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EU

Europäische Union.
I. Überblick: Nach Vollendung von Zollunion (EWG) und Einheitlichem Binnenmarkt stellt die EU eine neue Integrationsstufe auf dem Weg zu "einer immer engeren Union der Völker Europas" (Art. A EU-Vertrag) dar. Mit der EU wird insbes. das langfristige Ziel des europäischen Einigungsprozesses stärker sichtbar, über die wirtschaftliche Integration hinaus schrittweise auch eine politische Union anzustreben; der EU-Vertrag läßt offen, wie eine umfassende Union der Völker Europas gestaltet werden soll. - Mitgliedsländer der EU sowie Staaten, die eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beantragt haben (Stand 1. 5. 1996): siehe EG II.
II. Vertiefung und Ausweitung der Integrationsziele: 1. Allgemein: Der von den Staats- und Regierungschefs der EG-Staaten am 9./10. Dez. 1991 in Maastricht vereinbarte und am 7. 2. 1992 unterzeichnete Vertrag über die Europäische Union (EUV) verfolgt die generelle Absicht, die EG (Europäische Gemeinschaften) mit erweiterten und verbesserten Aktionsmöglichkeiten auszustatten. Der EUV ist am 1. 11. 1993 in Kraft getreten. - 2. Elemente des EUV: Der Unionsvertrag erweitert die wirtschaftlichen Integrationsziele und dehnt den Einigungsprozeß auf wichtige nicht-ökonomische Politikfelder (Politische Union) aus. Der EUV hat die drei, um das Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) erweiterten bisherigen Gemeinschaftsverträge (EGKS-, EWG- und EAG-Vertrag) zur Grundlage (erste Säule). Dazu kommen zwei weitere, neue (nicht-ökonomische) Integrations-Säulen: die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP; zweite Säule) sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (dritte Säule). - Vgl. Abbildung "EU - Säulen".
III. Institutionelle Neuerungen: Die EU verfügt über einen einheitlichen institutionellen Rahmen (Art. C EUV); gleichwohl besitzen die drei (Teil-) Gemeinschaften auch weiterhin eigene (völkerrechtliche) Rechtspersönlichkeit. Die EG-Kommission wurde angesichts ihrer erweiterten Aufgaben in Europäische Kommission umbenannt. Der EG-Ministerrat trägt nunmehr die Bezeichnung Rat (Rat der EU). Die Einflußnahmemöglichkeiten des Europäischen Parlaments auf die Gesetzgebung der Gemeinschaft/Union wurde vor allem in Fragen des Binnenmarkts vergrößert. Ferner wurde ein sog. Ausschuß der Regionen etabliert, der vor Entscheidungen mit bestimmten regionalen Bezügen zu hören ist. Zur besseren Überwindung des wirtschaftlichen Leistungsgefälles innerhalb der Union wurde in Ergänzung der bestehenden Strukturfonds die Errichtung eines sog. Kohäsionsfonds vorgeschrieben. Die sog. soziale Dimension der EG wird durch den EUV ebenfalls fortentwickelt. Generell gilt, daß die Gemeinschaft auf solchen Aufgabenfeldern, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, künftig nur unter Beachtung des sog. Subsidiaritätsprinzips tätig werden darf (Art. 3b EGV).
IV. Grundsätze der Wirtschafts- und Währungsunion WWU: 1. Zielsetzungen: Die diesbezüglichen Bestimmungen wurden in den in EGV umbenannten und reformierten EWG-Vertrag einbezogen. Im Zusammenhang mit der WWU ist es Aufgabe der Union, "innerhalb der Gemeinschaft ein beständiges, nicht-inflationäres und umweltverträgliches Wachstum, einen hohen Grad an Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau, ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sowie die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern" (Art. 2 EGV). Gleichzeitig verpflichtet Art. 103 die Mitgliedsländer, ihre Wirtschaftspolitik als "eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse" anzusehen und im Rahmen des Rats zu koordinieren. Dies geschieht nach Maßgabe von Art. 3 a EGV auf der Basis marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien, wobei die jeweiligen Politiken vorrangig am Ziel der Preisniveaustabilität sowie an den Grundsätzen einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, der Wahrung gesunder öffentlicher Finanzen und des langfristigen außenwirtschaftlichen Gleichgewichts auszurichten sind. - 2. Durchsetzung: Die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsländer wird vom Rat überwacht und bewertet. Entspricht das Verhalten eines Mitgliedslandes nicht den genannten Grundsätzen, so kann der Rat konkrete Empfehlungen an den jeweiligen Staat richten. Dies wird insbes. für die Fiskal- und die Lohnpolitik der Mitgliedsländer von Bedeutung sein, weil diesbezügliche Zuständigkeiten im Gegensatz zur Geldpolitik nicht auf die gemeinschaftlichen Institutionen übertragen wurden. Im Hinblick auf die Haushaltspolitik (EU-Haushalt) ist bestimmt worden, daß öffentliche Defizite weder vom Europäischen System der Zentralbanken (ESZB; bestehend aus der Europäischen Zentralbank [EZB] und den nationalen Zentralbanken) noch durch bevorrechtigten Zugang zu Kreditinstituten finanziert werden dürfen (Art. 104 und 104 a EGV). Hinzu kommt, daß weder die EU noch die Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten der öffentlichen Haushalte anderer Mitgliedstaaten haften (Art. 104 b EGV).
V. Errichtung der Währungsunion: Die im Rahmen des EUV zu verwirklichende Währungsunion soll im Wege eines dreistufigen Prozesses realisiert werden. - 1. Die Eingangsstufe war im Vorgriff auf den EUV bereits am 1. 7. 1990 begonnen worden. In dieser ersten Phase waren sämtliche zwischen den Mitgliedsländern noch bestehende Zahlungsverkehrskontrollen aufzuheben; außerdem mußten die EU-Staaten die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß mit Beginn der zweiten Stufe (1. 1. 1994) die direkte Kreditvergabe der Zentralbanken an öffentliche Haushalte untersagt ist. - 2. Während der als Übergangsperiode angesehenen zweiten Stufe bleibt die Geldpolitik weiterhin in nationaler Zuständigkeit. Das zu Beginn dieser Phase zu errichtenden EWI (Europäisches Währungsinstitut) übernimmt zunächst weitgehend die Aufgaben des herkömmlichen EG-Ausschusses der Zentralbank-Gouverneure und des bereits seit 1979 bestehenden EFWZ (Europäischer Fonds für Währungspolitische Zusammenarbeit). Zweck der zweiten Stufe ist es, die Konvergenz in den Mitgliedstaaten soweit herbeizuführen, daß die Bedingungen für den Eintritt in die dritte (End-) Stufe erfüllt sind (sog. Konvergenzkriterien). - 3. Die dritte Stufe kann gem. EUV frühestens am 1. 1. 1997 beginnen wenn eine Mehrheit von Mitgliedsländern bis dahin alle Konvergenzkriterien erfüllt hat; nur diese Länder würden dann an der Endstufe der Währungsunion teilnehmen. Kommt es zum 1. 1. 1997 noch nicht zur Errichtung der Währungsunion, so ist vorgesehen, daß diese spätestens zum 1. 1. 1999 zwischen denjenigen Mitgliedstaaten verwirklicht wird, die sich bis dahin qualifiziert haben. Vor Eintritt in die Endstufe erfolgt eine förmliche Rats-Entscheidung darüber, ob seitens der in Frage kommenden Länder die festgelegten Konvergenzbedingungen erfüllt sind oder nicht. Großbritannien und Dänemark haben sich vorbehalten, ihren Eintritt in die Endstufe zu gegebener Zeit zusätzlich von einer nationalen Entscheidung abhängig zu machen. Vor einem Eintritt der Bundesrep. D. in die 3. Stufe sind die vom Bundesverfassungsgericht definierten Teilnahmebedingungen zu prüfen und eine Abstimmung im Bundestag herbeizuführen.
VI. Errichtung einer Europäischen Zentralbank EZB: Mit Beginn der dritten Stufe wird die EZB errichtet, welche dann das (1994 in Frankfurt/M. errichtete) Europäische Währungsinstitut (EWI) ablösen wird. Die Mitgliedsländer sind gem. Art. 3a EGV zur "unwiderrufliche(n) Festlegung der Wechselkurse im Hinblick auf die Einführung einer einheitlichen Währung" verpflichtet. - Vertragliche Vorgaben: Die EZB ist bei ihren geldpolitischen Entscheidungen völlig weisungsunabhängig (Art. 107 EGV) und hat ihre Entscheidungen und deren Implementierung vorrangig am Ziel der Erhaltung der Geldwertstabilität auszurichten. Eine Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft ist nur dann und nur insoweit zulässig, wie dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Geldwertstabilität möglich ist. Der EUV läßt es offen, welche geldpolitischen Instrumente und welche monetären Zwischenziele im Zuge der Politik der EZB Anwendung finden sollen (diesbezügliche Vorschläge zu erarbeiten gehört zu den Aufgaben des EWI). Die Wechselkurspolitik gegenüber den Währungen von Drittstaaten obliegt jedoch dem Ministerrat; dieser hat seine Entscheidungen (denen Konsultationen mit der EZB und dem Parlament voranzugehen haben) ebenfalls am Ziel der Erhaltung der Geldwertstabilität auszurichten (Art. 109 EGV); die Einführung fester Wechselkurse gegenüber Währungen von Drittstaaten kann nur einstimmig erfolgen. - Aussichten: Formal gesehen bieten die Bestimmungen über die WWU tragfähige Grundlagen für eine stabile Gemeinschaftswährung. Ob die verbleibenden stabilitätspolitischen Restrisiken (Auslegungsspielräume der vertraglichen Bestimmungen, Manipulationsmöglichkeiten der Konvergenzkriterien) im politischen Alltag ausgeschaltet werden, wird letztlich von der Entschlossenheit der künftigen EZB abhängen, die Prinzipien monetärer Stabilität konsequent mit Hilfe der vertraglichen Handlungsmöglichkeiten durchzusetzen.
VII. Intergouvernementale Zusammenarbeit: Die mit dem EU-Vertrag angestrebte Ausweitung und Vertiefung der Integration kommt neben dem Ziel der WWU auch in der Schaffung eines institutionellen Rahmenwerks für die Kooperation auf den nicht-ökonomischen Politikfeldern der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) sowie der Justiz- und Innenpolitik (JIZ) zum Ausdruck. Im Unterschied zu den Regelungsbereichen des EG-Vertrags (Gemeinsamer Markt, WWU) besitzen die EU-Organe in diesen beiden nicht-ökonomischen Bereichen keine eigenen Zuständigkeiten. Im Zuge ihres diesbezüglichen Tätigwerdens verfolgt die EU - unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips - gemeinsame Ziele (Art. B EUV).
VIII. Weitere Entwicklung. Aufgrund von Art. N Abs. 2 EUV tagt seit März 1996 eine Regierungskonferenz, um die Bestimmungen des EU-Vertrages, für die eine Revision vorgesehen ist, zu prüfen ("Maastricht II"). Erweitert wurde das Mandat der Regierungskonferenz durch zusätzliche vom Europäischen Rat im Dezember 1993 und Juni 1995 beschlossene Themen. Hauptthema der Konferenz ist die Umgestaltung der EU-Institutionen im Hinblick auf den Beitritt weiterer Staaten. Wird die Union noch größer, müssen die Aufgaben von Kommission, Rat und Parlament neu bestimmt werden. Weitere Themen sind der zweite und der dritte Pfeiler des EU-Vertrags, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres. Außenpolitische Entscheidungen der EU sollten nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden, um die Außenpolitik wirksamer zu machen. Gesprochen werden soll auch über die Integration der Westeuropäischen Union (WEU, Beistandspakt im Rahmen der Nato) in die EU und über drei spezielle Themen: 1. die Beteiligung der Bürger an EU-Angelegenheiten, 2. die Verbesserung der internationalen Handlungsfähigkeit der EU und 3. die Verbesserung der Arbeitsweise der EU-Organe. Nicht behandelt werden diesmal die gemeinsame Agrarpolitik, die Regionalfonds, die Wirtschafts- und Währungsunion und die Finanzierungsprogramme. - Vorbereitet wurde die Regierungskonferenz durch eine vom Europäischen Rat im Juni 1995 eingesetzte Reflexionsgruppe, die sich aus Vertretern der Außenministerien der Mitgliedstaaten, einem Komissionsmitglied und zwei Abgeordneten des Europäischen Parlaments zusammensetzt. Die Dauer der Regierungskonferenz wird auf etwa eineinhalb Jahre geschätzt.
Literatur: El-Agraa, A. M., The Economics of the European Community, London 1990; Gerken, L. (Hrsg.), Europa zwischen Ordnungswettbewerb und Harmonisierung: europäische Ordnungspolitik im Zeichen der Subsidiarität, Berlin, Heidelberg, New York 1995; Gröner, H./Schüller, A. (Hrsg.), Die europäische Integration als ordnungspolitische Aufgabe, Stuttgart, Jena, New York 1993; Tsoukalis, L., The New European Economy - The Politics and Economics of Integration, Oxford 1993; Zippel, W. (Hrsg.), Ökonomische Grundlagen der europäischen Integration, München 1993.

 

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