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regionale Interaktionsmodelle

I. Begriff: In der Regionalanalyse angewandte Modelle zur Beschreibung und Schätzung von Strömen (Personen, Güter, Informationen, Geld) zwischen verschiedenen Raumeinheiten. Ausgehend von einem definierten Gesamtraum als geschlossenem System lassen sich die Ströme in einer Verflechtungsmatrix darstellen, welche a) die Stärke und Richtung der Ströme (z. B. Einkaufspendler) zwischen den Quell- und Zielregionen enthält, b) die Gesamtsumme (Gesamtnachfrage) der von einer Region ausgehenden Ströme (z. B. einzelhandelsrelevantes Einkommen) und c) die Gesamtsumme der in eine Region hineinfließenden Ströme (Gesamtniveau des Angebots, z. B. Umsätze/Verkaufsflächen im Einzelhandel). Interaktionsmodelle haben die Aufgabe, (1) die Flüsse (Interaktionen) zwischen den Teilgebieten bei vorgegebenen Gesamtströmen der Quell- und Zielgebiete zu schätzen und (2) aus einer Beschreibung der Ströme die räumlichen Verteilungen der Gesamtnachfrage und des Gesamtangebotes zu schätzen.
II. Modelle: 1. Das am häufigsten zugrundegelegte Modell räumlicher Interaktionen ist das Gravitationsmodell. In Analogie zum Newton'schen Gravitationsgesetz, das die Gravitation als Funktion von Gravitationskonstante · (Masse 1 + Masse 2) · Widerstand erklärt, sind die Interaktionen zwischen Quell- und Zielgebiet (1) direkt proportional zur Nachfrage ("Ausstrahlungskraft" des Quellgebietes), (2) direkt proportional zu Anzahl und Größe der Gelegenheiten (Attraktionen) im Zielgebiet ("Anziehungskraft"), (3) proportional zu den Kosten der Raumüberwindung, der "Widerstandsgröße", die als kilometrische, Zeit-, Kosten- oder Aufwandsentfernung zwischen Quell- und Zielgebiet gemessen werden kann, und (4) abhängig von einer Proportionalitätskonstante. - 2. Aus dieser Grundstruktur des Gravitationsansatzes lassen sich vier Modellvarianten ableiten, die für unterschiedliche Problemstellungen der Regionalanalyse eingesetzt werden können: a) Sind weder Gesamtaufkommen der Quell- wie Zielströme bekannt, so sind dafür Ersatzvariablen zu finden (z. B. Einwohner als Indikator der Kaufkraft, Einzelhandelsumsatz als Indikator der Attraktivität des Einzelhandelsangebotes). Die Interaktionsströme zwischen zwei Teilgebieten sind um so stärker, je größer ihre Interaktionspotentiale ("Massen") sind und je geringer der Entfernungsüberwindungs-Widerstand zwischen ihnen ist. b) Wenn nur das Gesamtaufkommen der Quellströme (die Nachfrage) bekannt ist (z. B. die limitierte Kaufkraft), dann ist unter der Bedingung eines geschlossenen Systems die bekannte Nachfrage auf alle Zielgebiete zu verteilen. Die Wahrscheinlichkeit einer Interaktion mit einem bestimmten Zielort ist dann abhängig von dem Maß des Nutzens, wie er im Quellgebiet empfunden wird. Dieser Nutzen läßt sich über die relative Attraktivität des Zielortes (relativ zu allen anderen Zielgebieten) und die Entfernung bestimmen. Auf diese Weise werden die gesamten Quellströme aufgeteilt in die erwarteten Interaktionen zwischen allen Zielgebieten. c) Spiegelbildlich dazu ist der Fall, in dem nur das Gesamtaufkommen der Zielströme bekannt ist (z. B. Zahl der Arbeits- oder Schulplätze) und die Quellgebiete um ein beschränktes Angebot in den Zielorten konkurrieren. Die Stärke der Interaktionsmöglichkeiten hängt dann ab von der Erreichbarkeit (Lagegunst) der Quellgebiete, die mit wachsendem Entfernungswiderstand abnimmt. Man erhält so die Größe der wahrscheinlichen Interaktionen (Einflüsse), die von allen Zielgebieten auf ein Quellgebiet insgesamt ausgehen, also die relative Konkurrenzfähigkeit der Zielorte. Analog zur Erreichbarkeit läßt sich auch das Potential eines Zielgebietes als Summe der potentiellen Interaktionen von allen Quellgebieten schätzen (Potentialmodell). d) Ist sowohl das Gesamtaufkommen der Quell- wie Zielströme bekannt (z. B. Zahl der Arbeitsplätze und Zahl der Beschäftigten), dann sind die Interaktionsströme unter Berücksichtigung der Entfernungsfunktion iterativ zu ermitteln. - 3. Probleme: Die Probleme bei der Anwendung des Gravitationsansatzes bestehen zum einen in der Wahl der räumlichen Aggregation kontinuierlich verteilter Aktivitäten zu diskreten Ziel- bzw. Quellorten, was mit wachsender Regionsgröße zu fehlerhaften Schätzungen des Interaktionsvolumens an den Grenzen der Region führen kann. Zum anderen bestehen sie in der theoretischen Ableitung und der numerischen Schätzung der Funktion des Entfernungswiderstandes. Einfache lineare Widerstandsfunktionen sind wenig realistisch. Häufig werden Paretofunktionen verwandt, bei denen die empirisch ermittelten Koeffizienten für Einkaufsfahrten je nach Gut und Verkehrserschließung zwischen 0.5 und 3.5 schwanken. Zu prüfen sind aber auch exponentielle und Gamma-Widerstandsfunktionen. Die Schätzung des Parameters erfolgt mittels Regressionsrechnung, wobei es auf die Definition der Modellvariablen "Masse" (z. B. Einwohnerzahl, Einzelhandelsumsatz, Besucher von Freizeiteinrichtungen oder auch komplexe Indizes der Einzelhandels- oder Fremdenverkehrsattraktivität) und Entfernungswiderstand als empirische Größen ankommt.
III. Anwendung: Die Anwendungsbereiche der gravitations- und potentialorientierten Ansätze in der Regionalforschung sind vielfältig. Sie werden häufig zur Schätzung von Absatzgebieten und Marktpotentialen in der Einzelhandels- und zentralörtlichen Forschung eingesetzt (insbes. Reilly 1931, Converse 1949, Huff 1963, Lakshaman/Hansen 1965). Potentialmodelle eignen sich zur Schätzung lagegünstiger Standorte wie z. B. von Freizeit- und sozialen Infrastruktureinrichtungen. Wenig eingesetzt worden sind diese Interaktionsmodelle bisher in Verkehrsverteilungsmodellen. Verbreitet ist dagegen ihre Verwendung in Bevölkerungs-Wanderungsmodellen, besonders des speziellen intervening-opportunities-Modells (Zipf 1946, Stouffer 1940), das die Modifikation der Interaktionsströme durch Gelegenheiten zwischen Quell- und Zielgebiet einbezieht. In jüngerer Zeit wird versucht, den Gravitationsansatz als Spezialfall in eine Familie von r. I. einzubeziehen, die sich auf die Informationstheorie und das Entropie-Maximierungs-Verfahren gründen (Wilson 1970).

 

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