiale abhängt. Die Aktivierung endogener Entwicklungspotentiale soll erreicht werden durch Überwindung bestehender Engpässe der intraregionalen Entwicklung, durch Nutzung regionsspezifischer Fähigkeiten und Begabungen sowie durch Initiierung intraregionaler Kreisläufe. - c) Theorien zur zeitlichen Veränderung von Raumsystemen: (1) Begriff: Theorien, die sich mit der zeitlichen Veränderung von Raumsystemen (Zwei-Regionen-Modelle, Mehr-Regionen-Modelle) befassen, erwarten - abhängig vom jeweils vertretenen Ansatz - eine interregionale Angleichung des Pro-Kopf-Einkommens, eine zunehmende Verschärfung der regionalen Ungleichgewichte, eine Trendwende des räumlichen Polarisationsprozesses, eine evolutionäre oder eine zyklische Regionalentwicklung. (2) Die regionalen Wachstumstheorien der Neoklassik gehen von einer Reihe vereinfachender Annahmen aus, z. B. von polypolistischen Marktstrukturen, Vollbeschäftigung, freier interregionaler Mobilität der Produktionsfaktoren, vergleichbarer Ausstattung der einzelnen Regionen mit internen Wachstumsdeterminanten. Daraus wird die Grundhypothese der neoklassischen Doktrin abgeleitet, die besagt, daß jede Störung eines in der Ausgangssituation bestehenden Gleichgewichts als Reaktion Gegenkräfte hervorruft, die in Richtung auf ein neues Gleichgewicht des Systems tendieren, d. h. daß der Marktmechanismus zu einer Angleichung regionaler Unterschiede z. B. des Pro-Kopf-Einkommens beiträgt. Interregionale Unterschiede der Faktorentgelte (Löhne, Gewinne) werden durch Faktorwanderungen, aber auch durch Handel (Faktorpreisausgleichstheorem) angeglichen. Neoklassische Theorien werden zur Erklärung der regionalen Ausgleichsprozesse in Industrieländern herangezogen. (3) Als kritische Reaktion auf diese deduktiv abgeleiteten Gleichgewichtstheorien wurden polarisationstheoretische Ansätze erstellt. Sie betonen die Existenz z. B. oligopolistischer und monopolistischer Marktstrukturen, partiell immobile Produktionsfaktoren und strukturelle Unterschiede in der Ausstattung der Regionen mit internen Wachstumsdeterminanten. Die Grundhypothese der Polarisationstheorien besagt, daß aufgetretene regionale Ungleichgewichte unter marktwirtschaftlichen Bedingungen zirkulär verursachte kumulative Wachstums- bzw. Schrumpfungsprozesse in Gang setzen, die zu einer Verschärfung der Ungleichgewichte führen (Gunnar Myrdal 1957). Das Ausmaß der interregionalen und internationalen Disparitäten, z. B. im Pro-Kopf-Einkommen, ist abhängig von der Art und Intensität der durch das wirtschaftliche Wachstum der Zentren ausgelösten zentripetalen Entzugseffekte (backwash effects) und der zentrifugal wirkenden Ausbreitungseffekte (spread effects). (4) Weiterentwicklungen des polarisationstheoretischen Ansatzes stellen die Wachstumspolkonzepte und die Zentrum-Peripherie-Modelle dar. Das ursprüngliche Konzept der sektoralen Wachstumspole (François Perroux 1964) haben u. a. Jacques-Raoul Boudeville (1966) und José Ramón Lasuén (1969) auf sektoral/regionale Wachstumspole erweitert. Wachstumspolkonzepte dienen vorrangig der Erklärung der räumlichen Konzentration von motorischen Einheiten in Industrieländern. Zentrum-Peripherie-Modelle gehen aus von fundamentalen Strukturunterschieden zwischen den Regionen in Verbindung mit asymmetrisch wirkenden interregionalen Interaktionen; dies führt zu Autoritäts-Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Zentrum (Metropole) und Peripherie. Diese Modelle leisten einen Beitrag zum Verständnis sowohl der Metropolisierungsprozesse innerhalb der Entwicklungsländer als auch der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern. (5) Die Polarization-reversal-Hypothese von Harry Wirtschaftsgeographie Richardson (1980) behandelt explizit die Veränderung der Raumstruktur in Entwicklungsländern; sie verknüpft Erkenntnisse der Polarisationstheorie und der Neoklassik. Danach durchläuft der langfristige räumliche Entwicklungsprozeß eine Phase zunehmender Polarisation (polarisationstheoretische Argumentation), erreicht einen Wendepunkt (polarization reversal), und im weiteren Verlauf verstärken sich Kräfte, die zunächst zu einer intraregionalen und später zu einer interregionalen Dezentralisierung führen (neoklassische Argumentation). (6) Die Wirtschaftsstufentheorien beschreiben die langfristige Entwicklung der Wirtschaft unter Berücksichtigung der Interdependenz ökonomischer, demographischer, sozialer und politischer Einflußgrößen. Sie haben eine lange Tradition, die bis in die Antike zurückreicht. Die verschiedenen historisch-deskriptiven Betrachtungen verbindet eine einheitliche Grundaussage, nach der sich die Aufeinanderfolge der Wirtschaftsstufen (von Ländern bzw. Raumsystemen) in Richtung auf eine evolutionäre Höherentwicklung vollzieht. Walt Wirtschaftsgeographie Rostow (1960) unterteilt den historischen Ablauf des wirtschaftlichen Wachstums einer Nation in traditionelle Gesellschaft, Gesellschaft im Übergang, wirtschaftlicher Aufstieg (take-off), Entwicklung zur Reife, Zeitalter des Massenkonsums. John Friedmann (1966) unterscheidet in präindustrielle, transitionale, industrielle und postindustrielle Wirtschaftsstufen. Für jede dieser Stufen erwartet er eine charakteristische, stufenspezifische Raumstruktur. (7) Die Theorie der "langen Wellen" geht auf Nikolai Kondratieff (1926) und Joseph A. Schumpeter (1939) zurück. Danach entwickelt sich die Weltwirtschaft in langen (sog. Kondratieff-)Zyklen. Den Motor des Wirtschaftsaufschwungs stellen Basisinnovationen dar. Diese Basisinnovationen lösen lange Wellen aus; sie treten in zyklischen Abständen gehäuft auf und konzentrieren sich räumlich. Der Abschwung tritt ein, wenn sich die Innovationskraft der neuen Technologie erschöpft. Für die Wirtschaftsgeographie sind zwei Aussagen von Bedeutung. Erstens, es konzentrieren sich, nach heutigem Kenntnisstand, bei jeder langen Welle zunächst die ökonomischen Aktivitäten auf ein bzw. wenige räumliche Zentren; im Verlauf eines einzelnen Kondratieff-Zyklus' entstehen dann weltweit eine zyklen-spezifische industrielle Standortstruktur sowie eine charakteristische Vernetzung der Standorte über die Güter- und Faktormärkte. Zweitens, jede neue lange Welle hat ein eigenes räumliches Zentrum gebildet; der räumliche Kristallisationskern einer neuen langen Welle lag in der Regel fernab von jenem des alten Zentrums. Die Theorie der langen Wellen trägt zum Verständnis von großräumigen (globalen, kontinentalen) Verlagerungen des Schwerpunkts ökonomischer Aktivitäten bei. In Verbindung mit der Produktzyklus-Hypothese leistet sie auch Beiträge zur Erklärung regionaler Wachstumszyklen. - d) Neuere Ansätze zur Erklärung der Dynamik und Kreativität von Regionen: (1) Übergang vom Fordismus zum Postfordismus: Seit Anfang der 80er Jahre führen die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eine kontroverse Debatte über die Ursachen und Wirkungen tiefgreifender technologischer Veränderungen in der Verarbeitenden Industrie, insbesondere im Bereich der Produktions- und Arbeitsorganisation. Die Schlagworte dieser Diskussion lauten: Übergang vom Fordismus zum Postfordismus, Schwerpunktverschiebung von der Massenproduktion zur flexiblen Produktion. - (a) Als Fordismus wird die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführte industrielle Massenfertigung bezeichnet, die z. B. Henry Ford in der amerikanischen Automobilproduktion perfektionierte. Charakteristische Merkmale waren im Bereich der Produktionsorganisation die Massenfertigung homogener Produkte mit dem Ziel, durch "economies of scale" die Stückkosten zu senken, die umfassende Mechanisierung des Produktionsprozesses (z. B. Fließbandfertigung) sowie große Lagerbestände. Die Arbeitsorganisation kennzeichneten hierarchische Organisationsstrukturen, starke Spezialisierung der Tätigkeiten, Gleichförmigkeit der Arbeitsschritte und geringe individuelle Verantwortung. Die raumwirtschaftlichen Folgen waren ein regionaler Konzentrationsprozeß durch große Fabrikkomplexe, die weltweite Beschaffung von Rohstoffen und Halbfabrikaten sowie die Verlagerung der Fertigung von Massengütern in Regionen und Ländern mit niedrigen Lohnkosten. - (b) Sich schnell verändernde Kundenwünsche, steigende Produktvielfalt und immer kürzere Produktlebenszyklen bewirken eine Schwerpunktverschiebung von der (fordistischen) Massenproduktion zu einer (postfordistischen) flexiblen Produktion und Spezialisierung. Charakteristische Merkmale des Postfordismus sind im Bereich der Produktionsorganisation Kleinserienfertigung innovativer Produkte mittels flexibler Produktionstechnologien, geringer Fertigungstiefe und kleine Lagerbestände. Die Unternehmen streben "economies of scope" an, das sind Kostenvorteile, die sich durch eine flexible Organisation ergeben. Die Arbeitsorganisation kennzeichnen schlanke Hierarchien, dezentrale Koordination und Kontrolle, enge Kooperation (z. B. Gruppenarbeit) und hohe individuelle Verantwortung der Beschäftigten. Ganz entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit hochflexibler Betriebe sind leistungsfähige (betriebsinterne) Dienstleistungsabteilungen (z. B. Forschung und Entwicklung, Marketing, Finanzierung) sowie eine enge Kooperation mit (betriebsexternen) unternehmensorientierten Dienstleistungen (z. B. staatliche und private Forschungseinrichtungen, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer, Banken, Versicherungen) und Zulieferbetrieben. - (2) Globalisierungsthese versus Regionalisierungsthese. Die raumwirtschaftlichen Folgen der Gewichtsverschiebung von der Massenproduktion in Richtung auf die flexible Produktion sind weitgehend ungeklärt. Kontrovers diskutiert die Regionalwissenschaft vor allem die Frage, ob die unbestreitbar wichtiger werdende Kooperation zwischen Fertigung, betriebsinternen und betriebsexternen Dienstleistungen auch räumliche Nähe erfordert. Generalisierend läßt sich eine Globalisierungsthese und eine Regionalisierungsthese unterscheiden. - (a) Nach der Globalisierungsthese beschleunigen moderne Informations- und Kommunikationstechnologien nicht nur die Verlagerung der Produktion reifer Produkte in Regionen und Länder mit niedrigeren Fertigungskosten, sondern ermöglichen auch bei der flexiblen Produktion eine räumliche Trennung von Fertigung und Dienstleistungen. Vor allem multinationale Großunternehmen betreiben eine Globalisierungsstrategie; über konzerninterne Datenverbundsysteme (Glasfaserkabel, Satelliten) ist die Hauptverwaltung mit weltweit lokalisierten Zweigwerken, Verkaufs- und Serviceniederlassungen vernetzt. - (b) Nach der Regionalierungsthese benötigt die flexible Produktion die räumliche Nähe von Fertigung, betriebsinternen Dienstleistungen, betriebsexternen Dienstleistungen und Zulieferbetrieben. Produkt- und Prozeßinnovation erfordern betriebsintern einen kontinuierlichen, persönlichen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Fertigung, Forschung und Entwicklung, Marketing, Finanzierung sowie eine enge Kooperation von Facharbeitern und Ingenieuren "vor Ort". Betriebsextern ist die wechselseitige Erreichbarkeit von Produzenten und unternehmensorientierten Dienstleistern ("face-to-face"-Kontakte), der Zugang zu neuestem technischen Wissen der staatlichen und privaten Forschungseinrichtungen sowie eine intensivere regionale Verflechtung zwischen Produktionsbetrieben und der Zulieferindustrie ("just-in-time"-Anlieferung) von Bedeutung. Die besten Entwicklungschancen besitzen hochflexible Betriebe in einem hochflexiblen regionalen Umfeld. - (3) Theoretische Konzepte: Bezüglich der Entstehung und Wirkungsweise dynamischer, kreativer Regionen werden in der Literatur unterschiedliche Positionen bezogen. (a) Das Konzept langfristiger industrieller Wachstumspfade von Michael Storper und Richard Walker (1989) geht davon aus, daß im Kapitalismus Wachstumsindustrien die Fähigkeit besitzen, das benötigte innovative regionale Umfeld selbst zu schaffen ("industries produce regions"). Neue Wachstumsindustrien siedeln sich außerhalb bestehender Industrieregionen an. Sie besitzen bei ihren Standortentscheidungen eine große Wahlfreiheit, da ihre Wachstumsdynamik sie in die Lage versetzt, branchenspezifische Produktionsanforderungen selbst zu realisieren sowie mobile Produktionsfaktoren (z. B. Humankapital) aus anderen Regionen zu absorbieren. Allerdings entwickeln sich im Wettbewerb nur wenige der neu entstandenen Industrieregionen zu regionalen Wachstumszentren. Diese dominierenden Wachstumsregionen verschärfen das bestehende Zentrum-Peripherie-Gefälle. Langfristig können sie aber auch an Bedeutung verlieren, wenn als Folge von Produkt-, Prozeß- oder Organisationsinnovationen neue Wachstumsindustrien entstehen, die sich außerhalb der alten Industriezentren ansiedeln. - (b) Das Konzept der innovativen regionalen Milieus und Netzwerke hingegen sieht in der Existenz eines innovativen regionalen Umfelds eine wichtige Voraussetzung für Entstehung und Wachstum innovativer Unternehmen sowie für die Dynamik kreativer Regionen. Dieses Konzept entwickelt und propagiert seit Mitte der 80er Jahre vornehmlich GREMI (Groupe de Recherche Européen sur les Milieux Innovateurs). Konstitutive Merkmale eines innovativen Milieus sind: (i) Formale, informelle und soziale Netzwerke zwischen vielen regionalen Akteuren (Unternehmen, Arbeitskräften, Kunden, Institutionen). Sie ermöglichen vernetztes Handeln, fördern kollektives Lernen, führen zu Synergieeffekten und verringern Transaktionskosten. (ii) Die regionale Abgegrenztheit der Netzwerke. Entscheidend für die Innovationsdynamik ist die räumliche Nähe der Akteure. Regionale Netzwerke begünstigen die Mobilisierung des intraregionalen Humankapitals, flexible Lieferverflechtungen, eine innovationsorientierte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und zwischen Wirtschaft und Politik. (iii) Die Identifikation der Akteure mit "ihrer" Region. Dieses "Milieu-Bewußtsein" vertieft nach innen die auf Vertrauen und Reziprozität beruhende Zusammenarbeit der regionalen Akteure und stärkt nach außen das Image der Region.
IV. Empirische Raumwirtschaftsforschung: 1. Begriff: Sie stellt den Haupttätigkeitsbereich der Wirtschaftsgeographie dar. Angesichts des heterogenen Erkenntnisstands der Raumwirtschaftstheorie und der kontrovers geführten Theoriediskussion ist es eine unverzichtbare Forderung des Fachs, die vorliegenden Partialtheorien mit der Realität zu konfrontieren. - 2. Zielsetzung: Die empirische Forschung hat die Aufgabe, die deduktiven Erklärungsansätze zu überprüfen oder auf induktivem Weg zusätzliche theoretische Erkenntnisse zu gewinnen. Die empirische Erfassung, Beschreibung und Analyse räumlicher Strukturen, Interaktionen und Prozesse in der Vergangenheit und Gegenwart dienen als Grundlage für Regionalprognosen und sind eine wesentliche Voraussetzung für raumwirtschaftspolitische Entscheidungen. Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen sind somit von Bedeutung für die Theoriebildung, für die Lösung aktueller Regionalprobleme und für die Gestaltung künftiger Prozeßabläufe. - 3. Methodisches Instrumentarium: a) Begriff: Angesichts des hohen Stellenwerts der empirischen Forschung setzt die Wirtschaftsgeographie ein differenziertes Instrumentarium von Methoden der Datengewinnung und der Datenanalyse ein. - b) Was die Methoden der Datengewinnung anbetrifft, spielen in der Wirtschaftsgeographie neben der Nutzung sekundärstatistischer Daten Primärerhebungen eine große Rolle. Bei der Gewinnung von Daten durch eigene Erhebungen läßt sich eine Bedeutungsverschiebung von der Methode der Beobachtung zu Befragungen feststellen. Die Wirtschaftsgeographie orientiert sich bei der Festlegung der Befragungsformen (z. B. schriftliche oder mündliche Befragungen) und des Erhebungsumfangs (Auswahlverfahren, Stichprobenumfang) an den Erfahrungen der empirischen Sozialforschung. - c) Die Methoden der Datenanalyse, die die Wirtschaftsgeographie zur empirischen Erforschung ökonomischer Raumsysteme verwendet, sind in der Regel der angewandten Statistik entnommen und ggf. an regional-wissenschaftliche Bedürfnisse angepaßt. Das breite Spektrum reicht von Methoden der Strukturanalyse (Streuungsmaße, Konzentrationsmaße z. B. Standortquotienten, Koeffizienten der Lokalisierung und Spezialisierung), Regionalisierungsverfahren (z. B. mittels Faktoren- und Clusteranalyse), Methoden der Wachstumsanalyse (z. B. Meßzahlen, Shift-Analyse), bis zu Methoden der Wirkungsanalyse (u. a. Input-Output-, Multiplikator-, Nutzen-Kosten-Analyse). - 4. Inhaltliche Schwerpunkte: a) Gegliedert nach Maßstabsgrößen lassen sich exemplarisch einige Themenkomplexe identifizieren. Weltwirtschaftlicher Strukturwandel und Entwicklungsdisparitäten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern; Wachstumsdynamik der asiatisch-pazifischen Region und sich verschärfende Unterentwicklung in Teilen Afrikas; regional-wirtschaftliche Effekte der Systemtransformation (z. B. könnten regional unterschiedliche Transformationsgeschwindigkeiten etwa in China und Vietnam den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft gefährden); Auswirkungen des europäischen Integrationsprozesses auf die regionale Wirtschaftsentwicklung; Süd-Nord- und West-Ost-Entwicklungsgefälle in Deutschland; Stadt-Umlandbeziehung und Suburbanisierung; innerstädtische Nutzungskonflikte (Gewerbeflächenengpässe versus Gewerbebrachen). - b) Die sektoral gegliederten Teildisziplinen der Wirtschaftsgeographie besitzen eine lange Tradition in der empirischen Forschung. Diese empirischen Untersuchungen sind zunehmend theoriegeleitet bzw. anwendungs- und handlungsorientiert. (1) Ausgewählte Forschungsthemen der Agrargeographie sind beispielsweise die Auswirkungen von Nutzungskonflikten und Raumnutzungskonkurrenzen auf den Wandel der Agrarlandschaft. Die Analyse der Konkurrenz der Nutzungsansprüche zwischen der Landwirtschaft und nichtlandwirtschaftlichen Aktivitäten oder zwischen dem traditionellen und dem modernen Agrarsektor in Entwicklungsländern dienen der Erarbeitung von Vorschlägen zur Überwindung der Nutzungskonflikte. Die empirische Erforschung der Diffusion von Innovationen in der Landwirtschaft (z. B. die räumliche und zeitliche Ausbreitung von neuen Anbaufrüchten, neuen Anbautechniken, infrastrukturellen Neuerungen) leistet Beiträge zur Erklärung von Regelhaftigkeiten und zur Steuerung der Ausbreitungsprozesse. (2) In der Industriegeographie gehört die empirische Erforschung des räumlichen Industrialisierungsprozesses von Ländern bzw. Regionen unterschiedlichen Entwicklungsstandes zu den klassischen Aufgaben. Untersuchungsgegenstände sind u. a. industrielle Standortstrukturen, räumliche Verflechtungsbeziehungen, Standortentscheidungen einzelner Unternehmen, Auswirkungen von Investitionen auf Einkommen und Beschäftigung. Diese Arbeiten tragen zum besseren Verständnis des Zusammenhangs zwischen langfristiger Wirtschaftsentwicklung und dem räumlichen Differenzierungsprozeß der verarbeitenden Industrie bei. Ein aktueller Schwerpunkt sind empirische Untersuchungen der Wechselbeziehung zwischen technologischem Wandel und Regionalentwicklung. Insgesamt gesehen ist der Industriegeographie schon frühzeitig eine solide theoretische und methodische Fundierung der empirischen Forschung gelungen; zunehmend läßt sich auch eine Hinwendung zu angewandten Themen erkennen. (3) Die Dienstleistungsgeographie im weiteren Sinn bearbeitet ein sehr heterogenes Themenspektrum. Es erstreckt sich von der Zentralitätsforschung über die Verkehrs- und Fremdenverkehrsgeographie bis zur Einzelhandels-, Bürostandort- und Bildungsforschung. Exemplarisch wird die Zentralitätsforschung herausgegriffen. Sie befaßt sich u. a. mit der empirischen Überprüfung der Theorie der zentralen Orte; die empirische Forschung hat dazu beigetragen, das Zentrale Orte-Konzept in der Regionalplanung und Raumordnungspolitik einzusetzen.
V. Raumwirtschaftspolitik: 1. Begriff: Sie wird definiert als die bewußte Gestaltung ökonomischer Raumsysteme unterschiedlicher Maßstabsgröße durch den Staat bzw. durch öffentliche Institutionen. - 2. Begründung: Die Notwendigkeit der Steuerung der räumlichen Wirtschaftsentwicklung läßt sich ökonomisch und außerökonomisch begründen. a) Die ökonomische Begründung geht von der Feststellung aus, daß der marktwirtschaftliche Koordinationsmechanismus zu keiner optimalen räumlichen Allokation der Produktionsressourcen führt, mit der Folge disparitärer Standort- und Regionalstrukturen. Die mangelnde räumliche Allokationsfunktion ist Folge u. a. von Mobilitätshemmnissen und externen Effekten. b) Die Kernaussage der außerökonomischen Begründung lautet, daß selbst bei einem funktionsfähigen marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismus sich eine Standort- und Regionalstruktur ergeben kann, die eine Verwirklichung angestrebter gesellschaftlicher Ziele nicht zuläßt. Die Realisierung z. B. verteilungs-, versorgungs-, umwelt-, sicherheitspolitischer Ziele macht korrigierende Eingriffe in den marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus erforderlich. - 3. Unverzichtbare Voraussetzung für die Durchführung von Raumwirtschaftspolitik ist nach Überzeugung der Wirtschaftsgeographie eine Lageanalyse, d. h. die empirische Erfassung der raumstrukturellen Gegebenheiten und der gesamtwirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen sowie ein Theoriebezug, d. h. Kenntnisse über die Ursachen disparitärer Raumentwicklung. Die Theorie der Raumwirtschaftspolitik befaßt sich vorrangig mit Zielen, Strategien, Instrumenten und Erfolgskontrolle der Raumgestaltung. - 4. Ziele: Sie gliedern sich in Wachstums-, Stabilitäts-, Ausgleichs-, Versorgungs-, und Ökologieziele. a) Das Wachstumsziel strebt die Maximierung des Bruttosozialprodukts eines Raumsystems an; d. h. es versucht die höchstmöglichen Wachstumsraten für das Gesamtsystem und nicht für einzelne Teilgebiete (Standorte, Regionen) zu realisieren. Eine wachstumsorientierte Raumwirtschaftspolitik unterstützt die Lenkung mobiler Produktionsfaktoren in Gebiete mit den höchsten Produktionssteigerungseffekten und konzentriert dort auch die staatlichen Maßnahmen zur Mobilisierung endogener Potentiale. - b) Das Anliegen des Stabilitätsziels ist es, kurzfristige konjunkturelle und langfristige strukturelle Krisenanfälligkeiten in den einzelnen Teilgebieten eines Raumsystems zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Dort fördert eine stabilitätsorientierte Raumwirtschaftspolitik u. a. eine Diversifizierung der Branchen- und Betriebsgrößenstruktur. - c) Das Ausgleichsziel verfolgt den Abbau räumlicher Disparitäten im Wohlstand und den Erwerbsmöglichkeiten, das Versorgungsziel eine als ausreichend empfundene Versorgung aller Teilgebiete mit Gütern, Dienstleistungen und Infrastruktureinrichtungen. Eine dem Ausgleichs- und Versorgungsziel verpflichtete Raumwirtschaftspolitik versucht durch Gestaltung der Standort- und Regionalstruktur, durch Steuerung mobiler Produktionsfaktoren und durch Transferzahlungen zu einer Vereinheitlichung der Lebensbedingungen in den Teilräumen beizutragen. - d) Das Anliegen des Ökologieziels ist es, in allen Teilgebieten eines Raumsystems bereits eingetretene Umweltschäden zu beseitigen, aktuelle Umweltgefährdungen auszuschalten oder zu mindern sowie umweltrelevante Gefahren vorbeugend abzuwehren. In der Realität werden in der Regel gleichzeitig mehrere dieser Ziele verfolgt, zwischen denen harmonische oder antinomische Zielbeziehungen bestehen können. - e) Zielkonflikte ergeben sich insbesondere zwischen dem Wachstumsziel einerseits und dem Stabilitäts-, Ausgleichs-, Versorgungs- und Ökologieziel andererseits. Zwischen einer wachstumsorientierten und einer stabilitätsorientierten Raumwirtschaftspolitik treten Zielkonflikte auf, wenn beispielsweise eine in allen Teilgebieten eines Raumsystems betriebene Strategie der Diversifizierung der Betriebsgrößen- und Branchenstruktur die Realisierung optimaler Agglomerationsgrößen von Einzelbetrieben und Siedlungen verhindert. Interne und externe Ersparnisse lassen sich dann nicht voll realisieren, mit der Folge gesamtwirtschaftlicher Wachstumseinbußen. Wachstums- und Ausgleichsziele befinden sich in Antinomie, wenn in einem höher entwickelten Zentrum die Grenzproduktivität des Kapitals oder das Entwicklungspotential höher ist als in einer weniger entwickelten Peripherie. Eine wachstumsorientierte Raumwirtschaftspolitik müßte bis zur Erreichung des Agglomerationsoptimums Investitionen im Zentrum, eine ausgleichsorientierte Politik hingegen in der Peripherie fördern. Häufig läßt sich auch eine in allen Teilgebieten eines Raumsystems als ausreichend empfundene Versorgung mit öffentlichen Infrastruktureinrichtungen nicht ohne gesamtwirtschaftliche Wachstumseinbußen verwirklichen. Schließlich bestehen Zielkonflikte zwischen dem Wachstumsziel und dem Ökologieziel; dies ist der Fall, wenn eine wachstumsorientierte Regionalpolitik zu einer Verschlechterung der Umweltqualität führt. - 5. Strategien: Besteht eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der angestrebten Raumentwicklung, kann der Staat versuchen, durch den Einsatz raumwirtschaftspolitischer Strategien und Instrumente den räumlichen Differenzierungsprozeß zu beeinflussen. Bei den Strategien lassen sich strategische Grundsatzentscheidungen und raumstrukturelle Einzelstrategien unterscheiden. a) Strategische Grundsatzentscheidungen legen die langfristigen Leitlinien der Raumgestaltung fest. Aufgrund von Theoriedefiziten und unterschiedlichen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Überzeugungen wird die Strategiedebatte sehr kontrovers geführt. Die Strategiealternativen Integration versus Abkopplung und Raumentwicklung "von oben" versus "von unten" verfolgen zwar übereinstimmen das langfristige Ziel, entwicklungsschwache Regionen an das Niveau höher entwickelter Regionen heranzuführen; umstritten ist, wie dieses Ziel zu erreichen ist. Die Strategiealternativen aktive versus passive Sanierung und ausgeglichene Funktionsräume versus funktionsräumliche Arbeitsteilung diskutieren die Frage, ob aus ökonomischen oder ökologischen Gründen eine geringe wirtschaftliche Nutzung von Teilgebieten eines Raumsystems in Kauf genommen bzw. angestrebt werden soll. - 1) Integration versus Abkopplung: Hierbei geht es um die Frage, ob zur Überwindung bestehender interregionaler Disparitäten in der sozioökonomischen Entwicklung die Mobilität von Produktionsfaktoren, Gütern und Dienstleistungen gefördert oder unterbunden werden soll. Neoklassische Theorien sehen die Ursachen für die Existenz räumlicher Ungleichgewichte u. a. in einer unzureichenden interregionalen bzw. internationalen Integration. Daraus läßt sich zur Überwindung disparitärer Raumstrukturen die Empfehlung zum Abbau von Mobilitätshemmnissen mit dem Ziel der Intensivierung der Verflechtungsbeziehungen ableiten. Hierunter fallen der Ausbau eines interregionalen Kommunikations- und Infrastruktursystems, die Förderung des Handels durch den Abbau von Handelshemmnissen sowie der Transfer von Humankapital, Investitionsmitteln und technischem Wissen in periphere Regionen. Die Dependenz- und Polarisationstheorie geht davon aus, daß unter marktwirtschaftlichen Bedingungen Interaktionen zwischen Regionen mit fundamentalen Entwicklungsunterschieden räumliche Ungleichgewichte noch verstärken und in der Peripherie zu einem Ressourcenabfluß führen. Zur Abschwächung dieser Entzugseffekte wird eine temporäre und selektive Abkopplung der Peripherie von den nationalen und globalen Metropolen empfohlen, u. a. durch die zeitweilige Einführung von Handelshemmnissen, um den Aufbau eines integrierten, auf dem endogenen Entwicklunspotential der Region basierenden Binnenmarktes zu erleichtern. Die Strategie der Abkopplung erlangte im Zuge einer grundbedürfnisorientierten Entwicklungspolitik der 70er Jahre erhöhte Aufmerksamkeit. Durch die in den 80er Jahren von IWF und Weltbank propagierten Strukturanpassungsmaßnahmen, die u. a. auf eine Forcierung der Weltmarktintegration abgestellt sind, und angesichts des maßgeblich durch Exporterfolge herbeigeführten Wirtschaftswachstums in Ost- und Südostasien, wird sie heute nicht mehr ernsthaft als Alternative zur Überwindung interregionaler und internationaler Entwicklungsunterschiede erwogen. 2) Raumentwicklung "von oben" versus "von unten": Die Strategie "von oben" empfiehlt, daß eine zentrale Behörde für das gesamte Raumsystem die politische Entscheidung über die Raumentwicklung trifft, d.h. die Ziele festlegt, über den Instrumenteneinsatz befindet und die Durchführung der Maßnahmen kontrolliert. Die Strategie "von unten" fordert hingegen eine Dezentralisierung von Aufgaben, Entscheidungsbefugnissen und Kontrollfunktionen auf Teilgebiete eines Raumsystems. 3) Aktive versus passive Sanierung: Das am Ausgleichsziel orientierte Konzept der aktiven Sanierung weist dem Staat die Aufgabe zu, in strukturschwachen Regionen zusätzlich ökonomische Aktivitäten zu mobilisieren, um dem Abfluß mobiler Produktionsfaktoren entgegenzuwirken. Das Konzept der passiven Sanierung sieht dagegen vor, durch die staatliche Lenkung mobiler Produktionsfaktoren von produktivitätsschwachen Regionen in solche mit höherer Produktivität den regionalen Schrumpfungsprozeß zu beschleunigen - mit der Erwartung, das gesamtwirtschaftliche Wachstum zu steigern. 4) Ausgeglichene Funktionsräume versus funktionsräumliche Arbeitsteilung: Das Konzept der ausgeglichenen Funktionsräume strebt für alle Teilgebiete eine möglichst große Funktionsvielfalt an sowie die Realisierung von Mindeststandards an Arbeits-, Wohn- und Erholungsmöglichkeiten und langfristig gleichwertigen Lebensbedingungen. Eine Umverteilung von Ressourcen von Kernregionen in schwach entwickelte Gebiete wird für notwendig gehalten. Das Konzept der funktionsräumlichen Arbeitsteilung sieht für einzelne Teilgebiete eine Spezialisierung auf eine dominate Funktion vor. Das zentrale Anliegen dieses Vorgehens ist es, den urbanindustriellen Verdichtungsräumen ökologische Ausgleichsräume funktionell zuzuordnen. Als Beispiele seien die Ausweisung stadtnaher Erholungsgebiete in Flächennutzungsplänen sowie die Schaffung größerer Naturschutzgebiete an der Peripherie von Nationalstaaten genannt. - b) Raumstrukturelle Einzelstrategien: Sie dienen der staatlichen Förderung von Einzelstandorten und deren Einbindung in die langfristige Gestaltung der Standort- und Regionalstruktur. Die Auswahl der jeweiligen Strategie erfolgt entsprechend vorab getroffenen Entscheidungen über die Größe der zu fördernden Standorte (Beachtung von Ballungsmindestgrößen und Ballungsmaxima), die Funktion, die ein Standort zu erfüllen hat (überwiegend Versorgung des Umlands, Industriestandort oder Dienstleistungszentrum), und über die Lage der Standorte im Raumsystem (pessimale bzw. optimale Entfernung zu den bestehenden Agglomerationszentren, ausreichend großes Hinterland). In der Praxis werden nachfolgende Einzelstrategien eingesetzt. - (1) Die Countermagnet-Strategie findet in Ländern Anwendung, die durch die Dominanz einer Metropole gekennzeichnet sind. Sie empfiehlt die Massierung ökonomischer Aktivitäten (z. B. Dienstleistungen hoher Zentralität, Wachstumsindustrien) und staatlicher Institutionen von nationaler Bedeutung (z. B. Hauptstadtfunktion) auf einen Standort in großer Entfernung zur bestehenden Primatstadt. Nur durch die Entwicklung eines Gegenpols läßt sich, so lautet die Argumentation, eine Umlenkung des Migrations- und Investitionsstroms sowie eine Veränderung der großräumigen Verteilung von Bevölkerung und Wirtschaftskraft erreichen. - (2) Auch die Wachstumszentrenstrategie zielt auf die Verringerung interregionaler Disparitäten. Nach den Erkenntnissen der Wachstumspoltheorie sollten nur wenige Standorte mit hoher Lagegunst zu Wachstumszentren ausgebaut werden. Wachstumsimpulse erhoffen sich die geplanten Zentren durch die staatlich geförderte Ansiedlung von Betrieben mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten, großer Innovationskraft und hohen Vorwärts- und Rückwärtskopplungseffekten. Eine große Zahl von Entwicklung- und Industrieländern praktizieren diese Strategie mit sehr unterschiedlichen Erfolgen. - (3) Die Entwicklungsachsenstrategie strebt den Übergang von der fokalen zur axialen Raumentwicklung an. Für die Funktionsfähigkeit der bestehenden Großstädte und der neuen Gegenmagnete und Wachstumszentren sind leistungsfähige interregionale und interurbane Verkehrs- und Versorgungsverbindungen notwendig. Diese Infrastrukturbänder lassen sich zu multifunktionalen Entwicklungsachsen ausbauen. - (4) Die Strategie der Entlastungsorte dient der intraregionalen Dezentralisierung. Sie sieht vor, im Umland bestehender Metropolen mehrere Städte mit einer für ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum ausreichenden Größe zu entwickeln. Wachstumsimpulse erhalten diese neuen Städte durch Verlagerung insbes. industrieller Aktivitäten aus der Metropole. - (5) Der Grundgedanke der Mittelzentrenstrategie ist es, Entwicklungsimpulse von den Großstädten über die Mittel- und Kleinstädte auf den ländlichen Raum zu übertragen. Die Strategie erfüllt eine wichtige Funktion beim angestrebten Aufbau eines hierarchischen Siedlungssystems. Gefördert werden Mittelstädte im Umland der Wachstumszentren und Entwicklungsachsen sowie in peripher gelegenen, agrarisch strukturierten Gebieten mit ausreichendem Bevölkerungspotential. - 6. Instrumente: Zur Verwirklichung raumwirtschaftspolitischer Ziele und zur Durchsetzung von Strategien der Raumgestaltung stehen dem Staat Instrumente (Mittel) zur Verfügung. a) Zu den klassischen Instrumenten der Raumwirtschaftspolitik gehören die Infrastrukturmittel. Durch den Ausbau der interregionalen Infrastruktur (Fernstraßen, Eisenbahnen, Wasserstraßen) läßt sich die Faktor- und Gütermobilität zwischen Regionen erhöhen. Der intraregionale Infrastrukturausbau kann die Wettbewerbsfähigkeit von Förderregionen verbessern. Spezielle Formen unternehmensorientierter Infrastruktur sind Industrieparks und Technologieparks. Die Ausstattung von Industrieparks (industrial estates) reicht von der bloßen Bereitstellung infrastrukturell erschlossenen Geländes bis zu einem differenzierten Dienstleistungsangebot. Innerhalb von Städten oder Stadtregionen erfüllen sie in erster Linie eine Ordnungsfunktion, d.h. durch sie soll eine gewünschte Zuordnung von Industrie- und Wohngebieten ermöglicht werden. In strukturschwachen Regionen nehmen sie dagegen eine regionale Entwicklungsfunktion ein. Von ihrer Ansiedlung erwartet man ein Aufleben industrieller und gewerblicher Aktivitäten. Bei Technologieparks (Technologie-, Gründer-, Wissenschaftszentren) handelt es sich um Standortgemeinschaften von in der Regel jungen Existenzgründern, aber auch neuen Einrichtungen bereits etablierter Unternehmen oder von Universitäten. Als Instrument der Wirtschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik ist es ihre vorrangige Aufgabe, technologieorientierte Existenzgründungen zu fördern. - b) Zunehmend kommen Instrumente zur direkten Beeinflussung des regionsinternen Produktionspotentials und der interregionalen Faktormobilität zum Einsatz. Um beispielsweise Verhaltensänderungen von Unternehmen bei Standortentscheidungen zu bewirken, stehen, gegliedert nach der Eingriffsintensität, Informationsmittel, Anreizmittel und Zwangsmittel zur Verfügung. (1) Informationsmittel erhöhen die Markttransparenz und bieten den Unternehmen die Möglichkeit, ihren Standortsuchraum zu erweitern. (2) Am wichtigsten sind Anreizmittel, worunter direkte oder indirekte finanzielle Leistungen des Staats an Unternehmen in zu fördernden Standorten bzw. Regionen zu verstehen sind. Das breitgefächerte Förderinstrumentarium umfaßt kapital-, kredit-, steuer- und tarifpolitische Mittel. Ihr Ziel ist es, bereits bestehende Betriebe zu erhalten (Bestandspflege), endogenes Investitionspotential zu mobilisieren, vor allem aber die Zuwanderung von Betrieben aus anderen Regionen anzuregen. (3) Zwangsmittel (Verbote, Gebote) als Instrument zur Beeinflussung des Standortverhaltens von Unternehmen spielen in Marktwirtschaften eine nachrangige Rolle. - Vgl. auch Regionale Strukturpolitik. - Neben dem Produktionsfaktor Kapital können auch die Arbeitskräfte Zielgruppe des staatlichen Instrumenteneinsatzes sein. Die Instrumente werden eingesetzt, um das regionsinterne Arbeitskräftepotential zu steigern und die interregionale Arbeitsmobilität zu steuern. Die Bereitstellung von Informationsmaterial über das räumlich differenzierte Angebot an Arbeitsplätzen und Wohnungen sowie über regionale Unterschiede der Löhne und Mieten erhöht den Kenntnisstand der Arbeitskräfte bei Migrationsentscheidungen. Anreizmittel werden eingesetzt, um in zu fördernden Regionen die Qualität des Faktors Arbeit zu erhöhen (z. B. Umschulungs- und Fortbildungsbeihilfen) und um die Zuwanderung in der Regel von Fachkräften anzuregen (z. B. Erstattung der Umzugskosten, zeitlich begrenzte Mietzuschüsse, Lohnsteuerermäßigungen). Auch zur Förderung des technischen Fortschritts kann der Instrumenteneinsatz nach raumwirtschaftspolitischen Gesichtspunkten erfolgen. Instrumente zur Unterstützung von Investitionen in Fördergebieten sind staatliche Investitionen im Forschungs- und Entwicklungsbereich (z. B. der Bau von Hochschulen, die Errichtung von Großforschungszentren) oder die Subventionierung der mit einem hohen Ertragsrisiko behafteten Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen der Privatwirtschaft (z. B. Investitionszuschüsse, Bürgschaften, Steuervergünstigungen). Zum Abbau interregionaler Disparitäten bei der erstmaligen Durchsetzung und der allgemeinen Verbreitung technischer Neuerungen empfiehlt die "Innovationsorientierte Regionalpolitik" den Einsatz von Innovationsberatungsmitteln und finanziellen Anreizmitteln, die insbesondere Klein- und Mittelbetriebe in peripheren Standorten in die Lage versetzen, neue Produktionsverfahren, Produkte und Organisationsformen einzu führen. c) Bei den Instrumenten zur Steuerung der Gütermobilität handelt es sich um Eingriffe des Staates zur Beeinflussung von Ausmaß, Struktur und Richtung in der Regel grenzüberschreitender Güterströme, d.h. des Handels zwischen Ländern oder Ländergruppen. Zu unterscheiden sind tarifäre Handelshemmnisse (z. B. Zölle) und nichttarifäre Handelshemmnisse (z. B. Selbstbeschränkungsabkommen, Kontingente, Verbote). Die Erhebung von Importzöllen wird als gerechtfertigt angesehen, wenn sie dem Schutz von "jungen Industriezweigen" und von "jungen Volkswirtschaften" (z. B. Entwicklungsländern) dient. - 7. Erfolgskontrolle: Die Kontrolle des Erfolgs oder Mißerfolgs staatlichen Handelns wird aus zwei Gründen für erforderlich gehalten. Zum einen werden die bisherigen Bemühungen der Raumgestaltung als unzureichend empfunden, da es vielfach nicht gelungen ist, die im globalen, kontinentalen, nationalen und lokalen Maßstab bestehenden Disparitäten in der sozioökonomischen Entwicklung im angestrebten Umfang zu verringern. Zum andern wird vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation, wachsender Staatstätigkeit und begrenzter öffentlicher Finanzmittel eine wirksamere Allokation knapper Ressourcen gefordert. Die Erfolgskontrolle kann sich auf alle Bereiche der Raumwirtschaftspolitik erstrecken. Die Ziel-, Strategie- und Instrumentenkontrolle läßt sich ex post (Überprüfung des Erfolgs oder Mißerfolgs der bisherigen Raumwirtschaftspolitik) oder ex ante (Vergleich von Handlungsalternativen künftiger Politik) durchführen. Die Erfolgsbestimmung kann zu einem Zeitpunkt (z. B. als Endkontrolle einer Maßnahme) oder zu mehreren Zeitpunkten als Entwicklungskontrolle vorgenommen werden. Zu den wichtigsten Verfahren der Erfolgskontrolle gehören die Zielerreichungskontrolle, die Vollzugskontrolle und die Wirkungskontrolle. a) Die Zielerreichungskontrollen prüfen, ob die von den Trägern der Raumwirtschaftspolitik festgelegten Zielvorgaben tatsächlich realisiert wurden. Sie vergleichen den Ist-Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt mit dem für diesen Zeitpunkt angestrebten Soll-Zustand. Der Umfang der Soll-Ist-Abweichung dient als Erfolgsmaßstab der Raumwirtschaftspolitik. Zur Durchführung von Zielerreichungskontrollen sind die Formulierung operationalisierter Ziele und die Festlegung konkreter, empirisch überprüfbarer Zielindikatoren notwendig. Diese Voraussetzung ist in der Realität vielfach nicht gegeben, da politische Entscheidungsträger, im Interesse einer Konsensfindung, oft nur abstrakte Ziele formulieren. Schwierig sind auch eindeutige Aussagen, welchen Beitrag der Zielerreichung die Raumwirtschaftspolitik und welchen der marktwirschaftliche Koordinationsmechanismus leistet. b) Die Vollzugskontrollen stellen den staatlichen Handlungsabsichten die tatsächlichen Handlungen gegenüber. Sie prüfen, ob die Träger der Raumwirtschaftspolitik die Strategien durchgeführt und die Instrumente eingesetzt haben und ob die Adressaten der staatlichen Förderung (Unternehmen, Haushalte) die bereitgestellten öffentlichen Mittel in Anspruch genommen haben. Ihr Ziel ist es, die Effizienz der öffentlichen Verwaltung zu steigern und den Grad der Inanspruchnahme der Fördermittel zu erhöhen. c) Wirkungskontrollen gehen der Frage nach, ob erreichte oder angestrebte Zustände kausal auf raumwirtschaftspolitische Handlungen zurückzuführen sind. Zu unterscheiden sind Referenzverfahren und Effizienzkontrollen. (1) Referenzverfahren streben Ausssagen über Wirkungen raumwirtschaftspolitischen Handelns durch interregionale und intertemporale Vergleiche an. Sie führen die Wirkungskontrolle nach dem with-and-without-Prinzip durch. Die Raumentwicklung mit Raumwirtschaftspolitik (d.h. in einem Fördergebiet) wird verglichen mit der Raumentwicklung ohne Raumwirtschaftsgebiet (d.h. in einem Nichtfördergebiet). Die Differenz läßt sich als Einfluss politischen Handelns interpretieren. Neben den Schwierigkeiten der Trennung der Wirkungen der Raumwirtschaftspolitik von den Effekten anderer staatlicher Maßnahmen und von exogenen Einflussfaktoren hängt die Aussagekraft dieser Verfahren ganz entscheidend von der Auswahl geeigneter Referenzgebiete ab. (2) Effizienzkontrollen versuchen die Wirkung in der Regel einzelner Instrumente direkt zu messen. Das gebräuchlichste Verfahren ist die Kosten-Nutzen-Analyse (cost-benefit-analysis). Hierbei werden für einzelne öffentliche Maßnahmen (z.B. Investitionen im Infrastrukturbereich) die anfallenden Kosten- und Nutzenarten identifiziert, quantifiziert und aggregiert. Die Differenz aus den so ermittelten Gesamtkosten und dem Gesamtnutzen ergibt den Beitrag der staatlichen Maßnahme zur gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt. Kosten-Nutzen-Analysen von bereits durchgeführten Maßnahmen verfolgen den Zweck, die Effizienz des Mitteleinsatzes im Hinblick auf angestrebte Wirkungen zu prüfen. Ex ante dient die Abschätzung der Kosten und Nutzen alternativer Maßnahmen der Entscheidungsvorbereitung des künftigen staatlichen Instrumenteneinsatzes. Die Einsatzfähigkeit der Kosten-Nutzen-Analyse in der Praxis wird durch eine Reihe ungelöster methodischer Probleme eingeschränkt. Eine Schwierigkeit stellt beispielsweise die Quantifizierung der Kosten und Erträge, d.h. ihre Bewertung in Geldeinheiten, dar. - 8. Maßstabsgrößen: Ziele, Strategien, Instrumente und Erfolgskontrolle der Raumwirtschaftspolitik diskutiert die Wirtschaftsgeographie für Raumsysteme unterschiedlicher Maßstabsgröße. Das in Forschung und Lehre behandelte Themenspektrum reicht von Fragen der Weltwirtschaftsordnung, über die Regionalpolitik der Europäischen Union und einzelner Länder bis zur kommunalen Wirtschaftsförderung.
Literatur: Bartels, D., Wirtschafts- und Sozialgeographie, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, Bd. 9, Stuttgart 1980, S. 44-55; Dicken, P., Global Shift. The Internationalization of Economic Activity, 2. Auflage, London 1992; Ritter, W., Allgemeine Wirtschaftsgeographie. Eine systemtheoretische Einführung, München 1991; Schätzl, L., Wirtschaftsgeographie 1. Theorie, 5. Auflage, Paderborn 1993; Schätzl, L., Wirtschaftgeographie 2. Empirie, 2. Auflage, Paderborn 1994; Schätzl, L., Wirtschaftsgeographie 3. Politik, 3. Auflage, Paderborn 1994; Voppel, G., Wirtschaftsgeographie, Stuttgart 1970; Wagner, H.-G., Wirtschaftsgeographie, 2. Auflage, Braunschweig 1994.

 

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