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Infrastruktur

Infrastrukturkapital. 1. Begriff: Unter I., versteht man die Grundausstattung einer Volkswirtschaft (eines Landes, einer Region) mit Einrichtungen, die zum volkswirtschaftlichen Kapitalstock gerechnet werden können, die aber für die private Wirtschaftstätigkeit den Charakter von Vorleistungen haben. Klassische Beispiele sind Verkehrsnetze (Straßen, Schienen- und Wasserwege) sowie Ver- und Entsorgungseinrichtungen (Energie, Wasser, Kommunikationsnetze), ohne deren Existenz eine privatwirtschaftliche Güterproduktion oder Leistungserstellung nicht oder zumindest nur mit geringerer Effizienz möglich wäre (wirtschaftsnahe Infrastruktur). - Arten: (1) Die Ausstattung einer Volkswirtschaft mit derartigen materiellen Gütern ist gemeint, wenn man - in einem engeren Sinne - von der materiellen Infrastruktur spricht. Im angelsächsischen Sprachgebrauch wird hierfür die Bezeichnung social overhead capital verwandt. (2) In einem weiteren Sinne zählt man zur Infrastruktur aber auch den Aufbau oder die Verbesserung des Humankapitals, immaterielle I., personale I., z. B. durch das Bildungswesen, Forschungseinrichtungen, aber auch Gesundheits- und andere soziale Dienstleistungen. (3) Ein noch umfassenderes Begriffsverständnis schließt auch den institutionellen Rahmen, das ist insbes. die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung mit ein. - 2. Merkmale: Einrichtungen der Infrastruktur weisen i. d. R. einige oder alle der folgenden ökonomischen Merkmale auf: a) Investitionscharakter: Dies ist offensichtlich für die Bestandteile der materiellen Infrastruktur (Verkehrswegebau, leitungsgebundene Energieversorgung, Telekommunikationsnetze). Weithin unstrittig ist aber auch der Investitionscharakter von Ausgaben für das Bildungswesen oder für Forschung und Entwicklung (Investitionen in das Humankapital). Der institutionellen Infrastruktur (z. B. allgemeine Verwaltung, Rechtsprechung) fehlen dagegen Merkmale von Investitionsgütern (das Vorhandensein von Verwaltungs- oder Gerichtsgebäuden ist in diesem Zusammenhang nicht das relevante Merkmal). - b) Lange Nutzungsdauer mit entsprechend langer Kapitalbindung. - c) Es handelt sich häufig um große Investitionsprojekte mit hohem Kapitalbedarf. - d) Die Projekte sind typischerweise nicht beliebig teilbar. Aus technischen Gründen ist i. d. R. eine Mindestgröße oder -leistung erforderlich. Die Angebotsmenge kann sich zudem nicht an der marginalen Nachfrageeinheit orientieren, sondern muß auf eine durchschnittliche Inanspruchnahme hin konzipiert werden. Es wird also ein bestimmtes Leistungsangebot vorgehalten, unabhängig davon, ob es zu jeder Zeit eine entsprechende Nachfrage gibt (z. B. das fahrplanmäßige Transportangebot öffentlicher Verkehrsmittel). - e) Ebenfalls typisch sind externe Effekte. Eine verbesserte Verkehrsanbindung kann die Attraktivität einer Region insgesamt steigern und z. B. zu höheren Grundstückswerten führen (positive externe Effekte). Andererseits kann das größere Verkehrsaufkommen aber auch zu Beeinträchtigungen der Lebensqualität führen (negative externe Effekte). - f) Die Nutzung der Infrastruktur kann unentgeltlich sein (in Deutschland z. B. der Besuch allgemeinbildender Schulen) oder auch die Entrichtung eines Entgelts erfordern (z. B. Gebühren für öffentliche Ver- und Entsorgungsleistungen). Da die Kosten je zusätzlicher Leistungseinheit im allg. sinken (fallende Durchschnittskosten), sind spezielle Preisbildungsregeln erforderlich (peak-load-pricing). Anbieterseitig liegen zudem häufig Bedingungen eines natürlichen Monopols vor, die normalerweise eine staatliche Regulierung hinsichtlich Preis und Qualität der Leistungen, aber auch der Versorgungssicherheit erforderlich machen. - g) Aus diesen Merkmalen leitet sich die traditionelle Auffassung von Infrastruktur als einem überwiegend öffentlichen Gut, Kollektivgut, im Sinne der Finanzwissenschaft ab. Eine privatwirtschaftliche Leistungserstellung ist deshalb nicht prinzipiell ausgeschlossen, in der Praxis ist sie bislang aber eher die Ausnahme (Privatschulen, -universitäten, privat betriebene Autobahnen). Die Frage der Privatisierung öffentlicher Leistungen ist heute aber ein wichtiges Thema der Infrastrukturpolitik. - 3. Statistische Messung der I.-Ausstattung: Zu unterscheiden ist die Messung des Bestands an Infrastrukturkapital von der Messung der Strömungsgröße Infrastrukturinvestitionen. a) Den Bestand an materieller Infrastruktur mißt man üblicherweise in physikalischen Größen (z. B. Kilometerlänge des Schienen- oder Straßennetzes, Zahl der Telefonanschlüsse oder Zahl der Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner). Den Bestand an immaterieller Infrastruktur kann man nur ansatzweise messen. Als Indikator für das allgemeine Bildungsniveau könnte z. B. der Anteil der Wohnbevölkerung eines Landes, der einen Hochschulabschluß besitzt, herangezogen werden. Hinsichtlich der institutionellen Infrastruktur gibt eine Bestandsrechnung kaum Sinn (Zahl der Gesetzesvorschriften!). - Eine zusammenfassende Quantifizierung des Infrastrukturkapitals einer Volkswirtschaft würde einheitliche monetäre Bewertung der verschiedenen Komponenten voraussetzen. Dies läßt sich in der Praxis nicht realisieren. - b) Die Strömungsgröße der Infrastrukturinvestitionen kann im Falle von Sachanlagen relativ problemlos gemessen werden (z. B. Herstellungskosten eines Straßenneubaus). Aufwendungen für die immaterielle Infrastruktur werden dagegen wirtschaftsstatistisch und auch im System der Kameralistik überwiegend als laufende Ausgaben erfaßt (z. B. Gehälter von Lehrkräften). Ähnliches gilt für den Bereich der institutionellen Infrastruktur Die Kosten eines Universitäts- oder eines Gerichtsneubaus können allerdings als Investitionsaufwendungen identifiziert werden. - Abgesehen von diesen Zuordnungsproblemen, die sich aus der herkömmlichen statistischen Praxis ergeben, ist zu beachten, daß die öffentlichen Leistungen im Rahmen der Sozialproduktsrechnung zu Herstellungskosten erfaßt werden (VGR). Es liegt also kein Wertansatz entsprechend Marktpreisen vor. - c) Effizienzmessungen: Wichtiger als reine Bestandsmessungen oder eine Erfassung der quantitativen Zuwächse an Infrastruktur ist die Messung der Infrastrukturleistungen. Diese Betrachtungsweise ist output- oder ertragsorientiert. - Beispiele sind: Transportleistungen eines Verkehrssystems (Jahrestonnen, Personenkilometer); Jahreserzeugung an elektrischem Strom; Häufigkeit von Versorgungsengpässen; Klärkapazität der öffentlichen Abwasserentsorgung; durchschnittliche Dauer der schulischen/universitären Ausbildung; durchschnittliche Dauer von Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren oder Verwaltungsgerichtsprozessen. - Hierbei handelt es sich um quantifizierbare, wenn auch nicht in einem einheitlichen Maßstab darstellbare Sachverhalte, die häufig einer ergänzenden qualitativen Bewertung bedürfen, um Leistungsvergleiche zu ermöglichen (ist eine 13-jährige Schuldauer besser als eine 12-jährige?). - 4. Historie: Der Begriff Infrastruktur hat im wirtschaftswissenschaftlichen und -politischen Sprachgebrauch erst in den 60er Jahren Verbreitung gefunden. Die Bedeutung der Infrastruktur für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes wurde allerdings schon von den Merkantilisten (Merkantilismus) diskutiert und ihre Bereitstellung als zentrale Aufgabe des Staates gesehen (z. B. Straßenbau in Frankreich unter der Herrschaft Napoleons I). Auch die klassischen Ökonomen erkannten die Wichtigkeit der Infrastruktur für Wachstum und Wohlstandsmehrung (hier insbes. auch die Rolle der Wissenschaft als Voraussetzung für technischen Fortschritt), wollten dies aber möglichst weitgehend in privatwirtschaftlicher Organisation. Zu den Wegbereitern heutiger Auffassungen gehört F. List mit seiner Theorie der produktiven Kräfte. Danach ist die Infrastruktur im weitesten Sinne eine wesentliche Quelle der Produktivkraft einer Volkswirtschaft. Das moderne Verständnis ist v. a. durch Beiträge der Finanzwissenschaft (Theorie der öffentlichen Ausgaben; Theorie der öffentlichen Güter) geprägt worden. Auch im Rahmen der Entwicklungstheorie ist die komplementäre Funktion (öffentlicher) Infrastrukturinvestitionen zu den privatwirtschaftlichen Investitionen für die Entwicklungsmöglichkeiten der Länder hervorgehoben worden.

 

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