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Wachstumspoltheorie

I. Begriff: Regionale Wachstumstheorie, welche die ungleiche Entwicklung von verschiedenen Räumen beschreibt und erklärt. Sie ist aus einer Kritik an den neoklassischen Gleichgewichtstheorien entstanden, besonders an deren wenig realitätsnahen Annahme der vollständigen Konkurrenz und deren mechanistische Sichtweise.
II. Ansätze: 1. Die ersten Ausführungen zur Wachstumspoltheorie wurden von dem Franzosen Perroux in den 50er Jahren gemacht. Er ging von einem abstrakten ökonomischen Raum aus, den er als ein Kräftefeld ansah, in dessen Mitte sich ein Wachstumspol befände. Dieser Wachstumspol beinhaltet bzw. ist nach der Theorie eine motorische Einheit, die einfach oder komplex sein kann. Motorische Einheiten können in konkreter Ausformung ein Unternehmen, eine institutionalisierte oder eine nichtinstitutionalisierte Gruppe von Unternehmen sein. Dies hängt von ihrer funktionalen Stellung ab. Motorische Einheiten müssen andere Einheiten dahingehend beeinflussen können, daß diese Einheiten größer werden, ihre Organisationsstruktur ändern und selbst beginnen, bei anderen Einheiten wirtschaftliche Fortschritte hervorzurufen; dazu sind notwendig: quantitative Größe, hoher Grad an Dominanz über andere Einheiten, hoher Grad von quantitativen und qualitativen Interrelationen zu anderen Einheiten, überdurchschnittlich schnelles Wachstum. Besonders das aus den Theorien des Monopolkapitalismus übernommene Konzept der Dominanz einer Einheit über die anderen hat einige theoretische und empirische Aufmerksamkeit erregt. - 2. Der erste Versuch der Übertragung der Theorie auf den geographischen Raum stammt von Boudeville (1966), der die Wachstumspoltheorie mit der Theorie der zentralen Orte (Zentrale-Orte-Theorie) zusammenführte. Der polarisierte Raum bestand bei ihm nicht aus einem Kräftefeld, sondern aus den hierarchisch geordneten Städten und ihren Einzugsbereichen. Städte stellten die Pole dar, die sich auf zwei verschiedene Arten beschreiben ließen: (1) Ansammlung von expandierenden Industrien in einer städtischen Umgebung (sektoraler/regionaler Pol); (2) geographische Agglomeration von Aktivitäten, damit die Stadt selbst (regionaler Pol). Die Bestimmung dieser Pole erfolgt mit Hilfe von Gravitationsmodellen; damit werden Wachstumspole und zentrale Orte in dieser Theorie gleichgesetzt. Funktional unterscheidet Boudeville zwei Arten von Polen: (1) Wachstumspol, dessen Wachstum durch Anstöße von außen entsteht; (2) Entwicklungspol, der Anstöße an andere abgibt. - 3. Eine umfassendere Erweiterung des Wachstumspolkonzeptes in den geographischen Raum nahm Lasuen (1969) vor. Er begriff die Stadt als eine Einprägung ökonomischer Aktivitäten in den Raum. Umgekehrt ist die so entstandene Stadt auch wieder eine Bedingung von ökonomischen Aktivitäten. Es steht nicht der einzelne Wachstumspol, sondern ein System von Wachstumspolen im Mittelpunkt. Dabei wird angenommen, daß ein sektoraler/regionaler Wachstumspol nicht von einer motorischen Einheit gebildet wird, sondern von einem "cluster" von Unternehmen und von der regionaler Exportaktivität. Die Entwicklung dieser "cluster" hängt von der nationalen Nachfrage ab, die sich entsprechend der Wettbewerbsfähigkeit auf die einzelnen Pole verteilt.
III. Kritik: Die Wachstumspoltheoretiker werden v. a. dahingehend kritisiert, daß sie Entwicklung mit dem Vorhandensein von Entwicklung und die räumliche Determiniertheit von Entwicklung mit der Behauptung der Existenz dieser Determiniertheit erklären.
IV. Anwendung/Bedeutung: Der Ansatz hat vor allem in Frankreich Eingang in die Regional- und Raumordnungspolitik gefunden. In den 70er Jahren wurde er im Zusammenhang mit der räumlichen Entwicklung aber auch in anderen Industrieländern ausgiebig diskutiert. Ebenso ist er in die Entwicklungsstrategiedebatte jener Zeit eingegangen. Die Wachstumspoltheorie wurde in den 80er Jahren weitgehend von Vorstellungen zum endogenen Potential ersetzt.

 

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