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Europäische Währungsunion

I. Begriff: Auf der Konferenz der Staats- und Regierungschefs der EG am 9. /10. 12. 1991 in Maastricht beschlossene Währungsvereinheitlichung auf dem Gebiet der Europäischen Union (oder Teilen hiervon) ab spätestens 1. 1. 1999. Die E.W. bildet einen Kernpunkt in den Bestrebungen zur Errichtung eines in Form einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) geeinten Europas, die bereits seit Ende der 60er Jahre verfolgt werden.
II. Errichtung: Die Beschlüsse von Maastricht beinhalten einen recht detaillierten Zeitplan zur Errichtung der E.W., an dessen Ende eine gemeinsame Währung steht, für deren Sicherung die noch zu errichtende Europäische Zentralbank (EZB) zuständig sein wird. Dieser Zeitplan gliedert sich in drei Integrationsstufen, die z. T. bereits verwirklicht sind. Die erste Stufe begann am 1. 6. 1991 und dauerte bis Ende 1993. Sie erbrachte eine weitgehende Aufhebung aller Kapitalverkehrskontrollen und ab 1. 1. 1993 die Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes. Zudem war vorgesehen, daß alle EG-Währungen am Wechselkursmechanismus des EWS zu denselben Bedingungen, also mit der ehedem gültigen maximalen Schwankungsbreite der Wechselkurse von +/- 2,25% um die festgelegten bilateralen Leitkurse, teilnehmen sollten. Das hiermit angestrebte Ziel der Währungskonvergenz wurde jedoch durch die Krise des EWS im September 1992, mit der Folge des Austritts Großbritanniens und Italiens aus dem EWS und durch die Erweiterung der Schwankungsbreiten auf +/- 15% im Juli 1993 zunächst konterkariert. Die zweite Stufe begann am 1. 1. 1994 und zielt vorrangig auf die Beschleunigung der Annäherung der wirtschaftlichen Entwicklungen der Teilnehmerländer der E.W. ab. Zudem werden im Rahmen dieser Stufe diejenigen Beträge festgelegt, mit denen die einzelnen nationalen Währungen in den Währungskorb ECU eingehen. Darüber hinaus nahm mit Beginn der zweiten Stufe das Europäische Währungsinstitut (EWI, Sitz: Frankfurt a. M.) seine Arbeit auf, dessen Aufgaben darin bestehen, den geldpolitischen Koordinierungsprozeß zwischen den nationalen Notenbanken zu intensivieren, die geldpolitischen Instrumente zu harmonisieren und den Eintritt in die dritte Stufe der E.W. vorzubereiten. Die dritte Stufe sieht den Beitritt der einzelnen Mitgliedstaaten in die E.W. vor und soll spätestens am 1. 1. 1999 in Kraft treten. Die Teilnahmeberechtigung von Mitgliedstaaten an der E.W. (und damit der WWU) wird anhand der Erfüllung von vier sog. Konvergenzkriterien entschieden. So darf die Inflationsrate eines beitrittswilligen Landes nicht um mehr als 1,5 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Inflationsraten der drei inflationsstabilsten Länder liegen, das Staatsdefizit und die Staatsschuld dürfen nicht mehr als 3% bzw. 60% des BIP betragen, die Wechselkurse der Landeswährung im Rahmen des EWS über zwei Jahre spannungsfrei in den normalen Bandbreiten gehalten worden sein und die Zinssätze langfristiger Staatsschuldverschreibungen dürfen im Verlauf eines Jahres vor der Beitrittsprüfung höchstens um 2 Prozentpunkte höher sein als die Zinssätze in den drei Mitgliedstaaten mit der niedrigsten Inflationsrate. Die Auswahl der ersten an der E.W. teilnehmenden qualifizierten Mitgliedstaaten soll im Laufe des Jahres 1998 von den Staats- und Regierungschefs auf der Grundlage volkswirtschaftlicher Ist-Daten für das Jahr 1997 getroffen werden. Zu Beginn der dritten Stufe wird seitens der die Konvergenzkriterien erfüllenden Teilnehmerstaaten an der E.W. unwiderruflich festgelegt, zu welchen Wechselkursen ihre Währungen fixiert werden. Die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Korbwährung ECU wandelt sich mit der Fixierung in eine eigenständige Währung (die voraussichtlich "Euro" heißen wird) um, doch können die nationalen Währungen daneben für eine Übergangszeit weiterhin bestehen bleiben. Der Europäische Rat verständigte sich im Dezember 1995 über ein "Szenario" für den Übergang zum Euro, das sich in drei Zeitabschnitte gliedert. Auf eine Interimsperiode in der Folge der Bestimmung der qualifizierten Mitgliedstaaten, in die auch die Errichtung des europäischen Zentralbanksystems fällt, soll am 1. 1. 1999 ein bis zu dreijähriger Zeitabschnitt folgen, in dem die einheitliche Währung schrittweise als Buchgeld eingeführt wird. Es schließt sich eine maximal sechsmonatige Phase an, in der auf Euro lautende Banknoten und Münzen ausgegeben werden und nationale Geldzeichen eingezogen werden sollen. Die letztgenannte Phase soll spätestens am 1. 1. 2002 einsetzen, sofern sie nicht bereits innerhalb des erwähnten Dreijahreszeitraums begonnen hat. Die geldpolitische Verantwortung geht im Zuge der dritten Stufe auf die gemeinsame Europäische Zentralbank über, die gleich zu Beginn der dritten Stufe ihre geld- und währungspolitischen Operationen in Euro durchführen wird. Mit dem Abschluß der dritten Phase ist die E.W. vollendet. Der Beitritt weiterer, noch nicht im ersten Zug aufgenommener Länder soll im weiteren turnusmäßig überprüft werden.
III. Beurteilung: Der Plan zur Errichtung der E.W. ist auf sehr unterschiedliche Beurteilungen gestoßen. Die Befürworter dieses Planes betonen vor allem, daß eine E.W. die Transaktionskosten erheblich vermindert. Der bisherige Aufwand für Liquiditätsvorsorge in mehreren Währungen, für Währungsumtausch oder Kurssicherung entfiele. Zudem löse sich das bisher bestehende Problem, daß sich Risiken bei längerfristigen Kontrakten, Geldanlagen oder Beteiligungen kaum gegen Währungsrisiken absichern lassen. Damit werden (bislang) "grenzüberschreitende" Geschäfte kostengünstiger, selbst die Rechnungslegung (Buchführung) würde vereinfacht. Für die Wirtschaft bringe die E.W. jedoch nicht nur Entlastungen auf der Kosten/Risiken-Seite, sondern auch Verbesserungen der Absatz- und Ertragsperspektiven. Dies wird damit begründet, daß eine gemeinsame Währung das Vordringen auf ausländische Märkte erleichtere, was wiederum mit dem Abbau objektiv vorhandener (Wechselkurs-) Risiken, aber auch subjektiv vorhandener Hürden bei Auslandsgeschäften zusammenhänge. Zudem wird von der E.W. eine Dynamisierung der europäischen Wirtschaft mit dauerhaft erhöhten Wachstumsraten erhofft: Zwar wird gesehen, daß einzelne Regionen, Branchen oder Unternehmen kurzfristig einem stärkeren Wettbewerbsdruck und den damit verbundenen Problemen ausgesetzt sein werden, da die Möglichkeit, sich durch Währungsabwertungen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, entfallen wird. Auf lange Sicht jedoch, so wird argumentiert, werde die europäische Wirtschaft aus diesem Anpassungsprozeß gestärkt für den globalen Wettbewerb hervorgehen. Die Befürworter der E.W. verweisen zudem darauf, daß die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung auch in den ehedem als "Weichwährungsländer" eingestuften Mitgliedstaaten und die jüngst sich abzeichnenden Konsolidierungstendenzen in der Entwicklung der Wechselkurse zwischen den EU-Währungen hoffen lassen, daß sich bis zum Eintritt in die E.W. ein europäischer Stabilitätskonsens herausgebildet haben werde, der auch im E.W. fortexistieren werde. Vor diesem Hintergrund sei auch stabilitätspolitisches Vertrauen in die weitgehend der Deutschen Bundesbank nachempfundene EZB und in den Ministerrat gerechtfertigt, der dem Primat der Geldwertstabilität verpflichtet ist. Die Geschwindigkeit der Schaffung der E.W. sei von den teilnahmewilligen Ländern abhängig, die den Zeitpunkt des Eintritts in die E.W. selbst bestimmen können, so daß Wettbewerbseinbußen bei ökonomisch schwächeren Ländern infolge "überhasteten" Beitritts kaum eintreten würden. Insgesamt sei davon auszugehen, daß die E.W. den Integrationsprozeß fördere und komplettiere und das absehbare Bestreben zum Beitritt zur E.W. die Konvergenzbestrebungen bei den Mitgliedsländern der EU fördern werde. - Seitens der Kritiker der E.W. wird argumentiert, daß trotz konvergierender wirtschaftlicher Entwicklungen weiterhin divergierende Präferenzen in bezug auf Preisniveaustabilität in den einzelnen Teilnehmerländern bestünden. Divergierende Präferenzen jedoch legten eher eine Dezentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen nahe, in der die Wirtschaftssubjekte zwischen den Währungen substituieren und stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitiken honorieren könnten. Dieser Weg werde im Vertrag von Maastricht nicht beschritten: Die beabsichtigte geldpolitische Zentralisierung führe zu einer zunehmend schwierigen Bestimmung der geldpolitischen Zielgröße (etwa anhand der Entwicklung des europäischen Produktionspotentials) und dem Anwachsen der Risiken einer geldpolitischen Fehlsteuerung. Solange die europäische Währungsintegration auf der einen und die politische Integration auf der anderen Seite unterschiedlich weit vorangeschritten seien, blieben nationale Präferenzen, nationale Interpretationen des Spannungsverhältnisses von Inflation und kurzfristigen Beschäftigungswirkungen weiter existent - was dazu führen könnte, daß man sich auf eine durchschnittliche Rate der inflationären Entwicklung einigt, die über der Rate im bisher inflationsärmsten Land liege. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die nicht vorhandene Wechselkurskompetenz der EZB gegenüber Drittwährungen, die beim Rat der Europäischen Gemeinschaft angesiedelt ist (Art. 109 des EG-Vertrages). Damit komme dem Ministerrat qua dominierender Stellung eine Bewertung zwischen der Festlegung der Wechselkurse und der Preisniveaustabilität zu, womit die Politik der Unabhängigkeit der Notenbank unterlaufen werden könnte. - Ein weiterer Nachteil der E.W. bestehe darin, daß in einer Währungsunion nicht mehr mit Wechselkurskorrekturen auf schwerwiegende strukturelle Veränderungen reagiert werden kann. Beispielsweise entfällt bei einer gemeinsamen Währung die Möglichkeit, sich durch Abwertung der eigenen Währung kurzfristig Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und Krisenzeiten zu überwinden. Es käme zu einem Druck auf die Löhne und zu Arbeitslosigkeit mit den bekannten negativen Multiplikatoreffekten in dem betroffenen Land oder der betroffenen Region. Diesem Argument wird entgegengehalten, daß besagtes Problem in einer Wirtschaftsunion ohne Arbeitsmarktbarrieren über Wanderungsbewegungen der Arbeitskräfte gelöst werden wird. Kritiker der E.W. halten dieser Auffassung jedoch entgegen, daß angesichts der nach wie vor bestehenden kulturellen Unterschiede und der Sprachbarrieren die Möglichkeiten der Problemlösung auf diesem Wege äußerst begrenzt sein dürften. Eine Konsequenz des Fortfalls dieser "Pufferfunktion" der Wechselkurse könne zudem ein verstärkter Ruf nach Ausgleichen über massive Transfers sein, was vermutlich zu Effizienzverlusten führen würde. Eine "überhastete" Einführung einer E.W. könne damit ökonomische Spannungen hervorrufen und daher eher eine Gefährdung als eine Förderung des Integrationsziels bedeuten. - Ein weiterer Grund gegen eine schnelle Einführung eines einheitlichen Währungsraumes wird darin gesehen, daß die im Zuge der WWU angestrebte Vereinheitlichung der Lebensbedingungen in Europa auf dem Wege überzogener Harmonisierungsbestrebungen dazu führen könne, daß bestehende Standortvorteile ökonomisch schwächerer Länder (etwa bei Lohn- und Lohnnebenkosten) eingeebnet werden. In diesem Zusammenhang wird bisweilen das Beispiel der deutsch-deutschen Währungsunion von 1990 mit der in der Folge einsetzenden starken Tendenz zur Angleichung der Löhne im Beitrittsgebiet an die des Westens angeführt. - Abschließend ist festzustellen, daß auf dem Weg zu einer E.W. erhebliche Unwägbarkeiten bestehen. So ist insbes. zu konstatieren, daß die finanzpolitischen Konsolidierungsfortschritte in vielen Mitgliedstaaten bislang noch unbefriedigend sind. Die generell im Vorfeld der E.W. erforderliche Aufrechterhaltung einer stabilitätsorientierten Geld- und Finanzpolitik wird vor allem in Phasen konjunktureller Schwäche erschwert. Im Vorfeld des Eintritts in die dritte Phase stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie strikt die Konvergenzkriterien einzuhalten sind. Es darf nicht übersehen werden, daß bei teilnahmewilligen Ländern, die die Konvergenzkriterien nicht erfüllen, ein starkes Interesse an einer "Aufweichung" der Kriterien besteht und somit die Regelung, daß der Europäische Rat bei der Prüfung des Eintritts eines Landes in die dritte Stufe die vom Europäischen Rechnungshof und vom EWI zu ermittelnde Einhaltung der Konvergenzkriterien lediglich "gebührend zu würdigen" hat, eher weit ausgelegt werden könnte. Problematisch ist weiterhin die Frage, mit welchen Mitteln der durch die Konvergenzkriterien vorgezeichnete Weg der Konsolidierung auch nach dem Eintritt eines Landes in das E.W. fortgesetzt werden kann, da der Maastricht-Vertrag für den Fall des Abweichens eines Landes von den Konvergenzkriterien nach Eintritt in die E.W. keine wirtschaftspolitischen Strategien bereithält, geschweige denn Sanktionen vorsieht. - Ein dauerhaft spannungsfreier und von den Märkten durch vergleichsweise niedrige Risikoprämien (d. h. Zinsen) positiv sanktionierter Weg in die E.W. ist jedoch nur möglich, wenn die politische Seite durch striktes Festhalten an den Konvergenzkriterien ihren Willen zu einem stabilen E.W. signalisiert.

 

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