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selbstverwaltete sozialistische Marktwirtschaft

I. Begriff: Wirtschaftsordnung mit dominierendem Gesellschaftseigentum an den Produktionsmitteln sowie dezentraler Planung und Lenkung der Produktions- und Verteilungsprozesse durch die privaten Haushalte und Unternehmen über Wettbewerbsmärkte bei freier Preisbildung (Marktwirtschaft). Die s.s.M. war in Jugoslawien realisiert.
II. Wirtschaftsorganisation und -koordination: 1. Das Gesellschaftseigentum ist juristisch negativ definiert: Weder der Staat noch Private (mit Ausnahmen in Landwirtschaft und Kleingewerbe) dürfen Produktionsmitteleigentum erwerben. Diese Definition bewirkt, daß das Gesellschafts- praktisch Gruppeneigentum der Beschäftigten der einzelnen Betriebe ist, über dessen Nutzung (Produktionsprogramm, Faktornutzung etc.) die Mitarbeiter im Rahmen der Arbeiterselbstverwaltung entscheiden. - Unternehmerisches Formalziel ist die Einkommensmaximierung (Einkommensprinzip); über die Reinvestition des am Markt erzielten Unternehmensüberschusses bzw. seine Ausschüttung an die Mitarbeiter entscheiden die Selbstverwaltungsorgane in den Unternehmen. - Seine Nutzungsrechte und das Recht auf Beteiligung am Unternehmensüberschuß verliert der einzelne Beschäftigte beim Austritt aus dem Unternehmen. Dabei wird auch sein Einkommensverzicht in der Vergangenheit zur Finanzierung der betrieblichen Investitionen, obwohl diese mit Grundlage der weiteren Einkommenserzielung der verbleibenden Mitarbeiter sind, nicht kompensiert. - 2. Die wirtschaftspolitischen Ziele, Entwicklungsstrategien und Instrumente werden in sehr allgemein gehaltenen und zwischen allen Beteiligten kooperativ ermittelten Gesellschafts- und Entwicklungsplänen fixiert und sollen durch ein System freiwilliger Absprachen zwischen den staatlichen Instanzen, Interessengruppen und Unternehmen durchgesetzt werden. Nicht zuletzt sollen durch solche Absprachen die gesamtwirtschaftlichen Probleme, die sich aus Gesellschaftseigentum, Einkommensprinzip und Arbeiterselbstverwaltung resultieren (vgl. III) entschärft werden, womit jedoch eine Beschränkung der Selbstverwaltungsautonomie der Beschäftigten verbunden ist. - Handelt es sich bei der jugoslawischen Wirtschaftsordnung von der Konzeption her um eine Martkwirtschaft, überlagern und verdrängen die Absprachen und daneben die Selbstverwaltungsabkommen (zwischen Unternehmen oder öffentlichen Körperschaften/Interessengruppen gleicher Hierarchieebene) jedoch den Marktwettbewerb erheblich, so daß eher von einem kooperativen "Verhandlungssozialismus" gesprochen werden muß. Der Markt-Preis-Mechanismus wird auch durch den großen Anteil staatlich gesetzter bzw. reglementierter Preise, die ausgesprochen monopolistischen bzw. oligopolistischen Marktstrukturen sowie eine nicht selten diskretionär-interventionistische und in sich inkonsistente Wirtschaftspolitik stark beeinträchtigt.
III. Funktionsprobleme, bewirkt durch Gesellschaftseigentum, Einkommensprinzip und Arbeiterselbstverwaltung: 1. Die Beschäftigten stimmen nur zurückhaltend Neueinstellungen zu, da jedes zusätzliche Gruppenmitglied das Pro-Kopf-Einkommen schmälert, ohne daß sicher ist, ob der zusätzliche Arbeitseinsatz dies ausgleicht. Folgen sind a) eine tendenziell hohe Arbeitslosigkeit und b) eine relativ kapitalintensive Produktion. - 2. Der Reinvestition des Unternehmensüberschusses (mit der Aussicht auf unsicheres zukünftiges Einkommen und der Gefahr des kompensationslosen Verlusts der Einkommensanrechte beim Austritt aus dem Unternehmen) wird die Ausschüttung als in der Gegenwart verfügbares Einkommen vorgezogen; Folgen sind a) vergleichsweise hohe Kreditfinanzierung der betrieblichen Investitionen und b) durch die damit verbundene Kreditschöpfung (gleich Geldschöpfung) der Geschäftsbanken hohe Inflationsanfälligkeit. - 3. Da das individuelle Einkommen vom jeweiligen Unternehmenserfolg abhängt, sind auch bei gleicher Qualifikation der Beschäftigten große zwischenbetriebliche Einkommensunterschiede zu beobachten. Die bestehende Tendenz, daß das persönliche Einkommen der Mitarbeiter erfolgreicher Unternehmen oft Maßstab der Selbstverwaltungsorgane in den weniger erfolgreichen Unternehmen für deren Ausschüttungsentscheidungen ist, verstärkt die unter Punkt III 2 erwähnten Probleme. - 4. Das Gesellschaftseigentum verhindert das Entstehen eines Kapitalmarkts und fördert hierdurch die Fehlallokation des Produktivvermögens. - 5. Die Dezentralisierung bzw. "Deetatisierung" durch gesellschaftliche Absprachen ist verbunden mit einer Regionalisierung der Wirtschaftspolitik: Sie fördert den Lokalegoismus der Beteiligten und verhindert hierdurch die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse innerhalb des Gesamtstaates.

 

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