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Infrastrukturpolitik

1. Begriff und Gegenstand: Infrastrukturpolitik bezeichnet die Gesamtheit aller politischen Maßnahmen, die auf die angemessene Versorgung einer Volkswirtschaft mit Einrichtungen der Infrastruktur abzielt. - 2. Ziele und Aufgaben der I: a) Die Ziele der Infrastrukturpolitik können aus allgemeineren (wirtschafts-) politischen Zielen abgeleitet werden: Das mögliche Wachstum einer Volkswirtschaft hängt wesentlich vom Zuwachs des Kapitalstocks ab. Hierzu tragen sowohl die privatwirtschaftlichen Investitionen als auch die Infrastrukturinvestitionen bei. In welchem Verhältnis diese beiden Investitionskategorien zueinander stehen, hängt vom allg. Entwicklungsstand einer Volkswirtschaft ab. Entsprechend dem Vorleistungscharakter der Infrastruktur ist am Beginn eines Wachstumsprozesses (typisch für Entwicklungsländer) der Bedarf an Basisausstattung (Verkehr, Energieversorgung) am größten. Mit fortschreitender Industrialisierung, i. a. in Verbindung mit einem starken Wachstum des privaten Kapitalstocks, verlagert sich der Infrastrukturbedarf u. a. mehr in Richtung Humankapital. Auf einem hohen Entwicklungsniveau in späteren Stadien des Strukturwandels (Dienstleistungsgesellschaft) wird der weitere Ausbau und die Verbesserung der Infrastruktur schließlich vermehrt von sozialökonomischen Zielen bestimmt. Dazu kann etwa das Angebot an Kultur- oder Freizeiteinrichtungen gezählt werden. - b) Die rationale Planung von Infrastrukturvorhaben setzt die Ermittlung des gegenwärtigen und zukünftigen Bedarfs an entsprechenden Einrichtungen voraus. In der Praxis stützt sich die Infrastrukturpolitik bei der Planung des Ausbaus der Infrastruktur auf Prognosen über den (längerfristigen) Wachstumsverlauf, die Bevölkerungsentwicklung, hier insbes. die demographische Schichtung, aber etwa auch über das Verkehrsaufkommen (Verkehrsplanung). Planungshilfsmittel sind u. a. Kosten-Nutzen-Analysen. Bei größeren Infrastrukturprojekten, insbes. im Verkehrsbereich, ist für die konkrete planerische Umsetzung der Ziele i. d. R. eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben. Die vorausschauende Planung der Versorgung mit Infrastruktureinrichtungen ist v. a. im Rahmen der regionalen Strukturpolitik von Bedeutung. In der Praxis reagiert die Infrastrukturpolitik allerdings häufig nur kurzfristig auf erkannte (oder auch nur vermeintliche) Versorgungsmängel (Infrastrukturengpässe). In diesen Fällen lassen sich zur Erklärung von Entscheidungsprozessen verschiedene Ansätze der Public-Choice-Theorien anwenden. - 3. Träger: Infrastrukturpolitik ist eine Querschnittsaufgabe über verschiedene Bereiche der Wirtschafts- und Finanzpolitik. In der Bundesrep. D. befinden sich, dem föderativen Staatsaufbau entsprechend, Träger der Infrastrukturpolitik auf den Ebenen des Bundes, der Bundesländer sowie der Kommunen. Hinzu kommt die supranationale Ebene der Europäischen Union. - Zuständigkeiten für bestimmte Bereiche der Infrastrukturpolitik können sich über alle staatlichen Ebenen erstrecken (Bau und Unterhaltung von Verkehrsstraßen; Transeuropäische Netze), ausschließlich auf einer der Ebenen angesiedelt sein (Kulturhoheit der Länder) oder auch konkurrierend auftreten (Wissenschaft und Forschung sind sowohl Länder- als auch Bundesaufgaben). Innerhalb der Regierungen ist die politische Verantwortung häufig eigenen Ressorts übertragen (Verkehrs-, Bildungs-, Forschungsministerien). - Die Vielzahl von Trägern mit jeweils eigenständigen Kompetenzen erfordert an sich eine enge Kooperation und Koordination zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen und den verschiedenen Fachressorts. In der politischen Praxis ist dies am ehesten in jenen Bereichen gelungen, für die Bund und Bundesländer gemeinsame Verantwortung tragen (Gemeinschaftsaufgaben). Im übrigen wird die Notwendigkeit einer ausschließlich staatlichen Trägerschaft der Infrastrukturpolitik heute zunehmend in Frage gestellt (vgl. 5.). - 4. Finanzierung: Finanzierungsseitig ist die Infrastrukturpolitik bei öffentlicher Trägerschaft in das allgemeine Einnahmen- und Ausgabensystem des Staates eingebunden. Abweichend von der ökonomischen Charakterisierung der meisten Infrastruktureinrichtungen als Investitionsgüter werden Infrastrukturausgaben des Staates nicht nur als Veränderung des Finanzvermögens (Finanzwissenschaft) behandelt, sondern häufig als laufende Verwaltungsausgaben. Einnahmen fließen entweder im Rahmen der allgemeinen Steuererhebung zu (nicht zweckgebundene Einnahmen) oder in Form von Gebühren oder Entgelten, die wiederum zweckgebunden verwendet werden können (Abgaben). Strittig ist, inwiefern die öffentliche Hand nur für investive Ausgaben i.e.S. (Finanzvermögenszugang) Kredite aufnehmen darf (rentabilitätsorientierte Verschuldungsregel). - 5. Privatwirtschaftliche Lösungen: Nach traditioneller Auffassung ist Infrastrukturpolitik eine Aufgabe der öffentlichen Hand. Begründet wird dies damit, daß Infrastruktureinrichtungen typischerweise Merkmale öffentlicher Güter, teils sogar meritorischer Güter aufweisen, daß es sich häufig um hoheitliche Aufgaben handelt oder daß Gesichtspunkte der Versorgungssicherheit sehr hoch zu bewerten sind und eine an erwerbswirtschaftlichen Prinzipien orientierte Leistungserbringung deshalb zu Konflikten führt. - Vor dem Hintergrund der allgemein schon hohen Belastungen der öffentlichen Haushalte, nicht zuletzt wegen des erheblichen zusätzlichen Infrastrukturbedarfs in den neuen Bundesländern, werden aber seit einigen Jahren Möglichkeiten einer (teilweise) privaten Erbringung von Infrastrukturleistungen diskutiert. a) Formen: (1) Nach dem Umfang der Privatisierung kann danach unterschieden werden, ob bestimmte Infrastrukturbereiche vollständig in private Trägerschaft übergehen (Beispiele: Flugsicherung, Deutsche Bundespost) oder ob nur einzelne Leistungskategorien von Privaten erbracht werden (Teilprivatisierungen, z. B. Nebeneinander von öffentlichem und privatem Personennahverkehr). (2) Wesentlich ist ferner, ob die privatwirtschaftliche Trägerschaft ausschließlich oder überwiegend formaler oder aber materieller (inhaltlicher) Natur ist. Eine formal private Trägerschaft liegt vor, wenn die Leistung zwar von einem Unternehmen in privater Rechtsform erbracht wird, dieses Unternehmen aber der öffentlichen Hand gehört, von ihr kontrolliert und gegebenenfalls auch subventioniert wird (z. B. Umwandlung einer kommunalen Verwaltungseinrichtung in eine GmbH, deren alleinige Anteilseignerin die Kommune ist). Materiellen Gehalt gewinnt eine Privatisierung dagegen, wenn der Leistungsträger nach erwerbswirtschaftlichen Prinzipien handelt und insbes. das unternehmerische Risiko trägt. - Für die Praxis sind v. a. das Betreibermodell sowie verschiedene Leasingmodelle interessant. Beim Leasingmodell werden Infrastrukturprojekte durch Private finanziert und gebaut und anschließend dem Staat vermietet. Der Betrieb der Einrichtung kann dem Staat oder auch einer privaten oder gemischt privat/öffentlichen Betriebsgesellschaft (public-private-partnership) obliegen. Ausgestaltungsspielräume bestehen insbes. hinsichtlich der Einbringung von Eigenkapital (Fonds-Leasing analog zu geschlossenen Immobilienfonds). - b) Voraussetzungen: Aus Sicht des Anbieters setzt eine Privatisierung voraus, daß bei der in Frage stehenden Infrastrukturleistung für die einzelne nachgefragte Einheit ein Preis oder ein Nutzungsentgelt erhoben werden kann (das Ausschlußprinzip muß funktionieren), und die Gesamtnachfrage so groß ist, daß - bei den erzielbaren Preisen - nicht nur Kostendeckung gewährleistet ist, sondern ein Gewinn erwirtschaftet werden kann. - Diese Voraussetzung ist relativ einfach erfüllt, wenn es für die Leistung einen Nutzungszwang gibt, z. B. den gesetzlichen Zwang zur Inanspruchnahme der Abfallentsorgung. Sofern allerdings dem privaten Betreiber Auflagen hinsichtlich der Preisgestaltung gemacht werden (z. B. die Preise sollen sozial tragbar sein), muß die Rentabilität des Betriebs gegebenenfalls durch öffentliche Zuschüsse gesichert werden. Hinsichtlich der Straßenverkehrsinfrastruktur wird das Ausschlußprinzip üblicherweise als problematische Hürde angesehen. Zwar wird in einigen Ländern seit langem die Erhebung von Mautgebühren bei der Benutzung von Autobahnen oder anderen wichtigen Passagen erfolgreich praktiziert, dieses Verfahren eignet sich aber zweifellos nicht für eine generelle nutzungsabhängige Bepreisung des Straßenverkehrs. - Für die Zukunft sind allerdings automatisierte, elektronische Erhebungsverfahren in der Diskussion, die bei geringem Erhebungsaufwand die Nutzungshäufigkeit einer einzelnen Straße oder einer Verkehrszone für jeden Verkehrsteilnehmer feststellen lassen (road pricing). Überwiegend günstige Voraussetzungen für eine Privatisierung liegen im Kommunikationsbereich vor. Hier sind insbes. bei der Telekommunikation durch die technische Entwicklung (Nachrichtenübertragung über Satelliten) auch Voraussetzungen für ein Leistungsangebot unter vollen Wettbewerbsbedingungen entstanden. - Aus Sicht der Nutzer (auch des Staates) ist die Versorgungssicherheit mit Infrastrukturleistungen entscheidend. Sie ist ggf. durch vertragliche Verpflichtung zu gewährleisten. Eine Leistungserbringung nach rein erwerbswirtschaftlichen Prinzipien und mit Übernahme des vollen Risikos durch Private wird nicht zuletzt aus diesem Grund nur ausnahmsweise (z. B. "lebenswichtige" Verkehrsverbindungen) funktionieren. In der Praxis weitaus häufiger dürften Mischformen sein, bei denen die öffentliche Hand in der einen oder anderen Weise Nutzungs- oder Einnahmegarantien abgibt, z. B. durch (zeitlich befristete) Einräumung einer monopolistischen Anbieterstellung. - c) Vorteile: Aus ordnungspolitischer Sicht kann man im Verzicht auf eine staatliche Leistungserbringung grundsätzlich immer einen Vorteil sehen, wenn die Leistung mindestens ebenso gut durch Private erbracht werden kann (soviel Markt wie möglich, soviel Staat wie nötig). Ein wesentlicher Aspekt kann dabei sein, den Konsumenten der Infrastrukturleistungen die Kosten der Leistungserstellung transparent zu machen. Ein ausschließlich öffentliches Infrastrukturangebot mit überwiegender Finanzierung aus allgemeinen Steuereinnahmen bietet aus sich heraus keinen Anreiz für eine sparsame Nutzung. Dagegen kann seitens der Konsumenten die individuelle Zahlungsbereitschaft durchaus steigen, weil gegen die Entrichtung eines Preises eine konkrete Leistung empfangen wird (im Unterschied zur Steuerzahlungsbereitschaft). Aus ökonomischer Sicht können Kostenvorteile und Effizienzgewinne erwartet werden, die vor allem aus größerer Flexibilität in der betrieblichen Organisation resultieren. So können z. B. private Bauträger hinsichtlich Vorleistungen oder Unteraufträgen freier disponieren als öffentliche Träger, die den engen Regeln des Haushaltsrechts und anderer Vorschriften des Auftragswesens unterliegen. - Sofern im Leasingfall Steuervorteile, die der Leasinggeber erwirbt, teilweise in den Leasingraten weitergegeben werden, ist eine weitere Kostenminderung möglich, die sich allerdings nur bei isolierter Betrachtung einer Staatsebene realisiert, da dem Staat insgesamt hierbei Steuern entgehen. Die Investitionsfinanzierung dürfte dagegen im Falle eines privaten Betreibers nicht günstiger sein als für die öffentliche Hand. Nur bei zweifelsfrei renditeträchtigen Projekten wird ein privater Betreiber Eigenkapital einbringen oder einwerben können (Aktien). Die Fremdfinanzierung kann durch Bankkredite oder auch (bei Großprojekten) durch Begebung von Anleihen erfolgen. Im allgemeinen wird der Kapitalmarkt die Bonität eines privaten Betreibers allerdings geringer einstufen als die eines öffentlichen, so daß von höheren Finanzierungkosten auszugehen ist. Dieser Fremdfinanzierungsnachteil kann aber durch Garantien der öffentlichen Hand ausgeglichen werden (z. B. Ausfallbürgschaft einer Kommune). - d) Kontroll- und Regelungsfunktion des Staates: Auch bei privatwirtschaftlicher Erfüllung von Infrastrukturaufgaben bleibt i. d. R. ein öffentliches Interesse erhalten. Neben der Versorgungssicherheit richtet sich dieses Interesse insbes. auf die Qualität und den Preis der angebotenen Leistungen. Die Auftragsvergabe wird normalerweise über eine Ausschreibung des Projekts erfolgen, in der Leistungsumfang und -merkmale beschrieben sind. Der Anbieter, der den Zuschlag erhält, muß die geforderten Leistungen während der Laufzeit des Projekts garantieren. Der öffentliche Auftraggeber wird sich ein Kontrollrecht vorbehalten und gegebenenfalls auch das Recht zur Vertragsauflösung bei ungenügender Leistung.
Literatur: Gramlich, E. M., Infrastructure Investment: A Review Essay, Journal of Economic Literature, Vol. XXXII, Sept. 1994, S. 1176 ff.; Frey, R. L., Infrastruktur, Tübingen, Zürich 1970; Simonis, U. E. (Hrsg.), Infrastruktur, Köln 1977.

 

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