Wirtschaftslexikon - Enzyklopädie der Wirtschaft
lexikon betriebswirtschaft Wirtschaftslexikon lexikon wirtschaft Wirtschaftslexikon Suche im Wirtschaftslexikon
A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
 
 
 

Bevölkerungsökologie

Kulturökologie. 1. Allgemein: Der kulturökologische Ansatz der Bevölkerungswissenschaft bezeichnet einen analytischen Zusammenhang theoretischer und empirischer Beiträge zu einer sozialwissenschaftlichen Umweltkonzeption und greift zurück auf die Allgemeine Systemtheorie, die Sozialökologie der Chicago School, die Humanökologie und die Kulturanthropologie. Diese fanden in der Bevölkerung den ideal gegliederten Gegenstand, dessen Verwobenheit mit natürlicher Umwelt (Arbeit, Produktion), sozialer Umwelt (Nachbargemeinschaften) und den eigenen, endogenen Entwicklungsschüben (kulturelle Evolution) sich einem ökologischen Zusammenhangsdenken fügt. Der paradigmatische Anspruch der Bevölkerungsökologie zeigt sich darin, daß gemeinsame theoretische Grundlagen (wie der Funktionalismus) in Betriebswissenschaft und Politikwissenschaft eingegangen sind. Die Arbeit an der Bevölkerungsökologie hat durchaus paradigmatischen Anspruch und will die Sozialwissenschaft, vornehmlich die Soziologie, aus ihrem immanenten Problemzirkel und der einzelgesellschaftlichen Ausrichtung herausführen. Kulturökologie sichert in ihrer Betrachtungsweise zwar der Soziologie den Vorrang, öffnet sich jedoch bewußt den Nachbardisziplinen bis hin zu den Naturwissenschaften. - 2. Entwicklung: Kulturökologie war ursprünglich eine völkerkundliche Methode, um aufzuspüren, wie sich Stammesvölker über Jahrtausende in ihrem Lebensraum behauptet haben. Übereinstimmend verdanken sie dies einem, auf vielfältige Weise hergestellten Gleichgewicht zwischen Bevölkerungsgröße und Ressourcenbasis. Kultur ist die Allokation sämtlicher Güter (einschließlich der Stellung in Hierarchien) und ist Frühwarnsystem für allfällige Knappheiten. Kultur ist damit Überlebensprogramm, das die Individuen für die Gruppenziele mobilisiert. Sie wären - nach Darwin - zum einen anzugeben mit der Sicherung der Fortexistenz (survival) der Gruppe und zum andern mit der Hervorbringung ausreichenden Nachwuchses (successful reproduction).Was überlebt, sind eigentlich Kulturen, die sich in einer Umwelt einrichten und sie zur Subsistenzbasis umrüsten. Für diese Aufgabe benötigen Kulturen jedoch ein allgemeines Organisationsprinzip, das durch alle kulturelle Vielfalt hindurchscheint. Es ist dies der sog. ökologische Komplex (Otis D. Duncan). Er ist die vierpolige Zusammenfügung von Technologie, die sich an einer Umwelt erprobt und bildet, um einer Bevölkerung die Existenz zu sichern. Diese muß strukturiert sein, eine bestimmte Sozialorganisation haben, um sich mit Techniken in wandelbarer Umwelt erfolgreich zu bewähren. Es ist Aufgabe von Kultur, diesen ökologischen Komplex so zu kombinieren, daß er als Überlebensprogramm taugt. Für Menschengruppen ist es angebracht, von einem kulturökologischen Komplex zu sprechen, der sich im Zuge kultureller Evolution neu formiert. Bevölkerungsökologie heißt, das Schicksal von Bevölkerungen in dieser Weise mit Technik und Umwelt zu verknüpfen und zu analysieren. Der kulturökologische Komplex formt seine Säulen je nach geschichtlichem Entwicklungsstand ineinander. Im Kern enthält er die Ernst Haeckelsche Bestimmung von Ökologie als die gesamten Beziehungen von Lebewesen zu ihrer Umwelt. Er unterliegt den Bewegungsgesetzen lebender Systeme und zeigt verschiedene Arten von Dynamik und Entwicklung. Die "Ur-Balance" des Komplexes ist diejenige zwischen Bevölkerungsgröße und Ressourcenbasis, die kulturelle Evolution läßt sich in diesbezüglichen Gleichgewichtsformen darstellen: (1) Homöostatisches Gleichgewicht zeigt der kulturökologische Komplex bei Naturvölkern. Langfristig erprobte Erfahrungswerte gingen in Riten und Tabus ein und bewahrten ohne Veränderung von Bevölkerungszahl und ökologischer Nische die Kultur. Störungen lösen Wiederherstellungsmechanismen aus. (2) Zum Fließgleichgewicht müssen Kulturen übergehen, die sich auf den Entwicklungspfad (Evolution) begeben. Die Ursachen für Kulturschübe werden in der Boserup-These anschaulich gemacht, von denen die Neolithische Revolution und die Industrielle Revolution die markantesten geworden sind. Der kulturökologische Komplex strukturierte sich jeweils völlig um. Innovation und Expansion ergriff alle vier Säulen des Komplexes. Sie wachsen quantitativ, die Entscheidungsinstanzen der Sozialorganisation richten sich danach aus. (3) Die Gegenwart ist charakterisiert von entgleisten kulturökologischen Systemen in Entwicklungsländern, die sich in Bevölkerungsexplosion, technischen Mängeln, Umweltproblemen und Destabilisierung in sozialen Bereichen zeigt. Die Kontakte mit der modernen Welt führten zu raschen (exogenen) Sterblichkeitssenkungen und exorbitanten Geborenenüberschüssen. Der Verlust von traditionellen Knappheitsvorstellungen hinsichtlich der verfügbaren Umweltressourcen hat auch das alte Vorsorgeverhalten beseitigt. Entwicklungshilfe wird dauerhaft nötig, um von außen (exogen) verursachte Systemstörungen auch von außen zu korrigieren. Entscheidungs- und Handlungsfehler sind in entgleisten Systemen sowohl für Einheimische und erst recht für Entwicklungshelfer typisch. (4) Die aktualisierte Kulturökologie befaßt sich mit den Ungleichgewichten der postindustriellen Systeme des Westens. Ihre Veränderungsdynamik läßt sie keine Haltepunkte mehr finden. Mit der Konstruktion intelligenter Systeme, die - nach dem Muster des Marktes (F. A. Hayek) - die Träger der Information und Steuerung sind, wird der postindustrielle kulturökologische Komplex zum funktionalen Gebilde, der in fortwährendem Austausch und in Konkurrenz mit Nachbarsystemen in ständigem Umbau begriffen ist. - 3. Ausblick: Umweltanpassung muß mit immer mehr Komplexität fertigwerden und wird zum schwierigen Systemerfordernis. Sie zwingt die Sozialorganisation zu immer anspruchsvolleren Systemleistungen: Stabilität (Makrostabilität), Flexibilität (Mikrovariabilität) und Mehrebenenstruktur sollen nach dem Subsidiaritätsprinzip agieren; der Umgang mit Komplexität, Ungleichgewicht, Marktturbulenzen wird zur Überlebensbedingung moderner Systeme.

 

<< vorheriger Begriff
nächster Begriff>>
Bevölkerungsmodelle
Bevölkerungsökonomie

 

Diese Seite bookmarken :

 
   

 

  Weitere Begriffe : Organschaft | Official Development Assistance | Ernteertrag | Fremdentscheidung | Eingliederung
wiki wirtschaft

Thematische Gliederung | Unser Projekt | Impressum