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Berufs- und Wirtschaftspädagogik

I. Begriff: "Teildisziplin der Erziehungswissenschaft, die die pädagogischen Probleme beruflicher Bildungs- und Sozialisationsprozesse, v. a. Jugendlicher, erforscht, reflektiert und konstruktiv zu klären sucht" (Stratmann). Die B.- u. W. entwickelte sich historisch aus der Berufsschullehrerausbildung. Entsprechend bezeichnet Berufspädagogik i. e. S. die "Wissenschaft von der Ausbildung im gewerblichen und gewerblich-technischen Bereich im Rahmen der Gewerbelehrerausbildung, in Abgrenzung von der Wirtschaftspädagogik i. e. S. als der Wissenschaft von der Ausbildung im kaufmännisch-verwaltenden Bereich im Rahmen der Handelslehrerausbildung" (Lipsmeier). Als weitere funktionale Teilbereiche der B- u. W. gelten Berufsschulpädagogik, Betriebspädagogik, Arbeitspädagogik und z. T. die allgemeine Wirtschaftserziehung.
II. Entwicklung: In Anlehnung an Zabeck lassen sich drei Phasen in der disziplinären Entwicklung der B.- u. W. unterscheiden: 1. Phase: B.- u. W. als Fortbildungs- und Handelsschulpädagogik unter der pragmatischen Zielsetzung, künftige Handels- oder Gewerbelehrer didaktisch-methodisch auf die Anforderungen berufsbezogenen Unterrichts vorzubereiten (bis Mitte der 20er Jahre). - 2. Phase: Unter der umfassend verstandenen Bezeichnung "Wirtschaftspädagogik" wurde seit Ende der 20er Jahre auf der Grundlage der Berufsbildungstheorie der Anspruch entwickelt, daß die B.- u. W. eine kulturphilosophisch begründete, eigenständige erziehungswissenschaftliche Disziplin sei, die alle für Wissenschaft konstitutiven Merkmale aufweise und sich in bewußter Abgrenzung gegenüber der "allgemeinen Erziehungswissenschaft" dem Wesen der Beziehung von Wirtschaft und Bildung zuwende (Berufsbildung). Die Leistung dieses Ansatzes bestand darin, die unter dem Einfluß des neuhumanistischen Bildungsideals diskreditierte und vernachlässigte Berufserziehung bildungsphilosophisch rehabilitiert und in den pädagogischen Reflexionszusammenhang einbezogen zu haben. Ideologische Grundlage dafür war die kulturphilosophisch begründete Annahme, daß der Bereich der Wirtschaft neben Religion, Wissenschaft, Kunst, Staat und Gesellschaft ein relevanter Kulturbereich, d. h. eine Ausprägung des "objektiven Geistes" sei. Über die interessengeleitete Auseinandersetzung mit dem Kulturbereich Wirtschaft sei es möglich, den jungen Menschen kulturfähig zu machen. Entsprechend sei ein Bildungstyp des Wirtschaftsmenschen zu identifizieren, dessen Wesen und Entwicklung zentrale Bezugspunkte der traditionellen B.- u. W. waren und der es zugleich erlaubte, den Autonomieanspruch der B.- u. W. zu begründen. - Hauptvertreter dieser Richtung waren Schlieper, Abraham, Dörschel, Feld und Baumgardt. - 3. Phase: Die Kritik an der traditionellen B.- u. W. bezog sich v. a. auf zwei Aspekte: (1) deren normativ-deduktivistischen und antiempirischen Denkansatz, der über die Beschäftigung mit dem Wesen von Erziehung, Bildung, Beruf und Wirtschaft deren reale Erscheinungen und Probleme ignorierte und sich gegen Erfahrung immunisierte; (2) deren Idee von der "wirtschaftlichen Bildung", der entgegengehalten wurde, daß Erziehung bzw. Bildung nicht parzellierbar seien, sondern daß es nur einen einheitlichen Aspekt der Erziehungswissenschaft gebe. Entsprechend wird B.- u. W. im Rahmen einer nach anthropologisch bedeutsamen Lebensbereichen gegliederten, aber auf einen einheitlichen Erkenntnisgegenstand bezogenen Erziehungswissenschaft heute als Spezialdisziplin begriffen, die sich auf Erziehungsprozesse im Umkreis des beruflichen Handlungs- und Problemzusammenhanges konzentriert.
III. Positionen: Entsprechend unterschiedlicher wissenstheoretischer Positionen in der Erziehungswissenschaft insgesamt läßt sich im Bereich der B.- u. W. eine Vielzahl konkurrierender Ansätze unterscheiden, deren gemeinsames Merkmal in der Ablehnung der traditionellen kulturphilosophischen B.- u. W. sowie in der verstärkten Hinwendung zu empirischen Verfahren zu sehen ist. In grober Klassifikation können unterschieden werden: 1. Verhaltenstheoretische Positionen, die Probleme der Lehrer-Schüler-Interaktion in den Mittelpunkt stellen, diese unter methodologischer Orientierung am Konzept des Kritischen Rationalismus und verhaltenstheoretischer Konzepte der Psychologie aufzuklären versuchen und so eine sukzessive Verbesserung der Ausbildungspraxis anstreben. - 2. Systemtheoretische Ansätze, die unter der Leitidee gesellschaftlicher Funktionalität und unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen des Beschäftigungssystems versuchen, ein (theoretisches) Subsystem Berufserziehung zu konstruieren, von dem her die Erziehungswirklichkeit erschlossen und beurteilt werden kann und in pragmatischer Absicht im Hinblick auf den Systemzweck optimale institutionelle und curriculare Arrangements getroffen werden können. - 3. Handlungstheoretische Ansätze, deren grundlegender Anspruch darin besteht, Prozesse beruflicher Sozialisation vom Subjekt her zu analysieren. Dies bedeutet insbes. a) Bezugnahme auf ein interaktionistisches Person-Umwelt-Konzept, dessen zentrales Konstrukt der Handlungsbegriff ist, b) Orientierung an der bildungstheoretisch begründeten Leitidee der Mündigkeit des Subjekts und c) methodologische Verknüpfung empirisch-analytischer und hermeneutisch-interpretativer Verfahren.
IV. Forschungsfelder: (1) Ziel- und Normenproblematik, insbes. die Frage nach dem Verhältnis von Berufsbildung und Allgemeinbildung; (2) Evaluation und Entwicklung beruflicher Curricula (wirtschaftsberufliche Curriculumentwicklung); (3) Probleme der didaktisch-methodischen Gestaltung beruflicher Lernprozesse (Fachdidaktik Wirtschaftslehre); (4) Lernortproblematik bzw. Theorie und Empirie der Lernorte der beruflichen Bildung.


Literatur: Achtenhagen, F., Didaktik des Wirtschaftslehreunterrichts, Opladen 1984; Arnold, R./Lipsmeier, A. (Hrsg.), Handbuch der Berufsbildung, Opladen 1995; Heid, H./Lempert, W./Zabeck, J. (Hrsg.), Ansätze berufs- und wirtschaftspädagogischer Theoriebildung, Beiheft 1 der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Wiesbaden 1980; Reetz, L., Gesichtspunkte zur Revision der didaktischen Reflexion in der Wirtschaftspädagogik, in: Die Deutsche Berufs- und Fachschule, Heft 3, 1970, S. 196-211; Schlieper, F., Allgemeine Berufspädagogik, Freiburg 1963; Stratmann, K./Bartel, W. (Hrsg.), Berufspädagogik, Köln 1975; Stratmann, K., Berufs-/Wirtschaftspädagogik, in: Blankertz, H. u. a. (Hrsg.), Lexikon - Sekundarstufe II - Jugendbildung zwischen Schule und Beruf (Bd. 9.2 der Enzyklopädie Erziehungswissenschaft), Stuttgart 1982, S. 186-189; Voigt, W., Einführung in die Berufs- und Wirtschaftspädagogik, München 1975; Zabeck, J., Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik als erziehungswissenschaftliche Teildisziplin, Hohengehren 1992; Zabeck, J./Fischer, W., Berufs- und Wirtschaftspädagogik, in: Speck, J./Wehle, G. (Hrsg.), Handbuch pädagogischer Grundbegriffe, München 1970, S. 113-133.

 

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