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staatssozialistische Marktwirtschaft

I. Begriff: Wirtschaftsordnung mit dominierendem Staatseigentum an den Produktionsmitteln, in der die zentrale staatliche Planung und Lenkung der makroökonomischen Prozesse mit dezentraler betrieblicher Planung der mikroökonomischen Abläufe und deren Koordination über Märkte verbunden ist. In Ungarn wurde das entsprechende Konzept des "Neuen Wirtschaftsmechanismus" 1968 eingeführt (im folgenden dargestellt). Die angestrebte "Synthese von Plan und Markt" löste das dort zuvor realisierte Modell einer staatssozialistischen Zentralplanwirtschaft mit dem Ziel ab, dessen systemtypische Ineffizienzen ohne Infragestellung der politischen Ordnung zu überwinden. Nachdem zwischen 1973 und 1978 wieder verstärkt auf zentralplanwirtschaftliche Lenkungsmethoden zurückgegriffen wurde, fand bis Ende der 80er Jahre eine Rückbesinnung auf das ursprüngliche Reformkonzept statt, das dabei nicht unerheblich erweitert wurde.
II. Wirtschaftskoordination: 1. Von den zentralen Wirtschaftslenkungsorganen (Ministerrat, Ministerien, Planungskommission, Landesplanungsamt, Zentralbank etc.) wurden erstellt: a) konzeptioneller Langfristplan (Zeithorizont etwa 15-25 Jahre); b) Fünfjahrplan, der als Hauptinstrument der staatlichen Wirtschaftspolitik die wesentlichen Zielsetzungen (u. a. Wirtschaftswachstum, Verwendung des Nationaleinkommens, Entwicklung des Preisniveaus und der Beschäftigtenzahl, Außenhandelsbeziehungen) und die zu deren Verwirklichung einzusetzenden Instrumente, insbes. aus dem Bereich der Preis-, Wechselkurs-, Lohn- und Fiskalpolitik, enthielt; c) Jahresplan, der die operativen Aufgaben der Wirtschaftspolitik entsprechend dem Fünfjahrplan bei flexibler Anpassung an zwischenzeitliche Datenänderungen festlegte. Dieser staatliche Volkswirtschaftsplan war, anders als in staatssozialistischen Zentralplanwirtschaften, für die Betriebe, auch wenn sie sich in Staatseigentum befanden, nicht verbindlich, sondern diente der Abstimmung zwischen den verschiedenen Trägern der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftseinheiten. - 2. Die Unternehmen konnten ihre Geschäftspolitik selbst bestimmen und agierten dabei unter Berücksichtigung der staatlich gesetzten Daten auf Märkten. Eine wesentliche Ausnahme bildete das staatliche Außenhandelsmonopol. - 3. Unternehmerisches Formalziel war die Gewinnerzielung (Gewinnprinzip). Ansatzpunkt der Wirtschaftspolitik zur Realisierung der zentralen Zielvorstellungen war die Variation der erwähnten Instrumente ("ökonomische Regulatoren"), die die Gewinnerzielung und -verwendung und dadurch das Unternehmensverhalten beeinflussen. Mit der Reform von 1968 wurde die freie Marktpreisbildung zugelassen, um so die allokative Wirksamkeit der Markt-Preis-Mechanismen zu erhöhen. Dem stand jedoch nicht zuletzt die ausgesprochen monopolistische bzw. oligopolistische Unternehmensstruktur als Erbe aus zentralplanwirtschaftlicher Vergangenheit entgegen. Deswegen sah man sich 1980 dazu gezwungen, ein "kompetitives Preissystem" einzuführen, bei dem die inländischen Preise soweit wie möglich an die Weltmarktpreise gekoppelt wurden, um so die Konkurrenzsituation auf den Weltmärkten auf den Inlandsmarkt zu übertragen. Konnten die Staatsunternehmen anfangs (mit entsprechenden negativen Folgen auf ihr Gewinnerzielungsinteresse) darauf vertrauen, Verluste aus dem Staatshaushalt ersetzt zu bekommen, waren sie seit 1984 der Liquidationsgefahr ausgesetzt. Die Marktüberwachung als Regulierungsamt sollte staatlicherseits unerwünschte Marktergebnisse aufspüren und ihnen entgegenwirken. Ein weiteres wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument war die staatliche Investitionszuteilung, durch die eine den wachstums- und zahlungsbilanzpolitischen Zielen entsprechende Branchenstruktur realisiert werden sollte. - 4. Zur Erhöhung der Effizienz der Kapitalallokation wurde die Investitionspolitik liberalisiert und der relativ große Anteil der staatlich reglementierten Investitionen verringert. Vergrößert wurden dabei die Möglichkeiten der dezentralen Kapitalallokation durch a) Schaffung eines zweistufigen Bankensystems (neben der Zentralbank bestehen organisatorisch und geschäftlich unabhängige, nach dem Gewinnprinzip arbeitende Geschäftsbanken mit eigenem Kreditvergabespielraum) und b) Erlaubnis an Unternehmen, Fremdkapital durch die Ausgabe von Obligationen aufzunehmen bzw. Obligationen anderer Unternehmen zu erwerben (letzteres galt auch für private Haushalte). - 5. Seit Mitte der 80er Jahre waren in den Staatsunternehmen Selbstverwaltungskörperschaften institutionalisiert, die den Unternehmensdirektor wählen und Einfluß auf die Geschäftspolitik haben. Wesentliche Eigentümerrechte (Gründung, Fusion etc.) standen in der Vergangenheit nur den Branchenministerien zu, die daneben einen starken Einfluß auf die Betriebe ausübten. Um dem zu begegnen, wurden die Staatsbetriebe 1989 in Kapitalgesellschaften umgewandelt und staatlichen Treuhandverwaltungen unterstellt. - 6. In den 80er Jahren waren vielfältige Reformbemühungen auch im Eigentumsbereich zu verzeichnen (u. a. kleine privatwirtschaftliche Arbeitsgemeinschaften, Genossenschaften). Seit Anfang der 90er Jahre wird die st. M. in Ungarn in eine privatwirtschaftliche Marktwirtschaft umgestaltet.

 

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