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Leapfrogging

Bockspringen. In den Wirtschaftswissenschaften beschreibt Leapfrogging ein Überspringen bzw. Auslassen einzelner Stufen im Rahmen eines vorgegebenen Prozeßablaufs. Bezogen auf Austauschpartner von Transaktionsprozessen wird zwischen nachfragerseitigem und anbieterseitigem Leapfrogging unterschieden.
I. Nachfragerseitiges Leapfrogging: 1. Begriff: Bei der Beschreibung von Kaufprozessen wird mit Leapfrogging die bewußte Entscheidung eines Nachfragers bezeichnet, eine gegenwärtig am Markt verfügbare Innovation nicht zu kaufen und die Kaufentscheidung auf eine in der Zukunft erwartete Produktgeneration zu verschieben. Entscheidender Auslöser der Nachfrageverschiebung ist somit eine zukünftige, noch nicht am Markt verfügbare Produktgeneration. - 2. Voraussetzungen: Zentrale Voraussetzungen für das Auftreten von Leapfrogging-Behavior sind markt- und produktbezogene Erwartungen der Nachfrager über zukünftige Ereignisse. - a) Marktbezogene Erwartungen resultieren aus der absehbaren Verfügbarkeit von weiter- bzw. neuentwickelten Produkten. Diese Voraussetzung ist insbes. auf Märkten gegeben, die sich durch kurze Produktlebens- und Innovationszyklen charakterisieren lassen, da Produktweiterentwicklungen und -neuheiten in immer kürzer werdenden Zeitabständen am Markt erscheinen. - b) Produktbezogene Erwartungen beziehen sich auf die Leistungsfähigkeit des zukünftigen Produktes. Es kann davon ausgegangen werden, daß Leapfrogging nur dann auftritt, wenn das erwartete zukünftige Produkt über eine höhere Leistungsfähigkeit als die gegenwärtige Innovation verfügt. Schließlich muß die spezifische Nachfragersituation L.-Behavior grundsätzlich zulassen. Die Dringlichkeit der Neuanschaffung darf nicht so hoch sein, daß eine Verschiebung der Kaufentscheidung nicht möglich wäre. Von einer eher geringen Dringlichkeit der Nachfrage ist immer dann auszugehen, wenn das betrachtete Problem noch durch beim Nachfrager vorhandene Produkte gelöst werden kann, wenn die Rückständigkeit gegenüber am Markt verfügbaren Produkten nicht zu groß ist und die Wettbewerbssituation einen Verbleib bei alten Produkten zuläßt. - 3. Determinanten: Sind bei einem Nachfrager diese Voraussetzungen grundsätzlich gegeben, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines L.-Verhaltens maßgeblich von der individuellen Ausprägung folgender Größen abhängig: (1) Ausmaß der (erwarteten) verbesserten Leistungsfähigkeit des zukünftigen Produktes im Vergleich zum verfügbaren neuesten Produkt; (2) relative Höhe der (erwarteten) Anschaffungskosten des zukünftigen Produktes im Vergleich zum verfügbaren neuesten Produkt; (3) Wartebereitschaft des Nachfragers; (4) wahrgenommenes Risiko des Nachfragers in bezug auf das verfügbare neueste Produkt. - 4. Implikationen für Anbieter: Verfolgt ein Anbieter das Ziel, Nachfrager zum L.-Behavior zu bewegen, etwa weil er gegenwärtig keine marktfähigen Produkte anbietet, jedoch eine neue Generation entwickelt, so bieten sich ihm dazu folgende Möglichkeiten: (1) Produkt-Preannouncements: Durch Vorankündigung zukünftiger Produkte vor ihrer eigentlichen Markteinführung können Erwartungen hinsichtlich des Einführungszeitpunktes und der Leistungsfähigkeit auf der Nachfragerseite induziert werden. (2) Integration des Nachfragers in den Entwicklungsprozeß des zukünftigen Produktes: Für Anbieter besteht hier insbes. die Möglichkeit, Prototypen frühzeitig zu präsentieren, mit Lead-Usern zusammenzuarbeiten und dies gezielt mit Produktinformationen zu versorgen sowie Beta-Tests mit dem zukünftigen Produkt durchzuführen. Als Lead-User werden solche Nachfrager bezeichnet, deren Bedürfnisse als repräsentativ für einen Markt angesehen werden können und die eine hohe Kaufbereitschaft für zukünftige Produkte besitzen. Die Meinung von Lead-Usern entspricht für die übrigen Nachfrager einer neutralen Informationsquelle und besitzt somit eine entsprechend höhere Akzeptanz als direkte Anbieterinformationen. Beta-Tests sind dadurch gekennzeichnet, daß sie in möglichst realen Anwendungssituationen direkt beim Nachfrager durchgeführt werden. Damit können Anforderungen der Nachfrager optimal in die Produktentwicklung integriert werden, was die L.-Neigung erhöht.
II. Anbieterseitiges Leapfrogging: 1. Begriff: Darunter wird die bewußte Entscheidung eines Anbieters verstanden, in der Entwicklung eine Produktgeneration zu überspringen und die Entwicklungsanstrengungen auf zukünftige Produkte zu konzentrieren. - 2. Chancen und Risiken: Anbietern kann es durch Leapfrogging gelingen, im Vergleich zu den Konkurrenten schneller eine ausgereifte (zukünftige) Produktgeneration auf den Markt zu bringen und die Rolle des Marktpioniers einzunehmen. Das Auslassen einer Generation bewirkt jedoch auch einen Erfahrungs- bzw. Kompetenzrückstand des Anbieters, der sich negativ auf Leistungsmerkmale des zukünftigen Produktes und damit auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit auswirken kann.


Literatur: Pohl, A., Leapfrogging bei technologischen Innovationen: Ein Erklärungsansatz auf Basis der Theorie des wahrgenommenen Risikos, Wiesbaden 1996; Weiber, R./Pohl, A., Das Phänomen der Nachfrage-Verschiebung: Informationssucher, Kostenreagierer und Leapfrogger, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 66. Jg. (1996), Nr. 6, S. 675-696.

 

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