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Zitronenmodell

I. Akerlofs Modell eines Gebrauchtwagenmarktes: Ein neuer Pkw verliert im ersten Jahr seines Gebrauchs weitaus stärker an Wert als es der Abnutzung infolge der gefahrenen Kilometer entspricht. Daß dies nicht auf "irrationales" Verhalten zurückzuführen ist, sondern durch eine Informationsasymmetrie zwischen Käufern und Verkäufern hinsichtlich der Qualität von Gebrauchtwagen erklärt werden kann, zeigt ein berühmt gewordener Aufsatz von Akerlof (1970). Akerlofs Modell eines Gebrauchtwagenmarktes liegen folgende Annahmen zugrunde: (1) Jedem Ersteigentümer von Pkws eines bestimmten Fabrikats und Jahrgangs, der sein Fahrzeug als Verkäufer auf dem Gebrauchtwagenmarkt anbietet, ist bekannt, ob es sich bei seinem Fahrzeug um einen guten, d. h. einen tadellos funktionierenden Gebrauchtwagen oder um eine "Zitrone", d. h. einen mit Mängeln behafteten (reparaturanfälligen) Gebrauchtwagen handelt. Der Preis, für den Eigentümer eines guten Gebrauchtwagens bereit sind, diesen zu verkaufen, ist , der für eine Zitrone geforderte Preis . Sobald diese Preise erreicht werden, kommt jeweils eine fest vorgegebene Menge von guten Gebrauchtwagen bzw. Zitronen auf den Markt. - (2) Es besteht asymmetrische Information zwischen dem Verkäufer und dem Käufer eines Gebrauchtwagens derart, daß letzterer im Kaufzeitpunkt nicht herauszufinden vermag, ob der von ihm gekaufte Gebrauchtwagen gut oder eine Zitrone ist. Hätte er diese hidden information des Verkäufers, d.h. wäre der Informationsstand zwischen beiden symmetrisch, dann würden sich vollständig getrennte Märkte für gute Gebrauchtwagen und Zitronen herausbilden. Eine jeweils vollkommen elastische Nachfrage (= horizontale Nachfragekurve) vorausgesetzt, würde dann jeder Käufer für einen guten Gebrauchtwagen den Preis und für eine Zitrone den Preis bezahlen, wobei sowie und ist, denn andernfalls kämen keine Kaufabschlüsse zustande. Die markträumenden Preise und sind allgemein bekannt. Ungeachtet des Umstands, daß beim Kaufabschluß nur die Verkäufer, nicht aber die Käufer über die Qualität des einzelnen Gebrauchtwagens informiert sind, ist ferner allen Akteuren auf dem Gebrauchtwagenmarkt bekannt, daß die Zitronen einen Anteil z (0 < z < 1) der auf dem Gebrauchtwagenmarkt angebotenen Pkws des in Rede stehenden Typs ausmachen. - Aufgrund von Annahme (2) sind risikoneutrale Käufer eines Gebrauchtwagens bereit, den "Durchschnittspreis" zu bezahlen, der ein mit z gewogenes Mittel der Preise darstellt, die annahmegemäß für eine Zitrone bzw. einen guten Gebrauchtwagen bezahlt würden. Bedingt durch die angenommene Informationsasymmetrie impliziert der Preis , den alle Marktteilnehmer berechnen können, eine Unterbewertung von guten Exemplaren und eine Überbewertung von Zitronen: Je kleiner z ist, desto näher rückt an den Preis , der für einen guten Gebrauchtwagen bezahlt würde. Solange nun ist, d. h. solange nicht die Höhe des Mindestpreises erreicht, den die Verkäufer eines guten Gebrauchtwagens fordern, werden ausschließlich Zitronen angeboten: Dies wissen diese potentiellen Käufer, da ihnen die Konstellation bekannt ist. Sie werden deshalb für einen Gebrauchtwagen nicht mehr als bezahlen. Unter diesen Bedingungen findet eine Negativauslese (adverse selection) statt: Die Zitronen drängen die guten Gebrauchtwagen aus dem Markt, weil die Verkäufer guter Gebrauchtwagen diese Eigenschaft potentiellen Käufern nicht glaubwürdig signalisieren können. Profitable Geschäfte mit guten Gebrauchtwagen finden dann nicht statt. - Falls dagegen der Zitronenanteil z klein genug ist, damit über dem Mindestpreis liegt, den die Verkäufer eines guten Gebrauchtwagens bekanntermaßen verlangen, kommen auch gute Gebrauchtwagen auf den Markt. Wie hoch ist der kritische Zitronenanteil z*, so daß gilt? Man berechnet z*, indem man die Gleichung nach z auflöst und findet z* . Ist also z < z*, dann werden auch gute Gebrauchtwagen angeboten, aber sie erzielen nicht den Preis, den die Käufer bezahlen würden, falls sie mit Sicherheit wüßten, daß es sich um einen guten Gebrauchtwagen handelt. Denn der Preis, den die Käufer zu bezahlen bereit sind, wenn sie nicht wissen, ob es sich um eine Zitrone oder einen guten Gebrauchtwagen handelt, ist und für ist Der Verkäufer eines guten Gebrauchtwagens erfährt somit eine Einbuße in Höhe von Diese Einbuße ist umso größer, je höher der Zitronenanteil z (vorausgesetzt natürlich ) und je größer die Preisdifferenz zwischen einem guten Gebrauchtwagen und einer Zitrone ist. Die Verkäufer einer Zitrone haben dagegen einen Vorteil in Höhe von gegenüber dem markträumenden Preis im Fall symmetrischer Information. - Akerlof illustriert das Zitronenproblem u. a. mit folgenden Beispielen: den Problemen gesund erscheinender älterer Menschen, eine Krankenversicherung zu erwerben - höhere Prämien ziehen tendenziell die schlechteren Risiken an, was die Prämien steigen läßt (adverse selection); den ungünstigen Beschäftigungsaussichten der Angehörigen von Minderheiten, wenn entsprechende Zeugnisse fehlen bzw. die ausstellenden Institutionen für nicht glaubwürdig gehalten werden; den enorm hohen Zinssätzen lokaler Geldverleiher in unterentwickelten Ländern als Ausdruck der Kosten (eines hohen Maßes) von Mißtrauen und Unehrlichkeit. - Wo nicht besondere Umstände, wie z.B. der Antritt eines längeren Auslandsaufenthalts oder unter Freunden und Bekannten wirksame "moralische" Bindungen, das Angebot eines guten Gebrauchtwagens glaubhaft machen, bedarf es besonderer institutioneller Arrangements mit Signalcharakter, um das Zitronenproblem zu entschärfen. Dafür haben sich im Marktprozeß hauptsächlich herausgebildet: (1) Qualitätszeugnisse, vorausgesetzt sie stammen von einer vertrauenswürdigen Prüfinstitution (speziell steigen bei wertvolleren Pkws die Prüfkosten nicht linear mit dem Zeitwert des Pkw, sondern haben eher Pauschcharakter); (2) Garantien vertrauenswürdiger Produzenten und Händler, die hinreichend umfassende und damit potentiell kostspielige Gewährleistungen nur für entsprechend gute Produkte zusagen werden - doch sind hier einerseits Durchsetzungskosten zu erwarten und andererseits Probleme wegen "sorglosen" Produktgebrauchs auf Seiten der Käufer (moralisches Risiko); (3) Reputation, die sich auf die Erwartung der Käufer gegenüber den Anbietern gründet, daß in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen eines qualitativ verläßlichen Produktangebots sich in der Zukunft fortsetzen werden, weil die Anbieter mit Wiederholungskäufen zufriedener Kunden rechnen. Reputation ist ein zukunftsbezogener Mechanismus, um die Erfüllung impliziter, d.h. nach Treu und Glauben als vereinbart anzusehender Vertragsinhalte zu gewährleisten, wenn ausdrückliche Formulierung und Durchsetzung durch Dritte (z.B. staatliche oder private Gerichte) zu kostspielig sind.
II. Reputationsbedingte Abhängigkeit der Produktqualität vom Produktpreis: Man stelle sich wiederum vor, ein Produkt trete nur in zwei Qualitäten auf: als gute Qualität (1) oder als Zitronenqualität (0). Die Käufer erwarten, daß die Verkäufer das Qualitätsprodukt zum (Konkurrenz-) Marktpreis anbieten und die Verkäufer kennen diese Erwartung. Es besteht jedoch folgende Informationsasymmetrie: Kein Käufer vermag im Kaufzeitpunkt festzustellen, ob er ein Qualitätsprodukt oder eine Zitrone gekauft hat. Diese Kenntnis erlangt er erst nach einer (Gebrauchs-) Periode; deshalb nennen Ökonomen ein derartiges Produkt auch ein Erfahrungsgut (experience good). Solange sich die Qualitätserwartung des Käufers bestätigt, kauft er das Produkt infolge der guten Erfahrung immer wieder. Wird er jedoch durch den Verkauf minderwertiger Qualität enttäuscht, wo ihm gute Qualität versprochen wurde, dann brechen er und - der betrügerische Akt des Unternehmens soll sich augenblicklich herumsprechen - alle anderen Kunden die Geschäftsverbindung mit diesem Unternehmen ein für alle Mal ab. Minderwertige Qualität kann zum Preis in Höhe der - allgemein bekannten -Stückkosten solcher Qualität abgesetzt werden. - Hinsichtlich der Unternehmen wird "Ehrlichkeit" i. S. des verläßlichen Angebots guter Produktqualität nicht als moralische Tugend unterstellt, sondern als Ergebnis eines ökonomischen Kalküls. Also ist zu fragen: Unter welcher Bedingung zahlt sich Ehrlichkeit aus? Es sei Q die Produktmenge guter Qualität, die ein repräsentatives Unternehmen pro Periode zum Konkurrenzpreis am Markt absetzen kann, und ferner seien die allen Marktteilnehmern bekannten Stückkosten für ein Qualitätsprodukt bzw. ein minderwertiges Produkt (). Nun soll (a) ein ehrliches Unternehmen auf unbegrenzte Zeit mit Wiederholungskäufen zufriedener Kunden im Umfang Q des Qualitätsprodukts pro Periode rechnen können, so daß der Barwert seines Gewinns die folgende Höhe erreicht: , wobei r den Markt- und Kalkulationszinssatz angibt. Dagegen kann (b) ein seine Kunden mit minderwertiger Qualität betrügendes Unternehmen einen einmaligen Gewinn in Höhe von Q erzielen. Der Vergleich von (a) mit (b) zeigt, daß Ehrlichkeit sich zu "rechnen" beginnt, wenn gilt: oder äquivalent . Das heißt: Damit der Produktpreis ein qualitätvolles Angebot signalisiert, muß er mindestens so hoch sein wie die Stückkosten des Qualitätsprodukts zuzüglich einer qualitätssichernden Preisprämie oder Reputationsprämie in Höhe von , vorausgesetzt die Beziehung zu den Kunden ist auf eine unbestimmt lange Zeitdauer angelegt. (Ein "unmoralisches" Unternehmen hat, falls allseits bekannt ist, daß der Zeithorizont der Geschäftsbeziehung mit Sicherheit endlich ist, in der letzten Periode T jeden Anreiz, die Kunden mit minderwertiger Qualität zu betrügen; dann weiß jedermann, daß das Unternehmen auch in Periode T-1 keine die Reputation sichernde Qualität anbieten wird, also auch nicht in Periode T-2 etc., d. h. Reputationskapital wird dann von Anfang an nicht gebildet.) - Die angenommene Informationsasymmetrie bewirkt eine Reputationsprämie für das Qualitätsprodukt mit der Folge, daß auch unter Konkurrenzbedingungen sein Preis () nicht auf die Stückkosten () gedrückt wird. Würde dann der durch die Reputationsprämie signalisierte Stückgewinn aber nicht neue Unternehmen anziehen und der Preis deshalb infolge der höheren Angebotsmenge nicht zu halten sein? Dies ist deswegen nicht der Fall, weil ein Neuling noch keine Reputation hat, gute Produktqualität anzubieten. Um diese Reputation zu erwerben, muß er in der Anfangsperiode eine als gut annoncierte Qualität zu einem Preis in Höhe der (bekannten) Stückkosten minderwertiger Qualität () anbieten: Damit ergibt sich in der Anfangsperiode pro Stück ein Verlust von , der als Ausgabe für die Investition in Reputation angesehen werden kann, die in den Folgeperioden durch einen Stückgewinn in Höhe von "belohnt" wird, dessen Barwert beträgt. Es folgt, daß Markteintritt nicht profitabel ist, wenn gilt: oder äquivalent . Die Ungleichungen zusammengenommen ergeben als die grundlegende Preis-Qualitäts-Beziehung (Shapiro), welche sich intuitiv folgendermaßen interpretieren läßt: Die im Konkurrenzpreis enthaltene Reputationsprämie stellt die Normalverzinsung des von den etablierten Unternehmen in das Vermögensgut Reputation investierten Kapitals dar, oder anders gewendet, die zur Amortisation der in das Vermögensgut Reputation versunkenen Kosten erforderliche Quasirente. Mit der Investition in Reputation gibt das Unternehmen seinen Kunden ein "Pfand" für eine ehrliche, die verläßliche Lieferung von Qualitätsprodukten verbürgende Geschäftsbeziehung, welche durch die Drohung ihrer endgültigen Beendigung und den dadurch verursachten Kapitalverlust - weil dann in die Bildung von Reputation versunkene Kosten nicht zurückgewonnen werden können - geschützt ist, sollte das Unternehmen auch nur einmal betrügerisch minderwertige Qualität ("Zitronen") liefern. - An die Stelle der beschriebenen Investition in Reputation kann funktionsäquivalent auch aufwendige Werbung für Markenartikel (Klein/Leffler) treten: Worauf es dabei entscheidend ankommt, ist nicht, wie - mit regelmäßig trivialem Inhalt ("schmeckt köstlich", "macht Kinder froh", "hat noch mehr Waschkraft" etc.) - geworben wird, sondern daß mit erheblichem finanziellen Aufwand (z. B. unter Aufbietung von "Größen" des Sport- und Showgeschäfts) geworben wird. Je höher relativ zum Umsatz die in der Werbung versunkenen Kosten sind, desto stärker ist die Selbstbindung des Unternehmens zur Sicherung seines Angebots einer verläßlich guten Produktqualität bzw. desto höher die Abschreckung (Opportunitätskosten) gegenüber der Versuchung, durch die Lieferung von "Zitronen" kurzfristigen Gewinn zu machen.
Literatur: Akerlof, G. A., The Market for Lemons, in: Quarterly Journal of Economics 84 (1970), S. 488-500; Klein, B./ Leffler, K. B., The Role of Market Forces in Assuring Contractural Performance, in: Journal of Political Economy 89 (1981), S. 615-641; Shapiro, C., Premiums for High Quality Products as Returns to Reputations, in: Quarterly Journal of Economics 97 (1983), S. 659-679.

 

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