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Wettbewerbspolitik

I. Begriff und Einordnung: 1. Wettbewerbspolitik ist ein wesentlicher Teil der Ordnungspolitik, mit welcher die Rahmenbedingungen für das Marktverhalten der Wirtschaftssubjekte (sog. Marktverfassung) gesetzt werden. Die Wettbewerbspolitik umfaßt alle staatlichen Maßnahmen, die der Aufrechterhaltung des Wettbewerbs dienen. Dies geschieht einmal durch eine aktive Gestaltung der Wettbewerbsvoraussetzungen, indem die Märkte offen gehalten und Marktschranken beseitigt werden, zum anderen durch eine defensive Bekämpfung der verschiedenen wettbewerbsbeschränkenden Strategien (vgl. unten). - 2. Begründung der W.: Schon Adam Smith hat klar gesehen, daß der von dem Erfolgs- und Gewinnstreben der Wirtschaftssubjekte ausgehende anonyme Wettbewerbsdruck, der zu einer tendenziellen Realisierung der vorgegebenen wettbewerbspolitischen Zielfunktionen (Wettbewerbstheorie) führt, durch Versuche der Wirtschaftssubjekte gefährdet ist, sich dem Wettbewerbsrisiko durch wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien zu entziehen. Insofern tendiert ein Wirtschaftssystem, in welchem den Wirtschaftssubjekten die Entscheidung über die Wettbewerbspraktiken überlassen bleibt, zur Selbstzerstörung. Daher muß die Dispositionsfreiheit der Unternehmen durch staatliche Rahmenbedingungen eingegrenzt und gegen Mißbrauch gesichert werden. Die Schaffung bzw. Erhaltung eines institutionellen Ordnungsrahmens soll das freie Spiel der Kräfte möglichst wenig stören und die Beachtung der Spielregeln für den Wettbewerb durch die Wirtschaftssubjekte gewährleisten. - 3. Entwicklung: Wettbewerbspolitik in dem beschriebenen Sinne existiert in Deutschland erst seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1958) (Kartellrecht). Die Zeit davor war durch ein ausgeprägtes Laissez-faire geprägt, nachdem das Reichgericht im Jahre 1897 im Falle des Sächsischen Holzstoff-Fabrikanten-Verbandes entschieden hatte, daß die Kartellbildung im Rahmen der Vertragsfreiheit allgemein zulässig sei. Nach Auffassung des Reichgerichtes richtete sich das Recht auf Gewerbefreiheit nur gegen den Staat, nicht jedoch auch gegen wirtschaftliche Machtbildung.
II. Aufgaben und Ziele der W.: Die Wettbewerbspolitik soll sowohl die Handlungs- und Entschließungsfreiheit der Marktbeteiligten (sog. Individualschutz) als auch den Wettbewerb als anonymen Konktroll- und Steuerungsmechnismus im Interesse der Realisierung der vorgegebenen ökonomischen Wettbewerbsfunktionen (sog. Institutionsschutz) sichern. Der Schutz der Handlungsfreiheit der Marktbeteiligten wird dabei als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. von Art. 2 GG angesehen. - Strittig ist, ob zwischen den beiden Zielen des Individual- und Institutionsschutzes Zielkonflikte auftreten können oder nicht. Die überwiegende Meinung bejaht die Möglichkeit derartiger Zielkonflikte, so daß im konkreten Fall der Versuch einer Abwägung dieser konkurrierenden Zielsetzungen unternommen werden muß.
III. Träger der Wettbewerbspolitik und Verfahren: 1. Träger der Wettbewerbspolitik ist der Staat. In der Bundesrep. D. ist das Bundeskartellamt in Berlin für nationale wettbewerbsbeschränkende Strategien zuständig, während für rein regionale Wettbewerbsbeschränkungen die Zuständigkeit bei den Landeskartellbehörden (bei den Wirtschaftsministerien der Länder) liegt. Für den Fall sog. Ministerkartelle i. S. von § 8 GWB und Ministerfusionen i. S. v. § 24 Abs. 3 GWB ist die Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft in Bonn gegeben. In der Europäischen Union (EU) ist Träger der Wettbewerbspolitik die Europäische Kommission in Brüssel (Generaldirektion IV). - 2. Verfahren: Die Entscheidungen der deutschen und europäischen Kartellbehörden unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle. Dafür sind in der Bundesrep. D. die Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof zuständig, in der Europäischen Union das Europäische Gericht Erster Instanz und der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. - Vgl. auch Kartellrecht.
IV. Instrumente der W.: Nach den Ursachen der Wettbewerbsbeschränkung können drei Strategien unterschieden werden, das sind die Verhandlungs-, Behinderungs- und Konzentrationsstrategie (vgl. Abbildung "Wettbewerbsbeeinträchtigende Strategien").
Die Wettbewerbspolitik steht vor der Aufgabe, horizontale und vertikale Absprachen (Kartelle i. w. S.), die Behinderung dritter Unternehmen sowie die Unternehmenskonzentration zu kontrollieren. Je nach dem Grad der Gefährdung des Wettbewerbs und dem wettbewerbspolitischen Vorverständnis können die verschiedenen wettbewerbsbeschränkenden Strategien auf unterschiedliche Art und Weise kontrolliert werden. Dabei lassen sich verschiedene mögliche Kontrollansätze in Form von Dichotomien darstellen: (1) Per se-rule versus rule of reason (d. h. das Verbot bestimmter als besonders gefährlich angesehener Formen der Wettbewerbsbeschränkung ohne genauere ökonomische Untersuchung oder eingehende Abwägung des ökonomischen Pro und Kontra im Einzelfall); (2) ex ante- versus ex post-Kontrolle; (3) Verteilung der Beweislast (bei den Kartellbehörden oder den Unternehmen). - Diese Kontrollprinzipien lassen sich begrenzt miteinander kombinieren und führen bei der rechtlichen Erfassung wettbewerbsbeschränkender Strategien zu unterschiedlichen Ausgestaltungen.
V. Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Strategien: 1. Verhandlungsstrategie: Unter Verhandlungsstrategie i. w. S. sind alle Formen der Zusammenarbeit rechtlich selbständig bleibender Unternehmen zu verstehen, die die wettbewerbsrelevante Handlungs- und Entschließungsfreiheit in bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter einschränken und auf Vertrag, Beschluß oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen beruhen. - Die Erfassung der Verhandlungsstrategie findet ihre Berechtigung darin, daß einerseits durch Absprachen i. w. S. die Marktergebnisse direkt bzw. durch eine Verminderung der Zahl der wettbewerbspolitischen Entscheidungsträger indirekt mehr oder minder stark beeinträchtigt werden können. Kartelle können z. B. den wettbewerbspolitischen Zielkatalog dadurch beeinträchtigen, daß der Monopolisierungsgrad als eine wesentliche Größe der Einkommensverteilung erhöht wird oder der Grundsatz einer optimalen Faktorallokation verletzt wird, wenn das Kartell zu einer Kosten- und Preiserhöhung führt. Andererseits kann die Zusammenarbeit insbes. von kleinen und mittleren Unternehmen unter bestimmten Umständen auch eine neutrale oder positive Auswirkung auf den Wettbewerb haben, wenn die materiale Entschließungsfreiheit kleiner und mittlerer Unternehmen gegenüber Großunternehmen gefördert und der Wettbewerb nicht wesentlich beeinträchtigt wird. - Dieser Grundgedanke der zwischenbetrieblichen Kooperation liegt den Freistellungsmöglichkeiten der §§5 b und c GWB zugrunde. Eine Sonderform der Kooperation sind die sog. strategischen Allianzen multinationaler Unternehmen, die der Stärkung oder Absicherung der Wettbewerbsposition dieser Unternehmen dienen, jedoch die Suche nach unterschiedlichen Problemlösungen im Wettbewerb und damit letztendlich den Produktwettbewerb beschränken. Strategische Allianzen können auch in Form von Gemeinschaftsunternehmen auftreten (vgl. unten). - 2. Behinderungsstrategie: Unter Behinderungsstrategie i. w. S. sind alle Verhaltensweisen von Einzelunternehmen oder Unternehmensgruppen zu verstehen, die dazu geeignet sind, tatsächliche oder potentielle Mitwettbewerber (horizontal) sowie Lieferanten oder Abnehmer (vertikal) in ihrer formalen Handlungs- und/oder Entschließungsfreiheit in bezug auf einen oder mehrere Aktionsparameter rechtlich oder faktisch zu beschränken und/oder die Wirksamkeit des Wettbewerbsmechanismus zu beeinträchtigen. - a) Bei dem Schutz der Handlungsfreiheit der Wirtschaftssubjekte als einem Ziel der Wettbewerbspolitik muß zwischen den zwei Grundtypen einer formalen (Handlungs-) und einer materialen (Entschließungs-) Freiheit unterschieden werden. Formale Freiheit stellt die Gleichheit vor dem Gesetz und den Schutz vor staatlicher Willkür dar. Materiale Freiheit umfaßt dagegen die Möglichkeit, im Rahmen formaler Freiheit und sozialer Normen selbstgesetzte Ziele zu verfolgen. Materiale Freiheit entspricht damit ökonomischer Macht; denn nur wer Macht hat, kann die Möglichkeiten, die sich aus der formalen Freiheit ergeben, auch nutzen. - Bedeutung: Diese Unterscheidung von formaler Handlungs- und materialer Entschließungsfreiheit ist für eine adäquate Erfassung wirtschaftlicher Macht von großer Bedeutung, da eine solche Differenzierung in vielen Fällen überhaupt erst eine wettbewerbspolitische Beurteilung von Tatbeständen des Behinderungswettbewerbs oder der Unternehmenskonzentration ermöglicht. Ihr entspricht wettbewerbsrechtlich der Schutz der Handlungsfreiheit vor vertraglichen Beschränkungen (z. B. durch die vertikale Preisbindung der zweiten Hand für Verlagserzeugnisse) oder der Schutz der Entschließungsfreiheit vor Diskriminierungen (z. B. durch Lieferverweigerung zur vertikalen Preisbeeinflussung). - b) Die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse von Tatbeständen des Behinderungswettbewerbs ergibt sich aus den Versuchen der Wirtschaftssubjekte, den Wettbewerbsdruck durch verschiedene Formen der Behinderungsstrategie zu mindern, indem dominierende Marktstellungen einzelner Unternehmen oder von solidarisch handelnden Unternehmensgruppen (sog. engen Oligopolen) aufgebaut bzw. zementiert werden. Die Möglichkeiten, den Wettbewerb durch Behinderungsstrategien i. w. S. zu beschränken, sind sehr zahlreich; als Haupttypen sind Boykott und Lieferverweigerung, Preisdiskriminierung sowie Ausschließlichkeits- und Kopplungsbindungen zu nennen. Bei der Kontrolle dieser Behinderungsstrategien im Rahmen der staatlichen Mißbrauchsaufsicht wirft die Abgrenzung von Behinderungspraktiken und erwünschtem Marktverhalten dynamischer Unternehmen große Schwierigkeiten auf, die oft einer wettbewerbspolitischen Gratwanderung nahekommen. - 3. Konzentrationsstrategie: Die wettbewerbspolitische Notwendigkeit und Berechtigung einer Analyse des externen Unternehmenswachstums ergibt sich daraus, daß der Wettbewerbsdruck, dem die Wirtschaftssubjekte ausgesetzt sind und der zu einer tendenziellen Realisierung der vorgegebenen wettbewerbspolitischen Zielfunktionen führt, durch eine zunehmende Konzentration beeinträchtigt werden kann. Dabei sind drei Hauptformen des externen Unternehmenswachstums zu unterscheiden: a) Unter horizontalen Zusammenschlüssen sind solche Zusammenschlüsse zu verstehen, die zwischen vormals selbständigen Wirtschaftssubjekten, die auf dem gleichen sachlich und räumlich relevanten Markt tätig sind, stattfinden (z. B. die Fusion von zwei Automobilherstellern). Mit zunehmendem Marktanteil wächst ceteris paribus die Gefahr einer Beschränkung des Wettbewerbs durch das Entstehen von dominierenden Marktstellungen einzelner Unternehmen bzw. einer Unternehmensgruppe. - b) Unter vertikalen Zusammenschlüssen sind Zusammenschlüsse vormals selbständiger Wirtschaftssubjekte zu verstehen, die auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind und in einer Käufer-Verkäuferbeziehung stehen (z. B. ein Automobilunternehmen gliedert sich ein Stahlwerk als Zulieferer oder ein großes Autohaus als Vertrieb ein). Derartige Zusammenschlüsse dienen der Sicherung von Bezugs- und Absatzwegen und werfen Probleme im Hinblick auf den Marktzutritt vertikal nicht integrierter Konkurrenten auf. Die marktstabilisierende Wirkung einer vertikalen Integration (Kartellrecht, Unternehmenskonzentration) ist um so größer, je stärker die Marktposition des integrierten Unternehmens auf zumindest einer Wirtschaftsstufe und/oder je verbreiteter eine derartige Integration überhaupt ist. - c) Diagonale oder konglomerate Zusammenschlüsse können negativ definiert werden als Zusammenschlüsse vormals selbständiger Wirtschaftseinheiten, die weder auf dem gleichen relevanten Markt (horizontal) tätig sind noch in einem Käufer-Verkäufer-Verhältnis (vertikal) stehen (z. B. ein Automobilhersteller kauft einen Computer- oder Flugzeughersteller). - d) Die Zahl der selbständigen Entscheidungsträger im Wettbewerb kann nicht nur durch externes Unternehmenswachstum, sondern auch durch überproportionales internes Unternehmenswachstum vermindert werden, da die im Wachstum zurückbleibenden Unternehmen keinen Wettbewerbsfaktor mehr darstellen. Die Gefahren eines überproportionalen Wachstums für die Konzentration sind allerdings vergleichsweise gering, da dem internen Wachstum zwar nicht in der absoluten Höhe, aber in der Geschwindigkeit enge Grenzen gesetzt sind. - 4. Das deutsche und das europäische Kartellrecht kennen in § 22 GWB bzw. Art. 86 EGV lediglich eine Mißbrauchsaufsicht über - u. a. durch überproportionales Wachstum entstandene - marktbeherrschende Unternehmen, wonach derartigen Unternehmen ein Behinderungs- oder Ausbeutungsmißbrauch untersagt werden kann (Kartellrecht).
VI. Zielkonflikte zwischen Wettbewerb und Effizienzsteigerung: Im wettbewerbstheoretischen Beitrag ist dargelegt worden (Wettbewerbstheorie), daß im Regelfall von der Überlegenheit des Marktmechanismus sowohl im Hinblick auf Effizienzsteigerungen als auch auf die Realisierung des technischen Fortschritts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit auszugehen ist; wenn im konkreten Einzelfall ein Zielkonflikt seitens der Unternehmen geltend gemacht wird, fällt diesen die Beweislast für das Vorliegen eines solchen Zielkonfliktes zu. - Der Möglichkeit von solchen Zielkonflikten kann man im Rahmen der Fusionskontrolle damit begegnen, daß die Eingriffsschwelle relativ hoch angesetzt wird. Sowohl die deutsche als auch die europäische Fusionskontrolle setzen erst bei der Marktbeherrschungsschwelle an, womit die Gefahr eines Zielkonfliktes zwischen der Aufrechterhaltung kompetitiver Marktstrukturen und Effizienzsteigerungen i. w. S. sehr gering ist. Sollte dennoch ein solcher Zielkonflikt auftreten, kann dieser im Rahmen der sog. Ministerfusion nach §24 Abs. 3 GWB aufgefangen werden (Kartellrecht).


Literatur: Berg, H., Wettbewerbspolitik, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik. Bd. 2, 5. Aufl., München 1992; Cox, H./Jens, U./Markert, K. (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbs, München 1981; Herdzina, K., Wettbewerbspolitik, 4. Aufl., Stuttgart 1993; Schmidt, I., Wettbewerbspolitik und Kartellrecht: Eine Einführung, 5. Aufl., Stuttgart u. a. 1996; Schmid, I./Binder, St., Wettbewerbspolitik im internationalen Vergleich, Heidelberg 1996.

 

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