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strategische Frühaufklärung

I. Begriff (im Rahmen des strategischen Managements): Antizipative Suche nach schwachen Signalen; d. h. frühzeitiges Aufspüren von Chancen zu neuen Erfolgspotentialen, rechtzeitige Vorbereitung und Ingangsetzung von Umgehung oder Umwandlung der Risiken. - Mit einer Warnung bzw. Frühwarnung sind - rein sprachlich - nur Hinweise auf potentielle Krisen verbunden; "Frühaufklärung" macht dagegen auch auf Gelegenheiten aufmerksam, wie z. B. Ideen zu neuen Geschäften. - Im anglo-amerikanischen Sprachraum werden die Begriffe "environmental scanning", "environmental assessment" oder "environmental forecasting" verwendet. Beim Beobachten bereits bekannter Phänomene spricht man vom "monitoring", beim Suchen nach neuen Phänomenen (auch außerhalb der bestehenden Domänen) vom "scanning"; beides wird dann zur "environmental analysis" zusammengefaßt.
II. Entwicklung: Der Beginn einer systematischen Beobachtung des sozio-ökonomischen Felds in größerem und systematischerem Maße geht wahrscheinlich auf das Jahr 1967 zurück, als bei General Electric eine strategische Planung initiiert wurde. Eine erste wissenschaftliche Arbeit zu diesem Themenbereich ist "Scanning the Business Environment" von Aguilar (1967), deren Ziel die Systematisierung der verschiedenen Beobachtungsaufgaben und die Inbezugsetzung der Unternehmung zu ihrem Umfeld war. - Relativ bald kristallisierte sich die Technologie als Frühaufklärungsbereich (technologische Vorhersage) von besonderem Interesse heraus; diese wird aber auch sehr kritisiert, weil viele Vorhersagen irrten oder sich im Sinne einer "self fulfilling prophecy" erfüllten, ohne daß ihre tatsächliche und allgemeine Wünschbarkeit überprüft werden konnte. - Der entscheidende Impuls ging 1976 von I. Ansoff durch die Entwicklung des Konzepts der schwachen Signale aus, das heute die theoretische Grundlage der meisten Arbeiten zu diesem Themenbereich bildet.
III. Konzept der schwachen Signale (I. Ansoff): 1. Konzept: Ansoff stellt die Frühaufklärung ("before fact approach") dem traditionellen Krisenmanagement ("after fact approach") gegenüber. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, daß sich Unternehmen aufgrund der zunehmenden Komplexität, Turbulenz und auch Unvorhersagbarkeit des Unternehmensumfelds immer häufiger sog. strategischen Überraschungen ausgesetzt sehen. Um diese zumindest zum Teil zu vermeiden, ist es erforderlich, zukünftig zu erwartende Gefahren und Gelegenheiten möglichst frühzeitig aufzuspüren. Dies kann deshalb möglich sein, weil die meisten zukünftigen Ereignisse und Entwicklungen sich durch sog. schwache Signale ankündigen und somit antizipierbar sind. - 2. Problem der Diskontinuitäten: Die Qualität einer st. F. hängt in hohem Maße von den Möglichkeiten zur Prognose der Systementwicklung ab. Dabei stellt das Auftreten sog. Diskontinuitäten ein besonders schwerwiegendes Problem dar. Diskontinuitäten sind Richtungsänderungen (Strukturbrüche) oder Niveauänderungen (Unstetigkeiten). Die meisten der strategisch relevanten Diskontinuitäten sind mit den bekannten quantitativen (statistischen oder ökonometrischen) Modellprognosen nicht vorhersagbar, weil die Veränderung sich nicht als eine kausallogische Gesetzmäßigkeit der Vergangenheit erklären läßt oder die die Veränderung bewirkenden "dritten Variablen" nicht quantifizierbar sind. Gelingt eine Antizipation zukünftiger Entwicklungen und Ereignisse, so kann die Unternehmensplanung prinzipiell durch st. F. verbessert werden, indem sie zeitlich abgestufte Reaktionsstrategien für alternativ mögliche Zukunftsverläufe entwickelt und bereithält.
IV. Realisierungsansätze: Differenzierung anhand der konzeptionellen Orientierung der Ansätze; aufgrund der Überschneidung von Wesensmerkmalen nicht absolut trennscharf. 1. Indikatorenorientierte Ansätze: I. a. nicht-vernetzte Indikatorensysteme, die als einfache Kennzahlensysteme, als (Früh-)Indikatorensysteme oder als aggregierte Spezialindikatoren auftreten können. - 2. Modellorientierte Ansätze: Modelle aus den system dynamics (z. B. Feedback-Diagramme), Entwicklung von Szenarien sowie Entscheidungs- und Simulationsmodelle (Simulation). - 3. Analyseorientierte Ansätze: Es stehen verschiedene analytische Verfahren im Mittelpunkt, durch deren Anwendung eine systematischere Identifikation, Erfassung, Auswertung und Interpretation schwacher Signale erzielt werden soll. Zu unterscheiden: Bezugsrahmengebundene und -indifferente Methoden sowie Ansätze mit einem Methoden-Mix. - 4. Informationsquellenorientierte Ansätze: Die Art der zur Verwendung kommenden Informationsquellen ist wesentlich für die Gestaltung des Konzepts. Zu unterscheiden: a) partizipatives Recherchieren für Ansätze, in denen die Systemnutzer am Recherchieren der Informationen beteiligt sind; b) eigenes Recherchieren beim Träger des Ansatzes (mit und ohne eine regelmäßige Publikation). - 5. Netzwerkorientierte Ansätze: Ansätze, bei denen der (nahezu) vollständige Informationsverarbeitungsprozeß innerhalb eines Netzwerks von Personen (bzw. Hosts von Datenbanken) bewältigt wird.
V. Anwendungsstand: 1. Empirische Erkenntnisse zur Verbreitung einer st. F. gibt es bislang nur in sehr begrenztem Umfang, am interessantesten die empirische Studie von Jain (1984). Zur Erfassung des Entwicklungsstands einer st. F. werden in der Jain-Studie vier Phasen gebildet (v. a. Phase 2: Man beobachtet das Umfeld, um spezielle Ereignisse besser verstehen zu können; Phase 4: Man betreibt ein "strategisches Scanning", um nach Wettbewerbsvorteilen Ausschau zu halten). Nur 31% der befragten Unternehmen kamen über die Phase 2 hinaus; zum Erreichen der Phase 4 sind mindestens drei Jahre Entwicklungszeit notwendig. - 2. Die Schwerpunkte der Frühaufklärungsaktivitäten hängen von den Entwicklungsstadien ab: Die Beobachtung ökonomischer Entwicklungen ist am nächsten liegend und mit dem höchsten Maß an Vertrauen hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit verbunden. Am anderen Ende der Skala ist die Beobachtung der gesellschaftlichen Entwicklungen anzusiedeln. - 3. Rangordnung des Methodeneinsatzes (die am meisten eingesetzte Technik wird zuerst genannt): Szenario-Technik, Extrapolation, Trend-Impact-Analyse, Brainstorming, Experten-Befragung (Delphi-Technik), ökonometrische und statistische Modellrechnungen (Statistik, Ökonometrie), Simulationsmodelle (Simulation), Cross-Impact-Analyse und Entscheidungsbaumverfahren (Entscheidungsbaum). Diese Methoden sind zu nicht unerheblichen Teilen der Zukunftsforschung zuzuordnen. - 4. USA: Der Anwendungsstand dürfte hier höher sein. Die Bereitschaft der Amerikaner zur Anwendung neuer Managementtechniken und deren generelles Interesse an der "Zukunft" als Erkenntnisobjekt dürfte höher liegen; amerikanische Unternehmen verfügen zudem über mehr personelle Ressourcen mit Fachkenntnissen auf diesem Gebiet. - 5. Zusammenfassend: Die Anerkennung der Notwendigkeit zur Installation von st. F.-Systemen hat sich schon beachtlich durchgesetzt. Meist werden aber noch nicht ihre speziellen Anforderungen und Probleme (v. a. im Unterschied zur operativen Frühaufklärung) erkannt und damit zu viel Gewicht auf das methodische und zu wenig auf die ihr eigene Denkweise gelegt. Auch hat gerade eine st. F. noch sehr unter dem Stigma einer Spielerei zu leiden. Ihr Nutzen ist - auch langfristig - nur bedingt direkt nachweisbar, so daß Investitionen in diese Art von Aktivität gegenüber Dritten schwierig zu rechtfertigen sind.

 

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