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Entwicklungstheorie

Ökonomik der Entwicklungsländer.
I. Begriff: Entwicklungstheorie beschäftigt sich mit der systematischen Analyse der Probleme von Volkswirtschaften der Entwicklungsländer. Obgleich das allgemeingültige wirtschaftswissenschaftliche Instrumentarium angewandt wird, müssen die Spezifika der Entwicklungsländer dabei besonders berücksichtigt werden. Im Gegensatz zur Entwicklungspolitik geht es der Entwicklungstheorie um grundsätzliche Erklärungsmuster der wirtschaftlichen Entwicklung (Ursachenanalysen).
II. Untersuchungsgegenstand: 1. Entwicklung: Entwicklung kann als Prozeß oder als Zustand gedeutet werden. Entwicklungstheoretische Ursachenanalysen beschäftigen sich mit dem Entwicklungs-Prozeß, statistische Klassifizierungen der Entwicklungsländer mit dem Entwicklungsstand. - Unter ökonomischer Entwicklung wird ein Prozeß verstanden, in dessen Verlauf das reale Pro-Kopf-Einkommen (PKE) über einen längeren Zeitraum ansteigt, ohne daß die Zahl der Menschen, die weniger als einen bestimmten Mindestkonsum zur Verfügung haben, wächst (absolute Armut), ohne daß es zu einer ungleicheren Einkommensverteilung, einer weiteren Umweltverschlechterung oder einer größeren ökonomischen Abhängigkeit vom Ausland kommt. - 2. Indikatoren der Entwicklung: Der Entwicklungsstand kann mit Hilfe von Sozialindikatoren oder Partialindikatoren gemessen werden. - Probleme einer Rangordnung mit Hilfe von Sozialindikatoren ergeben sich durch das nicht lösbare Gewichtungsproblem bei der Aggregation der einzelnen Indikatoren, wobei soziale (u. a. Alphabetisierungsrate, Zeitungen pro 1.000 Einwohner, Kalorienverbrauch), demographische (u. a. Geburten- und Sterberaten, urbaner Bevölkerungsanteil, Lebenserwartung), wirtschaftliche (u. a. PKE, Elektrizitätsverbrauch, Anteil des Außenhandels am BSP) und politische (u. a. Stärke demokratischer Institutionen bzw. der Arbeiterbewegung, Intensität des politischen Wettbewerbs zwischen den Parteien) Indikatoren gemessen werden. - Leicht verfüg- und interpretierbar ist das PKEntwicklungstheorie Für den internationalen Wohlstandsvergleich ergeben sich jedoch Verzerrungseffekte aus der unterschiedlichen Markttransaktionstiefe: Der Eigenverbrauch in Entwicklungsländern liegt erheblich höher als in Industrieländern, es bestehen unterschiedliche nationale Preisrelationen (arbeitsintensive Dienstleistungen sind in Entwicklungsländern billiger als in Industrieländern, bei Industrieprodukten verhält es sich umgekehrt) und letztlich sind die staatlichen Vorleistungen in Industrieländern höher als in Entwicklungsländern. Die Vereinten Nationen (UN) entwickelten mit Hilfe eines Realkaufkraftvergleichs (sog. Internationales Vergleichsprojekt) aussagekräftigere Zahlen für den internationalen Wohlstandsvergleich. In letzter Zeit findet der human development index starke Beachtung. - 3. Entwicklungsländer: a) Einteilung: (1) Wirtschaftliche Kriterien: Nach der Höhe des PKE unterteilt die Weltbank (Angaben für 1993) in Länder mit niedrigem Einkommen (PKE unterhalb 700 US-$) und Länder mit mittlerem Einkommen. Ab 12.000 US-$ (1993) werden Länder mit hohem Einkommen gezählt. - Daneben wird eine regionale Einteilung vorgenommen: Afrika südlich der Sahara (PKE 520 US-$), Ostasien und Pazifik (820 US-$), Südasien (310 US-$), Europa und Zentralasien (2.450 US-$), Naher Osten und Nordafrika (1.950 US-$), Lateinamerika und Karibik (2.950 US-$). - Industrieländer erwirtschafteten 23.090 US-$. Daneben gibt es noch Länder mit gravierenden Schuldenproblemen mit einem PKE von 2.640 US-$. (2) Einteilung nach politischen Kriterien: DAC-Entwicklungsländerliste: Seit 1992 werden vom Development Assistance Committee (DAC) Entwicklungsländerlisten erstellt, in welchen alle Länder, außer den OECD-Staaten sowie einige ehemalige sowjetische Republiken, enthalten sind. Ab 1.1.1996 wird die DAC-Liste neu geordnet, wobei zwischen Official Development Assistance (ODA)-Empfängern und Leistungen an Übergangsländer unterschieden werden soll (Bahamas, Singapur etc.). - 1971 wurde der Begriff der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries) eingeführt. Bis 1990 galten das PKE, der Industrieanteil am BIP und die Alphabetisierungsrate als ausschlaggebende Kriterien, seit 1991 werden das PKE (wenn unter 699 US-$), der "augmented physical quality of life-index" (ein aus Lebenserwartung, Kalorienverbrauch pro Kopf, Einschulungs- und Alphabetisierungsraten bestimmter Index), der economic diversification-index (Anteil der Industrie am BIP, Zahl der Beschäftigten in der Industrie, Stromverbrauch pro Kopf und Exportorientierung) und die Einwohnerzahl als Kriterium zugrundegelegt. In Afrika zählen 34, in Asien und Ozeanien 13 und in Lateinamerika Haiti zu dieser Länderklasse. - Durch das Abkommen von Lomé wurden die ehemaligen Kolonien der europäischen Staaten zu den AKP-Staaten zusammengefaßt. Als Sprachrohr der Dritten Welt zählt die Gruppe der 77, die auf die erste UNCTAD-Konferenz (1964 Genf) zurückgeht. Heute gehören ihr 131 Staaten an (ohne VR China). - b) Charakterisierung der Entwicklungsländer: Entwicklungsländer sind durch unzureichende allgemeine Lebensbedingungen gekennzeichnet. Trotz erheblicher Verbesserungen liegt die Lebenserwartung mit ca. 64 Jahren (südliches Afrika: 52 Jahre) unter der der OECD-Länder (77 Jahre). Hohe Kindersterblichkeitsraten, übertragbare Massenkrankheiten und eine schlechte ärztliche Versorgung sowie eine mangelhafte Infrastruktur (Trinkwasserversorgung, Energie etc.) und Wohnungsmangel runden in Verbindung mit hoher Arbeitslosigkeit und geringer Arbeitsproduktivität sowie geringem Bildungsstand und einer Dominanz des primären Sektors in Produktion und Export das Bild ab. I. d. R. finden sich Verschuldungsprobleme (Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer), ein hohes Bevölkerungswachstum, eine unzureichende Ernährungssituation sowie zunehmende Zerstörung der Umwelt, Übernutzung natürlicher Ressourcen, absolute Armut und vorherrschende Subsistenzlandwirtschaft. Die heterogene wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklungsländer läßt zwischen Schwellenländern, neuindustrialisierten Staaten (newly industrializing countries) und Entwicklungsländern ohne besondere Rohstoffvorkommen (Vierte Welt) unterscheiden.
III. Ursachenklärung: gibt keine monokausale Erklärung der Unterentwicklung. Je nach Position werden unterschiedliche Erklärungsschwerpunkte gesetzt. - 1. Außenwirtschaftliche Erklärungsansätze: a) Fehlende Konkurrenzfähigkeit: Auf F. List geht die Beobachtung zurück, daß junge einheimische Industrien der ausländischen Konkurrenz unterlegen sein können. Trotz potentieller komparativer Vorteile können junge Industrien wegen ihrer "Kinderkrankheiten" (Mangel an Erfahrungen, technischem Wissen und qualifizierten Arbeitern) ihre Wettbewerbsreife nicht hinreichend schnell erlangen. Ohne die Einführung eines Erziehungszolls haben aufholende Industrien gegenüber reifen Wettbewerbern keine Chance. - b) Sinkende Terms-of-Trade: Für die typischen Exportgüter der Entwicklungsländer (Rohstoffe) werden langfristig relativ niedrigere Preise gezahlt. Daraus ergibt sich ein Einkommenstransfer an Industrieländer (Prebisch-Singer-These). - c) Kontereffekte: Myrdal bezeichnet negative Folgewirkungen der weniger entwickelten Länder bei ihrer Integration in den Weltmarkt als backwash-Effekte. Folgen sind brain-drain und die Verdrängung entwicklungsfördernder Industrieproduktion. - d) Protektionismus der Industrieländer: Aus unterschiedlichen Gründen schützen Industrieländer ihre Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz, insbes. aus Entwicklungsländern (Protektionismus). Fehlende Sanktionen einer internationalen Wettbewerbsordnung verwehren Entwicklungsländern damit Entwicklungschancen. - e) Dominante Wirtschaft, économie dominante: Die ungleiche Machtverteilung begründet nach Perroux negative Folgen der Integration der Entwicklungsländer bei den internationalen Austauschbeziehungen. Die internationale Arbeitsteilung wirkt sich nur für die Industrieländer vorteilhaft aus. - f) Verwandt damit ist das Argument der peripheren Wirtschaft: Die hochindustrialisierten Länder bilden das Zentrum, die Entwicklungsländer die Peripherie. In Weiterentwicklung der Imperialismustheorien kommt es zu unterschiedlichen Diffusionen von Produktivitätsfortschritten - Vgl. auch Dualismustheorien, Strukturalismus. - g) Verelendungswachstum, immiserizing growth, zeigt, daß eine forcierte Expansion des Exportsektors in Entwicklungsländern bei unelastischer Nachfrage auf dem Weltmarkt zu Realeinkommensverlusten wegen erhöhten Terms of Trade-Verlusten führt. Das erhöhte Angebot wird durch sinkende Preise überkompensiert. - h) Dependencia-Theorien: Unterentwicklung ist in erster Linie eine Folge der Einbindung von Entwicklungsländern in die Weltwirtschaft. Die erzwungene Eingliederung der Entwicklungsländer in den kapitalistischen Weltmarkt durch Kolonialismus, Imperialismus und Neokolonialismus führt zur Ausbeutung und zur Entstehung von Strukturdefekten sowie strukturellen Abhängigkeiten, die das wirtschaftliche Wachstum negativ beeinflussen. - 2. Sonstige externe Faktoren: a) Klimatheorien: Je weiter man sich vom Äquator entferne, desto ausgeprägter ist die Arbeitsbereitschaft (Montesquieu). Das Klima kälterer Regionen ist eine Herausforderung an die Menschen und zwingt sie fürs Überleben zu Umweltanpassungen. Dadurch werden ökonomisch vorteilhafte Verhaltensweisen gefördert (Sparsamkeit, Vorsorge). - b) Kultur und Religion sind, wenngleich in ihrer quantitativen Bedeutung umstritten, wesentliche Determinanten von Entwicklungserfolgen. Die christlich-jüdische Arbeitsethik hat im 19. Jahrhundert wegen der hohen ethischen Anforderungen an den Menschen den Entwicklungsprozeß in Teilen Europas und Amerikas gefördert (Max-Weber-These). Völker, die Impulse fremder Kulturen verarbeiteten und sich damit als sozial flexibel erwiesen, waren wirtschaftlich erfolgreicher als sich abschottende Kulturen (Akkulturation). - c) Bevölkerungswachstum: Hohe Bevölkerungswachstumsraten (Bevölkerungsexplosion, Bevölkerungsfalle) führen zu niedrigem PKE und machen dadurch Wachstumserfolge zunichte. Allerdings ist eine Mindestbevölkerungsdichte notwendig, um die Wohlfahrtseffekte und Produktivitätssteigerungen vertiefter Arbeitsteilung zu nutzen. Ein hohes Bevölkerungswachstum kann entwicklungsfördernd sein, wenn für die damit verbundenen Schwierigkeiten geeignete Problemlösungen gefunden werden. - d) Unzureichende Faktorausstattung: Viele Entwicklungsländer leiden unter fehlenden pflanzlichen und mineralischen Rohstoffen bzw. unter einem Mangel an landwirtschaftlich nutzbarem Boden. Auch geographische Beschaffenheiten können Entwicklung behindern wie z. B. Insellage, fehlender Zugang zum Meer, großer Anteil an gebirgigen, unfruchtbaren Regionen. Dazu kann auch fehlendes Realkapital, fehlende Infrastruktur oder fehlendes Humankapital gehören. Das Argument unzureichender Faktorausstattung führte zur Entwicklung wachstumstheoretischer Ansätze und zur Forderung von Kapitaltransfers im Rahmen der Entwicklungshilfe der Industrieländer (vgl. auch Entwicklungspolitik, Two-Gap-Modelle). Die unzureichende Kapitalausstattung kann auch Folge unzulänglicher Wirtschaftspolitik sein. - e) Psychologische Erklärungsansätze: Vorstellungen der Max-Weber-These aufgreifend, sah McClelland die Hauptursache der Unterentwicklung im Fehlen individueller Leistungsbedürfnisse (mangelnde Leistungsmotivation). Lerner betont die Notwendigkeit des Einfühlungsvermögens in abstrakte Situationen, um mit ungewohnten Aspekten der Umwelt schnell vertraut zu werden (Empathie). Psychische Mobilität läßt Persönlichkeitsmerkmale entwickeln, die Individuen anpassungsfähiger und damit entwicklungsfähiger machen. - f) Wirtschaftsstufentheorien, Stadienlehre: Danach entwickeln sich Gesellschaften in zwingend aufeinander folgenden Phasen. In wirtschaftsgeschichtlichen Analysen werden verschiedene Stufen ermittelt. (1) List: wilder Zustand, Hirtenzustand, Agrikulturstand, Agrikultur-Manufakturstand, Agrikultur-Manufaktur-Handelsstand; (2) Bücher: Nach räumlicher Intensität ergeben sich unterschiedliche wirtschaftliche Verflechtungen: Haus-, Stadt-, Volks- und Weltwirtschaft; (3) Hildebrand: Nach der Organisationstiefe des Tauschs ergaben sich Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft; (4) im Mittelpunkt der Rostowschen Stadienlehre steht der "Take-off" (Rostowsche Stadien-Theorie). - g) Kolonialismus: Kolonialmächte zwangen aufgrund ihrer militärischen Überlegenheit und ihres Transportmonopols in der Seeschiffahrt die Entwicklungsländer zu entwicklungsfeindlichen Wirtschaftsstrukturen: Monokulturen, Unterdrückung heimischen Handwerks. Nach der Dekolonisation blieb eine ökonomische, politische und kulturelle Anbindung an das einstige Mutterland bestehen. Die von den Entwicklungsländern "unfair" genannten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden als Neokolonialismus bezeichnet. - 3. Dualismus-Theorien: Der Dualismus bezeichnet Ungleichheiten in der Sozial- und Wirtschaftsstruktur von Entwicklungsländern. Die Gesellschaft ist in zwei Sektoren gespalten, in einen modernen, dynamischen, in die Weltwirtschaft integrierten und in einen traditionellen, stagnierenden, oft isolierten Sektor, wobei sich beide Sektoren unabhängig voneinander nach eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln. Je nach Fragestellung werden verschiedene Dualismen unterschieden. - a) Sozialer Dualismus: Er entsteht durch das Aufeinandertreffen eines fremden, meist westlich importierten Sozialsystems auf das traditionelle Sozialsystem von Entwicklungsländern. Die von den Eliten angenommenen modernen Verhaltensweisen stehen im Widerspruch zu den Wertvorstellungen traditioneller Gruppen. Die entwicklungspassive Bevölkerung bleibt bei ihrer ursprünglichen Wirtschaftsgesinnung. - (b) Ökonomischer Dualismus: Er bezeichnet die Koexistenz des traditionellen Subsistenzsektors (Subsistenzlandwirtschaft, informeller Sektor) und des modernen Sektors, der kapitalintensiv produziert (formeller Sektor). Unterschiedliche Faktorentlohnungen beider Sektoren sind die Folge fehlender intersektoraler Wirtschaftsbeziehungen. Die kleine einheimische Käuferschicht des modernen Sektors ahmt den Konsum der Industrieländer nach (internationaler Demonstrationseffekt). Der moderne Sektor wird meist durch protektionistische Maßnahmen geschützt, der informelle Sektor erfährt kaum Rechtssicherheit. Ohne Integration des informellen Sektors in die Wirtschaft bleiben vorhandene dualistische Strukturen entwicklungshemmend bestehen. - c) Technologischer Dualismus: In beiden Sektoren werden unterschiedliche Produktionstechniken verwandt, wodurch die strukturelle Unterbeschäftigung vieler Entwicklungsländer erklärt werden kann. Im traditionellen Sektor wird arbeitsintensiv produziert, im modernen Sektor kapitalintensiv. Das kapitalintensive Verfahren führt zur versteckten Arbeitslosigkeit. - d) Regionaler Dualismus: Die Folge des ökonomischen Dualismus hat raumwirtschaftliche Folgen, so entstehen entwickelte und zurückgebliebene Regionen mit geringen wirtschaftlichen Austauschbeziehungen. Die Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft hat demzufolge sowohl positive (spread-Effekte) als auch negative Auswirkungen (Kontereffekte), wobei letztere überwiegen, so daß sich regionale Disparitäten vergrößern. Nach Perroux' Theorie der dominanten Wirtschaft müßten jedoch Wachstumszentren positive Wirkungen auf die umliegenden Regionen ausüben. - 4. Zirkuläre Verursachungsketten, Teufelskreise: Manche Ursachen wirken zirkulär verstärkend negativ auf den Entwicklungsprozeß. - a) Teufelskreis mangelnder Ersparnisse: Fehlende Ersparnisse führen zu einer geringen Kapitalausstattung, die wiederum zu einer geringeren Arbeitsproduktivität, damit niedrigem Einkommen und damit geringen Ersparnismöglichkeiten führen (Ersparnislücke). Kritisch ist hervorgehoben worden, daß auch Arme in der Lage sind, Ersparnisse zu tätigen, insbes. über Mehrarbeit. - b) Teufelskreis fehlender Kapitalgüternachfrage: Wegen der niedrigen Kaufkraft sehen Unternehmer keinen Anlaß, Investitionen vorzunehmen. Dies führt zur Zementierung geringer Kapitalintensitäten, woraus niedrige Arbeitsproduktivitität mit geringem Einkommen und damit geringer gesellschaftlicher Nachfrage folgt, die wiederum Anlaß gibt für geringe Investitionsnachfrage. - c) Teufelskreis mangelnder Gesundheit: Geringes Einkommen führt zu einem fragilen Gesundheitszustand (mangelndes Kalorienangebot, mangelnde Hygiene, mangelnde Nachfrage nach ärztlichen Leistungen). Der angeschlagene Gesundheitszustand führt zu geringer Arbeitsproduktivität, woraus ein geringes Einkommen folgt, das wiederum Anlaß gibt für geringe Nachfrage nach Gesundheitsgütern. - d) Teufelskreis geringer Bildung: Geringes Einkommen führt zu geringer Nachfrage nach formaler und technischer Ausbildung, auch für die Kinder armer Haushalte, wodurch Armut erblich wird (Soziale Frage). - e) Teufelskreis fehlender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage: Die fehlende gesamtwirtschaftliche Nachfrage führt zu geringer Differenzierung der Arbeit; niedrige Produktivität führt zu niedrigem Einkommen, Firmen können nicht ihre optimalen Skalenerträge erreichen, wodurch die Produktion kostspieliger erfolgt als bei kapitalintensiverer Produktionsweise. Optimale Firmengrößen werden höchstens im Exportsektor erreicht. - 5. Unzulängliche nationale Wirtschaftspolitik: a) Wettbewerbsfeindliche Wirtschaftsordnung: Die meisten Entwicklungsländer wählten sozialistische Wirtschaftsordnungsmodelle. Als Erbe der Kolonialzeit erbten sie eine verwaltete Wirtschaft, die über Lizenzen Wirtschaftsbeziehungen regelte; die Wettbewerbswirtschaft war fast unbekannt; z. Zt. der Dekolonialisierung herrschte zudem in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion das Problem des Marktversagens vor. Das Wirtschaftsmodell der Gegner der Kolonialmächte wurde auch aus politischen Gründen adoptiert. Die Hinwendung zu derartigen Entwicklungsmodellen hatte fatale Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung (Sozialismus). Verfügungsrechte über Eigentum wurden kaum ausgebildet (Property Rights). Die ressourcensparenden Effekte eines funktionierenden Wettbewerbs wurden nicht gesehen. Marktzugangsbeschränkungen und ökonomische Gängelung führten zu geringer Effizienz und niedrigerem PKEntwicklungstheorie Die Vorteile einer marktwirtschaftlichen Ordnung oder der Sozialen Marktwirtschaft wurden den Entwicklungsländern im politischen Dialog nicht vermittelt. - Vgl. auch Entwicklungshilfe. - b) Nationale Faktorpreisverzerrungen: Die relativen Preise in Entwicklungsländern entsprechen nicht der Faktorausstattung und den relativen Wertgrenzprodukten. Zur Förderung der Industrieinvestitionen wurden Kreditzinsen subventioniert; korrespondierend wurden Höchstzinsen für Einlagen staatlich festgesetzt. Hohe Inflationsraten führten zu negativen Realzinsen. Künstlich verbilligtes Kapital wurde fehlgeleitet und führte zu Wachstumsverlusten, wodurch weniger Arbeitsplätze als möglich geschaffen wurden. Politisch künstlich niedrig gehaltene Zinsen führen zu einer Spaltung der Kreditmärkte in einen formellen Teilmarkt mit niedrigen (negativen Real-)Zinsen und in einen informellen Finanzmarkt mit hohen Zinsen. Um das Einkommen breiter Bevölkerungsschichten zu erhöhen, wurden gesetzliche Mindestlöhne im modernen Sektor festgelegt. Die künstliche Verteuerung des Faktors Arbeit erhöhte zusätzlich die Arbeitslosigkeit. Das hohe Stadt-Land-Lohndifferential führte zu einer internen Migration vom Land zur Stadt und zur Bildung von Elendsvierteln (Slums) (Binnenwanderung, Todaro-Modell). Niedrigpreispolitiken für Agrarprodukte bewirkten ein Verharren in der Subsistenzlandwirtschaft. Niedrigere Agrarpreise sollten zu niedrigen Löhnen führen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Exportgüterindustrie fördern. Negative Folgen dieser Politik waren jedoch die Vernachlässigung des ländlichen Raums und die Landflucht. Weitere Verzerrungen ergaben sich durch die Wechselkurs- und Außenwirtschaftspolitik: - c) Eine überbewertete Währung war ursächlich für die schlechte Exportperformance der Entwicklungsländer, sie behindert Exporte und fördert Importe und führt zu Zahlungsbilanzproblemen (Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer). Zahlungsbilanzdefizite erforderten strenge Devisenbewirtschaftung und führten zur Einführung multipler Wechselkurse, die zur wirtschaftlichen Unsicherheit und Kapitalflucht Anlaß gaben. - d) Eine Politik zu langer und zu intensiv durchgeführter Importsubstitutionspolitik erschwerte die Zahlungsbilanzprobleme. Um die interne Industrialisierung zu lancieren, erfolgte eine hohe Außenwirtschaftsprotektion (Protektionismus), die wegen fehlenden Wettbewerbs zu Lasten der Effizienz ging (Importsubstitutionspolitik). Überzogene Binnenorientierung (collective self reliance) führte zu verkrusteten Industriestrukturen. - e) Staatliche Lenkung der Wirtschaft: Wachstumspolitische Maßnahmen des Staates sollten die Entwicklung beschleunigen. Auf fragmentierten Märkten entwickelten sich Preise, die aufgrund direkter Eingriffe in den Preismechanismus den tatsächlichen Knappheitsverhältnissen nicht entsprachen. Genehmigungsverfahren für Investitionen, Kredite und Importe verzögerten den betrieblichen Produktionsablauf. Administrative Zuteilungen führten zu ökonomischen Renten. In Entwicklungsländern ist der Staat oft Eigentümer von Produktionsbetrieben (Staatsfirmen), die sich nicht auf dem Markt zu bewähren haben, sondern politisch motivierte Aufgaben übernehmen (Schaffung von Arbeitsplätzen, Begünstigung bestimmter Gruppen). Die hohen Betriebsdefizite werden vom Budget getragen und von den betrieblich Verantwortlichen durch die erzwungenen Nebenziele gerechtfertigt. Der ungehinderte "Zugang zum Staatsbudget" erhöht die Ineffizienz der Wirtschaft. Bürokratische Interventionen erfolgen, um die Ergebnisse anderer Interventionen zu korrigieren. Überzogene Mindestlöhne erfordern einen verstärkten Außenschutz, worunter das gesamte Wirtschaftsgefüge leidet. - f) Verfehlte Geld- und Fiskalpolitik: Die Steuerverwaltung ist in Entwicklungsländern oft schwach entwickelt. Überzogene fiscal policy führt zu hohen Budgetdefiziten, die über die Notenpresse finanziert werden müssen, wodurch sich langfristig Inflationsgefahren ergeben. Ein zerrüttetes Währungssystem ist entwicklungsfeindlich, führt zu verzerrten Preisrelationen und wirtschaftlichen Unsicherheiten mit der Folge von Kapitalflucht und niedrigen Investitionsquoten. - g) Reservierte Politik gegenüber ausländischen Direktinvestitionen: Die Maßnahmen gegenüber Auslandsinvestoren sind unterschiedlich und oft Schwankungen unterworfen. Oft werden Investoren durch hohe Vergünstigungen geködert, andererseits werden sie durch Enteignungsdrohungen abgeschreckt. Das schlechte Investitionsklima muß durch monetäre Vergünstigungen kompensiert werden, wodurch ausländische Direktinvestitionen für Entwicklungsländer teurer werden als bei nicht-diskriminierenden Rahmenbedingungen. Dadurch ergeben sich Hemmnisse für den notwendigen Technologietransfer. - 6. Sonstige interne Faktoren: a) Politische Instabilität: Langfristiges Wachstum setzt politische Stabilität voraus. Eigentumsrechte müssen gesichert, Wirtschaftspolitik verstetigt, wirtschaftliche Freiheit garantiert sein. Korrupte Verwaltungen, die stets das Ergebnis staatlicher Interventionen sind, beeinträchtigen jegliche langfristige betriebswirtschaftliche Planung. - b) Schwach ausgebildete Infrastruktur: Infrastrukturdefizite finden sich in den Bereichen Verkehr, Kommunikation, Bildung, Gesundheitswesen, Energieversorgung, Abwasserversorgung, Nachrichtenwesen etc. Eine intakte Infrastruktur ist die materielle Voraussetzung einer wirtschaftlichen Entwicklung. Im weiteren Sinne gehört auch der Aufbau der sozialen Infrastruktur (Krankenhäuser, Schulen, Wohnung, Sozialversicherung) zur langfristigen Entwicklung. Trotz eines Anteils der Infrastrukturprojekte von 4% des BSP bzw. einem Fünftel ihrer Gesamtinvestitionen, ist die ineffiziente Nutzung zu bemängeln. Bürokratielastigkeit, fehlender Wettbewerb und fehlende Partizipation der Betroffenen haben zur Verschwendung von Infrastrukturausgaben beigetragen, ebenso die unzulängliche Instandhaltung durchgeführter Infrastrukturinvestitionen (Weltentwicklungsberichte). - c) Fehlende Finanzintermediation: Bei fehlender Finanzintermediation muß der Investor zugleich Sparer sein. Knappe Ersparnisse finden dadurch nicht den "besten Wirt". Gesamtwirtschaftlich sind höhere Ersparnisse notwendig, um Investitionen zu finanzieren (McKinnon-Shaw-These). Fragmentierte Finanzmärkte sind zum Teil das Ergebnis verzerrter, politisch gesetzter Faktorpreise (Höchstzinsen). Die knappen Ersparnisse der Dritten Welt können wegen der fehlenden Finanzinfrastruktur nicht optimal genutzt werden.
IV. Einkommensverteilung und wirtschaftliche Entwicklung: 1. Problemstellung: Neben dem Pro-Kopf-Einkommen (PKE) gilt die Einkommensverteilung als weiterer Indikator der wirtschaftlichen Entwicklung, da es auch auf die Verteilung zusätzlichen Wachstums zur Wohlstandsförderung und Überwindung der Armut ankommt. Somit stellen sich die Fragen, ob eine größere Gleichheit wachstumsfördernd oder -hindernd ist, bzw. ob ein stärkeres Wachstum zur größeren Ungleichheit führt. - 2. Meßgrößen: Die relative Ungleichheit wird mit dem Gini-Koeffizienten bzw. der Lorenz-Kurve gemessen. In der Entwicklungstheorie wird oft die maximale Umverteilungsrate verwendet, die angibt, welcher Prozentsatz des Volkseinkommens umverteilt werden muß, damit Gleichverteilung erreicht wird. Der Ansatz des absoluten Einkommens führt in Entwicklungsländern zum Problem der absoluten Armut, wobei die relative Armut die zeitliche Entwicklung der absoluten Armut als Prozentsatz am unteren Ende der Einkommenspyramide mißt. In Grundbedürfnisstrategien steht die Bekämpfung der absoluten Armut im Vordergrund. - 3. Sektorstrategien: Wirtschaftspolitisch ist zur Verbesserung der Einkommensverteilung ein Ansatz der Vergrößerung des modernen Sektors durch seine Ausweitung möglich (modern sector enlargement growth), welcher den Armen im modernen Sektor hilft. Eine Steigerung des PKE im modernen Sektor ist dabei nicht erforderlich. Kommt dies jedoch zustande, spricht man vom modern sector enrichment growth, welcher ggf. zu einer Verschlechterung der Einkommensverteilung führen kann. Zur Verbesserung der Lage im traditionellen Sektor wird der Ansatz des traditional sector enrichment growth gewählt, in welchem den Armen des traditionellen Sektors durch gezielte Förderung geholfen werden soll (integrierte ländliche Entwicklung). - 4. Ursachen ungleicher Einkommensverteilung: Die Einkommensverteilung wird durch die Vermögens- und Machtverteilung geprägt, wobei beim Vermögen zwischen Real- und Humankapital unterschieden werden muß. Monopolistische Strukturen und Marktmacht sind Ursachen beobachteter Ungleichheit, wobei Marktmacht oft zu politischer Macht wird, die wiederum zur Verstärkung ökonomischer Ungleichheiten genutzt wird. Steuer- und Fiskalpolitik können zusätzlich negative Verteilungseffekte hervorrufen, wenn Arme stärker belastet und die Dienstleistungen des Staates den ökonomisch Bessergestellten in den Städten zugute kommen. Die regionale Verteilung der Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung erklärt ebenfalls Einkommensunterschiede. - Empirische Untersuchungen konnten folgende Aussagen bestätigen: Je größer die natürlichen Ressourcen von Entwicklungsländern, desto größer die beobachtete Ungleichheit; je höher der Anteil des Staates an den Gesamtinvestitionen, desto geringer die Ungleichheit bei der Einkommensverteilung; je größer der Grad des ökonomischen Dualismus, desto größer die wirtschaftliche Ungleichheit; je größer die politische Partizipation, desto geringer die wirtschaftliche Ungleichheit. - 5. Verteilung und Wachstum: Die Einkommensverteilung kann folgende Auswirkungen auf das Wachstum haben: Sie beeinflußt die Sparquote, die über mögliche Investitionen auf die Wachstumsrate einwirkt; sie hat Auswirkungen auf die effektive Nachfrage und damit auf die Ausnutzung der Ressourcen. Eine größere Gleichverteilung kann die gesellschaftliche Nachfrage fördern und damit Wachstum initiieren. Empirisch ist nicht gesichert, daß die Sparquote durch größere Einkommensgleichheit gesenkt wird. Meist wird unterstellt, daß die Armen arbeitsintensive Produkte nachfragen, die in Entwicklungsländern selbst produziert werden, während wohlhabende Schichten kapitalintensive Güter, die importiert werden müssen, nachfragen. Eine Umschichtung des Einkommens zugunsten der Armen müßte Nachfragesteigerungen nach arbeitsintensiven, lokal hergestellten Gütern haben, wodurch die Auslastung eigener Ressourcen verbessert und die Wachstumsrate positiv beeinflußt würde. Eine größere Gleichheit kann negative Effekte auf das Wachstum haben, wenn dadurch Arbeitsanreize entfallen. Eine ungleiche Verteilung gibt Anreize, den Wohlhabenderen nachzueifern. Je höher die Ungleichheit, desto größer müßte das ökonomische Wachstum sein. Dagegen spricht, daß die Einkommensverteilung meist nicht auf ökonomische Anstrengungen, sondern auf eine ungleiche Vermögensverteilung und auf politische Macht zurückgeführt werden kann. - 6. Kuznets-U-These: Im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung wird anfänglich die Ungleichheit steigen und anschließend abnehmen. Bei Verwendung des Gini-Koeffizienten in Abhängigkeit von PKE ergibt sich graphisch ein umgestülptes U. - Erläuterung: Zu Beginn eines Entwicklungsprozesses fehlt ein Mittelstand, der größte Teil der Bevölkerung gilt als arm. Nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung kann sparen und investieren, so daß die ökonomische Ungleichheit zunimmt. Wenn der Lohnsatz staatlich festgelegt und konstant gehalten wird, kann sich bei einer Steigerung der Grenzproduktivität der Arbeit das Gewinneinkommen erhöhen, das zu Investitionen verwendet wird, was wiederum die postulierte Ungleichheit erklärt. Erst bei angespanntem Arbeitsmarkt lassen sich höhere Reallöhne durchsetzen. Sinkt zu Beginn des Entwicklungsprozesses die Sterbequote, so nimmt das PKE der ärmeren Schichten nicht in dem Maße zu, wie bei wohlhabenderen Schichten, da die demographische Anpassung an geringere Familiengrößen verzögert erfolgt. Der U-Verlauf der Einkommensverteilung im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung ist allerdings nicht zwingend.
V. Determinanten der Entwicklung: 1. Dogmengeschichtlicher Überblick: Im Laufe der Ausformulierung entwicklungspolitischer Gedanken sind viele Faktoren als Motor der Entwicklung angesehen worden, wobei jede volkswirtschaftliche Schule ihren eigenen Kandidaten für den Wachstumsprozeß nominiert. Physiokraten sehen in der Landwirtschaft den wesentlichen Faktor der Entwicklung. Merkantilisten verweisen auf die Notwendigkeit von Exportüberschüssen zur Förderung des nationalen Wohlstands. Die klassische Lehre betont die Rolle des Freihandels für eine rasche Weltentwicklung. Karl Marx sah in der Kapitalakkumulation die wesentliche Voraussetzung für einen Entwicklungsprozeß. Schumpeter und die Neoklassiker verweisen auf die wichtige Rolle des dynamischen Unternehmers. Britische Anhänger des linksliberalen Fabianismus sahen im Staat den Garanten der Entwicklung; Stalinisten definieren Entwicklung als Industrialisierung. Die Chicago-School betont die Rolle des Bildungssystems für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung. Geographen verweisen auf große Vorkommen von Mineralien und fruchtbarem Land, die politische Wissenschaft auf die Bedeutung politischer Stabilität. Soziologen stellen die Leistungsbereitschaft in den Vordergrund, wobei Max Weber sie auf religiöse Faktoren zurückführt (Max-Weber-These). - In letzter Zeit wird der wirtschaftspolitische Ordnungsrahmen (Bedeutung des Wettbewerbs und der marktwirtschaftlichen Ordnung) betont. Der Wiederaufbau des zerstörten Europa wurde mit Hilfe des Marshall-Plans erreicht; Wachstumshindernis war damals die Kapitalknappheit. Wirtschaftstheoretische Modelle haben die Bedeutung der Kapitalausstattung für die Wirtschaftsentwicklung unterstrichen, die Anlaß zu massiven Kapitaltransfers zugunsten der Entwicklungsländer wurde (Entwicklungshilfe). - 2. Wachstumstheoretische Ansätze: a) Merkantilismus: Eine konsequente Industrialisierungspolitik verfolgten die Vertreter des Merkantilismus, sie war wirtschaftspolitische Praxis der Nationalstaaten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Es handelt sich hierbei um keine geschlossene Theorie, sondern zum größten Teil um interventionistische Instrumente zur Förderung nationaler Wohlfahrt. Durch sie wurden die Grundlagen für die Industrialisierung und den später erfolgenden raschen wirtschaftlichen Aufschwung während des Liberalismus gelegt. - b) Klassische Theorie: Im Gegensatz zum Merkantilismus vertritt die klassische Lehre eine individualistische Sichtweise, die den Merkantilisten fremd war. Spezialisierung der Produktion mit fortschreitender Arbeitsteilung führt zu steigendem Wohlstand. Die Kapitalakkumulation wurde als Wachstumsmotor verstanden, der technische Fortschritt blieb noch unbeachtet. - c) Neoklassische Wachstumstheorie: Zunächst wurde der technische Fortschritt ignoriert und der quantitative Zuwachs der Produktionsfaktoren in den Mittelpunkt gestellt. Erst Mitte der 50er Jahre wurde der technische Fortschritt in die neoklassische Produktionsfunktion eingeführt. Die neoklassische Wachstumsformel führt das Wachstum auf gewichtete Wachstumsraten der einzelnen Produktionsfaktoren zurück, wobei der Ansatz später erweitert und modifiziert wurde, um den technischen Fortschritt auch endogen zu erklären (Wachstumstheorie). - d) Keynesianische Wachstumstheorie: Sie beruht auf der Harrod-Domar-Wachstumsgleichung. Danach kann das Wirtschaftswachstum erhöht werden, wenn die Investitionsquote gesteigert und/oder der marginale Kapitalkoeffizient gesenkt werden. Die Kapitalknappheit wird als einziges Wachstumshemmnis gedeutet. Die Steigerung der Investitionsquote wurde entwicklungspolitisches Hauptziel und Kern der Entwicklungstheorie Das Harrod-Domar-Modell läßt technischen Fortschritt und die Wirkungen des Humankapitals unberücksichtigt. Wichtige Triebkräfte wirtschaftlicher Entwicklung werden somit nicht analysiert. Rein investitionsorientierten Wachstumsstrategien waren in der Entwicklungspolitik jedoch kaum Erfolg beschieden. - Vgl. auch Entwicklungspolitik, Entwicklungshilfe.


Literatur: Hemmer, H.-R., Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer, 2. Aufl., München 1988; Hogendorf, J. S., Economic Development, 2. Aufl., New York et al. 1992; Lachmann, W., Entwicklungspolitik, Bd. 1: Grundlagen, München, Wien 1994; ders., Bd. 2, Binnenwirtschaftliche Aspekte, München, Wien 1997; ders., Bd. 3, Außenwirtschaftliche Aspekte, München, Wien 1994; Meier, G. M., Leading Issues in Economic Development, 5. Aufl., Oxford et al. 1989; Sell, F. L., Ökonomik der Entwicklungsländer, Frankfurt et al. 1993; Todaro, M. P., Economic Development, 5. Aufl., New York, London 1994; Chenery, H., Srinivasan, T. N. (Hrsg.), Handbook of Development Economics, Bd. 1: Amsterdam et al. 1988, Bd. 2: Amsterdam et al. 1989, Bd. 3A, 3B: Amsterdam 1995.

 

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