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spontane Ordnung

1. Begriff: Das Konzept der s. O., das Hayek in die Ökonomik eingeführt hat, ist nicht nur für unser Verständnis der Funktionsweise sozialer Systeme selbst relevant, sondern auch für die Diskussion über Lenkungsnotwendigkeit und -möglichkeit dieser Systeme etwa durch wirtschaftspolitische Eingriffe des Staates. "Ordnung" wird von Hayek definiert als ". . . das Bestehen von Beziehungen zwischen wiederkehrenden Elementen. . ., die es für uns möglich macht, aufgrund der Kenntnis eines (räumlich oder zeitlich) beschränkten Teils eines Ganzen Erwartungen bzgl. des Restes zu bilden, die gute Aussicht auf Erfüllung haben" (1967 a, 164). - Abgrenzung: Die s. O. ist dabei abzugrenzen von der geplanten Ordnung, die auch Organisation genannt wird. (1) Der Begriff s. O. bezieht sich dabei auf die Genese dieser Ordnungsart: Sie ist entstanden, ohne daß irgend jemand sie bewußt geplant hätte, sondern sie hat sich spontan gebildet. Oder, wie Hayek oft schrieb: "Sie ist das Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs." - Beispiele für s. O. sind der Markt, Sprache, Moral, Gesetz, Schrift und Geld. Der Begriff Ordnung wird von Hayek jedoch nicht nur als das einem externen Beobachter zugängliche Muster von Koordinationshandlungen genutzt, sondern auch zur Beschreibung des Systems von Regelmäßigkeiten bzw. Regeln, die ein solches Muster hervorbringen. (2) Eine Organisation wird von Hayek definiert als "(e)ine Ordnung, die erzielt wird, indem die Teile nach einem vorgefaßten Plan in Beziehung zueinander gebracht werden, . . ." (1963, spontane Ordnung 34). Beispiele hierfür sind Betriebe, Armeen, aber auch Regierungen. - 2. Status des Konzepts: In der Ordnungstheorie hat das Konzept der s. O. nicht nur einen positiven, sondern auch einen normativen Status. Die Entdeckung, daß Ordnungen entstehen können, selbst wenn Individuen ihr Wissen für ihre eigenen Zwecke nutzen und sie nur durch sog. "Regeln des gerechten Verhaltens" in ihrem Handeln beschränkt werden, bietet in Hayeks Augen ". . . die Grundlage eines systematischen Arguments für die persönliche Freiheit" (1963, spontane Ordnung 35). In s. O. werden Informationen genutzt, die nur einzelnen Individuen bekannt sind und die sich nicht sinnvoll aggregieren lassen. Die geplante Organisation, die auf der bewußten Anordnung der Elemente durch einen Organisator beruht, sei der s. O. in bezug auf die Koordination großer und komplexer Gesellschaften unterlegen, weil sie viel weniger Wissen verarbeiten könne (nämlich nur das an der Hierarchiespitze vorhandene) und deswegen notwendigerweise nur einen geringen Komplexitätsgrad hervorzubringen in der Lage sei. spontane Ordnung O. erweitern einerseits die Macht der Menschen, weil sie Ordnungen von hohem Komplexitätsgrad sind. Andererseits schränken sie die Macht der Menschen ein, weil nur abstrakte Züge einer solchen Ordnung manipulierbar sind, nicht jedoch deren konkrete Ergebnisse. - Folgerung: Für die Wirtschaftspolitik bedeutet dies den weitgehenden Verzicht auf interventionistische und ergebnisorientierte Eingriffe. Neues Wissen wird in der s. O. Markt durch den Wettbewerb hervorgebracht (Hayek, 1968). - 3. Entstehungsbedingungen: spontane Ordnung O. ergeben sich daraus, daß ihre Elemente bestimmten Verhaltensregeln folgen. Allerdings bringt nicht jede Regelmäßigkeit im Verhalten eine solche Ordnung hervor. Eine zentrale Aufgabe für Sozialwissenschaftler sieht Hayek (1973) deshalb darin, die Eigenschaften von Regeln herauszuarbeiten, die eine spontane Ordnung ermöglichen. Unter Rückgriff auf Kant fordert er die Universalisierbarkeit von Regeln (Wirtschaftsverfassung, Rechtsstaatlichkeit): (Rechts-) Regeln sollten allgemein sein, d.h. auf eine unbestimmte Zahl von Fällen und Personen anwendbar sein. Desweiteren müßten sie abstrakt in dem Sinne sein, daß sie kein bestimmtes Verhalten positiv vorschreiben, sondern nur einige Verhaltensweisen verbieten würden und ein individueller Freiheitsspielraum so erhalten bleibe. Die Regeln, die eine s. O. lenken, sind somit unabhängig von konkreten Zielen. Obwohl eine s. O. einer Organisation sowohl in bezug auf die Informationsverarbeitungskapazität und den erreichbaren Komplexitätsgrad als auch moralisch (nur sie erlaubt persönliche Freiheit) überlegen ist, wird zur Aufrechterhaltung der s. O. "Große Gesellschaft" regelmäßig die Organisation Regierung benötigt. Sie hat die Aufgabe, für die Einhaltung jenes Minimums an Regeln zu sorgen, das für die Bildung sowie Erhaltung einer s. O. erforderlich ist. spontane Ordnung O. sind Organisationen also in vielerlei Hinsicht überlegen, weshalb es als wünschenswert gilt, ihre Vorteile möglichst häufig zu nutzen. Regierungen sind erforderlich, um die Einhaltung von (Rechts-) Regeln, die Voraussetzung für die spontane Koordination menschlichen Verhaltens sind, sicherzustellen. - 4. Zur Entstehung der Regeln: Bisher wurde gezeigt, daß Hayek (1973) von der Möglichkeit ausgeht, daß sich Ordnungen spontan bilden können, solange die beteiligten Elemente gewissen Regelmäßigkeiten folgten. Hier verharrt er jedoch nicht: Seiner Ansicht nach haben sich nämlich auch die s. O. ermöglichenden Regelmäßigkeiten in einem spontanen Prozeß herausgebildet. Die unsichtbare Hand-Erklärung bleibt somit nicht auf den Koordinationsprozeß beschränkt, der sich innerhalb eines gegebenen Regelrahmens ergibt, sondern sie wird auf die Entstehung dieses Rahmens ausgedehnt. Die Auffassung, daß auch Institutionen spontan entstehen können, wurde früher als bei ihm vor allem von Hume (1748, 1777) und Menger (1883) vertreten. Von Spieltheoretikern wurde mittlerweile gezeigt, daß sich Institutionen unter bestimmten Voraussetzungen, wie z. B. einer hinreichend hohen Wiederbegegnungswahrscheinlichkeit und einer hinreichend niedrigen Gegenwartspräferenz, nicht nur bei reinen Koordinationsspielen, sondern auch bei einigen Mixed motive Spielen spontan herausbilden können (z. B. Axelrod, 1984, Taylor, 1987). - Vgl. auch Verfügungsrechte 1 e), konstitutioneller Wissensmangel 2.


Literatur: Axelrod, R., The Evolution of Cooperation, New York 1984; Hayek, F., 1963, Arten der Ordnung, wiederabgedruckt in: ders., Freiburger Studien, Tübingen 1969; Hayek, F., 1967 a, Rechtsordnung und Handelnsordnung, in: ders., Freiburger Studien, Tübingen 1969; Hayek, F., 1967 b, Die Ergebnisse menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs, deutsche Übersetzung in: ders., Freiburger Studien, Tübingen 1969; Hayek, F., 1968, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: ders., Freiburger Studien, Tübingen 1969; Hayek, F., 1973, Law, Legislation and Liberty, Vol. 1: Rules and Order, deutsche Übersetzung: Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 1: Regeln und Ordnung, München 1986; Hume, D., An Enquiry concerning Human Understanding, Oxford 1748; Hume, D., An Enquiry concerning the Principals of Morals, Oxford 1777; Menger, C., Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschaften und der Politischen Ökonomie, Leipzig 1883; Taylor, M., The Possibility of Cooperation, Cambridge 1987.

 

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