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politische Ökonomie der Protektion

1. Begriff: Ein besonderes Forschungsprogramm der realen Außenwirtschaftstheorie, das die real existierenden Formen der Protektion bzw. Handelspolitik durch eigennütziges Verhalten politischer Akteure im Rahmen bestimmter politischer Systeme zu erklären versucht. - So erklärte Protektion wird auch endogene Protektion genannt, im Unterschied zur traditionellen Betrachtung der Auswirkungen von exogen gegebenen handelspolitischen Maßnahmen. Die konkrete Gestaltung der Handelspolitik - wie im Prinzip auch beliebiger anderer Bereiche der Wirtschaftspolitik - wird nicht über deren Gesamtwohlfahrtswirkung erklärt, sondern über deren Einkommensverteilungswirkung, in Verbindung mit Besonderheiten des politischen Prozesses, welche der einen oder anderen Gruppe von Nutznießern einer bestimmten Politik zum Durchbruch verhilft. - 2. Erkenntnisse der politischen Ökonomie der Protektion: a) Der vollkommene politische Prozeß würde sich darauf beschränken, die aus gesamtwirtschaftlicher Sicht optimale Politik zu finden, und die unerwünschten Einkommensverteilungswirkungen durch Kompensationsleistungen zu neutralisieren. Die Erkenntnisse der Handelstheorie und Handelspolitik würden dem Freihandel in einem solchen Prozeß sehr große Chancen einräumen, zumal dann, wenn die globale Perspektive eingenommen und auf ausbeuterische Politiken verzichtet werden soll. - b) Die politische Ökonomie der Protektion bezeichnet diese Sicht als naiv und betont statt dessen eine Reihe von Unvollkommenheiten des politischen Prozesses, die es aus der Sicht einzelner Wirtschaftssubjekte lohnend machen, zur Verfolgung ihrer eigenen Interessen Ressourcen aufzuwenden, und die auf der Seite der Regierungen Raum für eigennütziges Verhalten entstehen lassen. Wenn z. B. die einfache Mehrheit entscheidet, und wenn die Gewinner von Protektion mehr als die Hälfte der Wähler ausmachen, dann wird eine nur auf den Erhalt der Macht bedachte Regierung die protektionistische Politik durchführen. Das Gains-from-Trade-Theorem besagt allerdings, daß die Realeinkommensverbesserungen der Gruppe der Gewinner insgesamt geringer ausfallen, als die Realeinkommensverschlechterungen in der Gruppe der Verlierer. Von daher wäre die Möglichkeit gegeben, daß die (potentiellen) Verlierer die (potentiellen) Gewinner der Protektion durch Abstandszahlungen davon abhalten, ihre zahlenmäßige Mehrheit zur Ausbeutung der Minderheit einzusetzen. Die Verlierer wären danach immer noch besser gestellt, als bei Protektion. Aber man kann sich relativ leicht vorstellen, daß die Durchsetzung von solchen Kompensationsmechanismen an praktischen Hindernissen scheitert, so daß am Ende je nach Zahl der auf der einen oder anderen Seite betroffenen Wähler die eine oder andere Position obsiegt. - c) Organisierbarkeit von Interessen: Es muß aber nicht immer die zahlenmäßige Überlegenheit sein, die einer bestimmten Position im politischen Prozeß zum Durchbruch verhilft. In der Tat ist zu erwarten, daß die Organisierbarkeit von Interessen um so geringer ist, je größer die Anzahl der betroffenen Personen ist. - d) Merkmal der Protektion: Ist die Protektion einmal erreicht, so wirkt sie wie ein öffentliches Gut; sie nutzt auch jenen Individuen innerhalb dieser Gruppe, die sich an der politischen Organisation des gemeinsamen Interesses gar nicht beteiligt haben. Solches Trittbrettfahrer- (free-rider-)Verhalten ist am ehesten in zahlenmäßig sehr großen Gruppen zu erwarten, da es dort am wenigsten entdeckt werden kann. Je größer die Bedeutung dieses free-rider-Verhaltens, um so geringer die effektive Nachfrage nach einem solchen öffentlichen Gut. Für die Protektion bedeutet dies, daß sie um so eher entstehen wird, je kleiner und besser organisiert die Zahl der davon profitierenden Individuen ist, und je zahlreicher und weiter verstreut die dadurch Geschädigten sind. Produzenteninteressen sind typischerweise gut organisierbar, Konsumenteninteressen viel weniger. Hier betont die Politische Ökonomie, daß Protektion typischerweise den Konsumenten schadet (über höhere Preise), während sie auf Produzentenseite isoliert Einkommensverbesserungen verursacht, etwa bei sektorspezifischem Kapital (Ricardo-Viner-Modell). Von daher ist also schon zu erwarten, daß Protektion entsteht. Welche Industrie nun für sich Protektion erreicht, eventuell auch zulasten der Produzenteninteressen in anderen Industrien, das hängt dann davon ob, in welchem Bereich die Produzenteninteressen am besten organisierbar sind. - e) Auswirkungen der Protektion: Man erkennt nicht nur die Möglichkeit, daß Protektion auch dann zum Durchbruch kommt, wenn sie gesamtwirtschaftlich gesehen schädlich ist, sondern es ist zu erwarten, daß dafür auch noch zusätzlich Ressourcen aufgewendet werden, etwa für die Administration im Bereich der Interessengruppen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von directly unproductive activities oder von rent-seeking. Der Ausdruck rent-seeking soll andeuten, daß protektionistische Politiken neben dem gesamtwirtschaftlichen Effizienzverlust eben an einzelnen Stellen auch Knappheitsrenten entstehen lassen, die das Ziel von speziellen Anstrengungen werden können. Der dabei entstehende Ressourcenverzehr stellt eine eigenständige Kategorie von Wohlfahrtsverlust dar und ist bei der Gesamtbewertung der Politik dem gesamtwirtschaftlichen Effizienzverlust (toter Wohlfahrtsverlust, Harberger Dreiecke) noch hinzuzurechnen. Der von der konventionellen Theorie der Handelspolitik betrachtete reine Effizienzverlust stellt somit eine mitunter erheblich nach unten verzerrte Schätzung der Gesamtkosten von protektionistischen Handelspolitiken dar. - Vgl. auch Handelspolitik.

 

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