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gesamtwirtschaftliche Planung

I. Begriff: Kennzeichnung für unterschiedliche Verfahren zur Ausrichtung der einzelwirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb einer Wirtschaftsordnung auf ein nach unterschiedlichen Methoden ermitteltes gesamtgesellschaftliches Zielbündel durch staatliche bzw. gesellschaftliche Instanzen. Die g. P. soll je nach zugrunde liegender Konzeption gänzlich an die Stelle der Koordination der individuellen Wirtschaftspläne mittels des Markt-Preis-Mechanismus (Marktwirtschaft) treten, diesen partiell ersetzen oder lediglich korrigierend beeinflussen. Theoretisch wird die g. P. durch die Annahme gerechtfertigt, daß die marktwirtschaftliche Koordination nicht oder nur unzureichend eine gesamtgesellschaftlich rationale Güterallokation vermitteln könne (Marktversagen): 1. Einzelwirtschaftliche Planung führe u. U. auch bei Verfolgung individueller rationaler Ziele zu gesamtwirtschaftlich negativ zu wertenden Ergebnissen (z. B. unzureichende individuelle Zukunftsvorsorge bei unterstellt vorherrschenden Gegenwartspräferenzen, ausschließliche Gewinnorientierung bei Vernachlässigung sozialer und ökologischer Folgeprobleme der Güterproduktion). - 2. Der Marktmechanismus sei nur ungenügend zur ex-ante-Koordination der einzelnen Wirtschaftspläne geeignet, so daß insbes. Investitionsentscheidungen, getroffen auf der Basis gegenwärtig bekannter Daten, sich in der Zukunft leicht als falsch erweisen könnten. Dies führe zu Kapitalfehlallokationen. Dieses Problem würde mit zunehmender Kapitalintensivierung der Produktion immer gravierender, da hierdurch die Anpassungsflexibilität des Kapitalstocks sinke. - 3. Der private Sektor sei prinzipiell instabil (Annahme des Keynesianismus, Keynessche Lehre). - 4. Nur mittels nationalstaatlicher g. P. ließe sich der wachsende Einfluß internationaler Großkonzerne auf die inländische Volkswirtschaft begrenzen. - Die g. P. umfaßt ihren Vertretern zufolge mehr als die traditionelle Wirtschaftspolitik (allgemeine Wirtschaftspolitik): Sei letztere lediglich eine reaktive Anpassung an bereits erfolgte Fehlentwicklungen, handle es sich bei der g. P. um eine antizipierende Koordinierung des Wirtschaftsprozesses, durch die derartige Fehlentwicklungen a priori verhindert werden könnten.
II. Theoretische Konzeptionen und Methoden: 1. Gemeinsam ist den unterschiedlichen Konzepten der g. P. die Vorstellung, daß die Volkswirtschaft eine Organisation ist, für die: a) eine gesamtwirtschaftliche Ziel- bzw. Wohlfahrtsfunktion ermittelt werden kann, b) die ökonomischen Prozesse von einer Zentralinstanz umfassend überschaut und zutreffend prognostiziert werden können, c) diese Prozesse sich zentral so steuern lassen, daß die Wohlfahrtsfunktion maximiert wird und somit d) der Wirtschaftsprozeß in Struktur und Ergebnis beliebig gestaltbar ist. - 2. Unterscheidung der Konzeptionen: a) Danach, wie die gesamtwirtschaftlichen Ziele und Wege zu deren Erreichung ermittelt und festgelegt werden: (1) Eine Zentralinstanz legt autoritär Ziele und Mittel fest und stützt sich dabei i. d. R. auf ihre eigenen Präferenzen. (2) Der Inhalt der g. P. wird in einem partizipatorisch-demokratischen Wahlprozeß von allen Wahlbürgern gemeinsam festgelegt. (3) Zielbündel und zieloptimaler Plan werden durch einen Wirtschafts- und Sozialrat ermittelt; in ihm sind alle Sozialverbände und Interessengruppen zusammen mit Vertretern sonstiger als schutzwürdig angesehener Interessen vertreten und koordinieren dort ihre gruppenspezifischen Einzelinteressen. - b) Der ermittelte Plan kann (1) zwingend verbindlich sein (zentralgeleitete Wirtschaft), (2) durch indirekt wirkende prozeßpolitische Instrumente realisiert werden (staatssozialistische Marktwirtschaft) oder (3) ausschließlich orientierenden Charakter haben und u. a. durch Methoden der moral suasion gegenüber den Planadressaten implementiert werden (Planification) . Indirekte sowie orientierende g. P. bei partizipatorisch-demokratischer Entscheidungsfindung sind Konzeptionen unter den Rahmenbedingungen einer privatwirtschaftlichen Marktwirtschaft, autoritätzwingende g. P. dagegen unter den Bedingungen einer staatssozialistischen Zentralplanwirtschaft. - c) Nach dem Umfang: (1) Struktur- und/oder Niveausteuerung der makroökonomischen Aggregate und Prozesse sowie (2) umfassende Detailsteuerung mikroökonomischer Größen. Dabei kann sich die g. P. auf ein umfassendes gesamtgesellschaftliches Zielbündel oder einige ausgewählte, als besonders wichtig angesehene, Einzelziele (z. B. Wachstum, Vollbeschäftigung, Preisniveaustabilität, Zahlungsbilanzgleichgewicht) beziehen. - 3. Methoden der Entscheidungsvorbereitung (Ermittlung von Planungsalternativen und Entwicklungsprognosen): a) Bilanzierungsmethode, b) gesamtwirtschaftliche oder sektorale Input-Output-Berechnungen (Input-Output-Analyse) und c) ökonometrische Simulationsmodelle (Ökonometrie II).
III. Konzeptionelle Probleme: 1. Erforderlich ist für die g. P. ein eigenständiges gesamtwirtschaftliches Informationssystem, da die Marktpreise die Informationsfunktion annahmegemäß nur unzureichend erfüllen. Da a priori nicht erkennbar ist, welche Informationen für die Entscheidungsfindung relevant sind, müssen tendenziell mehr Informationen zentralisiert werden, als tatsächlich notwendig sind. Dadurch steigen die Kosten der Informationsgewinnung, ohne daß dem zwingend ein zusätzlicher Nutzen gegenübersteht. Darüber hinaus lassen sich die überaus wichtigen spezifischen Kenntnisse der einzelnen Wirtschaftssubjekte über die besonderen Umstände von Ort und Zeit nicht zentralisieren (v. Hayek). - 2. Partizipatorisch-demokratische g. P. kann leicht zu inkonsistenten Wahlentscheidungen führen (Arrow-Paradoxon), woraus eine große Strategieanfälligkeit dieses Verfahrens folgt. Auch ist zu befürchten, daß die Wahlbürger aufgrund der Komplexität der von ihnen zu beurteilenden ökonomischen Sachverhalte überfordert werden, so daß sich dann leicht die Selbstinteressen der Planungsbürokratie durchsetzen können. - 3. Es erscheint fraglich, ob koordinierende Planungsräte aufgrund der dort repräsentierten konfligierenden gruppenspezifischen Interessen konsensfähig sind. - 4. Eine zutreffende Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung und Ergebnisse ist schwerlich möglich: Die Entwicklung der der Planung zugrunde liegenden Rahmenbedingungen muß selbst unter Hinzuziehung weiterer Annahmen prognostiziert werden, die ebenfalls veränderlich sein können (Problem des infiniten Regresses). Daneben wird verkannt, daß sich aufgrund der Komplexität und der gegenseitigen Interdependenzen der ökonomischen Abläufe, unvorhersehbarer Datenänderungen und einem begrenzten Informationsstand keine detaillierten Ergebnisprognosen, sondern allenfalls Vorhersagen über Verhaltens- und Ablaufmuster ("Mustervorhersagen", v. Hayek) treffen lassen. - 5. Durch fehlerhafte Planung oder Änderung der zugrunde gelegten Ausgangsdaten kann ein aufgestellter und implementierter Plan hinfällig werden, dies um so wahrscheinlicher, je länger der zu planende Zeitraum ist. Durch die relativ langwierigen Koordinationsverfahren der g. P. kann dieser Plan jedoch nur sehr zeitverzögert und damit unflexibel abgeändert werden. Da die g. P. zudem den Entscheidungsfreiraum der Individuen einschränkt, werden auch diese gehindert, sich geänderten Umweltbedingungen flexibel anzupassen. - 6. In keinem realisierten System der g. P. wurden bisher eindeutig ausformulierte Zielfunktionen aufgestellt, allenfalls wurden Einzelziele genannt, ohne daß deren Gewichtung und Optimalwerte überprüfbar fixiert wurden. Dies führt jedoch zu einer gewissen Beliebigkeit der g. P. - 7. Zur Vermeidung extern verursachter und nicht beeinflußbarer Datenänderungen muß die Volkswirtschaft bei g. P. möglichst geschlossen sein, was jedoch einen Verzicht auf die gesamtwirtschaftlich wohlfahrtssteigernde Wirkung der internationalen Arbeitsteilung bedeutet. - Aufgrund dieser und weiterer Schwächen wird der unterstellte Effizienzvorteil der g. P. gegenüber der marktwirtschaftlichen Koordination vielfach skeptisch beurteilt. Eher sei es sinnvoll, den Marktmechanismus durch problemorientierte Ordnungspolitik funktionsfähig und flexibel zu gestalten, als ein fehlerhaft verstandenes "Marktversagen" gegen g. P. mit hoher Neigung zum "Staatsversagen" einzutauschen (Wohlfahrtsstaat).

 

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