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Steuerberatung

I. Charakterisierung: 1. Begriff: Unter Steuerberatung versteht man jede Raterteilung in Fragen, die durch das Vorhandensein der Besteuerung entstehen; man faßt darunter aber auch die Vertretung vor Finanzbehörden und -gerichten, die Hilfeleistung bei der Erfüllung steuerlicher Pflichten (z. B. Buchführung und Jahresabschlußerstellung, Abgabe von Steuererklärungen). - 2. Privater Nutzen: Steuerberatung ist erforderlich, weil das Steuersystem - in betriebswirtschaftlicher Sicht - v. a. drei wesentliche Eigenschaften hat: (1) Die Besteuerung ist gewichtig; die meisten Steuerarten verursachen relativ hohe Steuerlasten, und insbes. bei unternehmerischer Betätigung treffen i. d. R. zahlreiche Steuerarten zusammen, die zum großen Teil miteinander in nicht leicht überschaubarer Weise verknüpft sind. (2) Eine materielle Steuerpflicht kann normalerweise nur aus realen Gestaltungen entstehen; die Gegebenheiten, die der Steuerpflichtige verwirklicht hat, sind also mit ihren konstitutionellen, prozeßlichen und terminlichen Eigenschaften steuererheblich. Die Besteuerung ist aber nicht nur von Sachverhaltsgestaltungen abhängig, sondern auch von Beurteilungen durch die Finanzverwaltung bzw. die Finanzgerichte sowie von zahlreichen Optionsentscheidungen, die das Steuerrecht dem Steuerpflichtigen, z. B. bei Betriebsveräußerungen, -verpachtungen, oder -umwandlungen, überläßt; die Besteuerung ist also auch gestaltungsabhängig. (3) Das Steuerrecht befindet sich in einem permanenten Veränderungsprozeß. Das gilt sowohl für die geschriebenen Normen der Steuergesetze als auch für die vielen Gerichtsentscheidungen, inbes. des höchsten in Steuersachen zuständigen Gerichts, des Bundesfinanzhofs. Gerade dessen Rechtsprechung verändert sich oft sprunghaft. Infolge der zahlreichen Zweifels- und Streitfälle sowie der Gesetzes- und Rechtsprechungsänderungen ist die Besteuerung also im hohen Grade ungewiß. - 3. Öffentlicher Nutzen: Ergibt sich daraus die hohe Beratungsbedürftigkeit für die Steuerpflichtigen und damit die private Nützlichkeit der St., so ist Steuerberatung auch nicht von unerheblichem öffentlichem Nutzen. Es besteht kein Zweifel, daß ohne sachkundige und zuverlässige Steuerberatung von einer geordneten Steuererhebung heutzutage nicht mehr gesprochen werden könnte, was insbes. darauf zurückzuführen ist, daß die meisten Steuerarten, v. a. in den großen Hauptsteuern, auf detaillierten Erklärungen der Steuerpflichtigen und entsprechenden Unterlagen, wie z. B. Bilanzen und Vermögensaufstellungen, basieren. Das Bestreben des Staates geht aber auch dahin, mit Hilfe von steuerlichen Anreizen oder Erschwernissen außerfiskalische Lenkungszwecke zu verfolgen und auf diese Weise die Bürger zu bestimmten Handlungen (z. B. Investitionen in den neuen Bundesländern) zu veranlassen bzw. sie von bestimmten Aktivitäten (z. B. verlustbringenden Engagements in sog. "Steuersparmodellen") abzuhalten (Steuerpolitik). Diese Art staatlicher Verhaltenslenkung funktioniert natürlich nur, wenn die im komplizierten Steuerrecht enthaltenen Instrumente auch sinnvoll wahrgenommen werden; die hierzu notwendige Vermittlungsfunktion erfüllt eine qualifizierte Steuerberatung Schließlich vermindert sorgfältige Steuerberatung auch die Gefahr von Steuerhinterziehungen. - 4. Beschäftigte: Man kann davon ausgehen, daß mit Steuerberatung in Deutschland mindestens ca. 200 000 Personen beschäftigt sind, nämlich einmal die rund 50 000 Steuerberater und Steuerbevollmächtigten, ferner die steuerberatend tätigen Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte, zum anderen aber auch die zahlreichen Angestellten ohne entsprechende Berufstitel in wirtschaftlichen Unternehmungen, bei Verbänden, in Steuerberaterkanzleien und -gesellschaften.
II. Geschichte: Nach den vorliegenden Forschungen, die sich mit der Geschichte der Steuerberatung beschäftigen, hat es Steuerberatung schon im Altertum und im Mittelalter gegeben. Ahnherren der Steuerberater waren die Redner (Oratoren, Rechtsweiser, Mandatarii, Bauernschaftsredner, Fürsprecher) und Schreiber (Scriptores, Schreib- und Rechenkünstler, Formularschreiber, Schutzbriefschreiber, gewerblichen Bürgerschreiber, Stadtschreiber, Kaufmannsschreiber). Von den Rednern ging im 15. bis 19. Jahrhundert die Entwicklung zum steuerkundigen Rechtsberater (Prokurator, Advokat, Rechtsanwalt, Notar, Rechtkonsulent), vom Schreiber zum Wirtschaftshelfer (Buchhalter, Bilanzbuchhalter, Rechenmeister, Treuhänder, Handlungssachverständiger, Bücherrevisor). Der Übergang zum hauptberuflichen Steuerratgeber vollzog sich am Ende des 19. Jahrhunderts - mit der Miquelschen Steuerreform von 1891/93 - bis zum Ende des Ersten Weltkriegs; den Anfang dieser Zeitspanne markierte die bis dahin weitgehend unbekannte Pflicht, für direkte persönliche (Einkommen-)Steuern Steuererklärungen abzugeben, sich insoweit aber auch durch Bevollmächtigte vertreten lassen zu können. Am Ende stand nach dem verlorenen Krieg das enorme Anwachsen der Höhe der direkten Steuern und der dadurch ausgelöste Steuerdruck, der nach 1919 zu den eigentlichen steuerberatenden Berufen in Gestalt des "Helfers in Steuersachen" (später: "Steuerbevollmächtigter") und des "Steuerberaters" führte.
III. Ziel/Umfang/Formen: Das Ziel der Steuerberatung bestimmt der Beratungsempfänger, der damit zugleich über Umfang und Form entscheidet. Insbes. lassen sich folgende Gegensatzpaare unterscheiden: (1) Gelegenheitsberatung (z. B. Führung eines Steuerprozesses in einer streitigen Einzelfrage) und Dauerberatung (ständige Beratung eines Mandanten in allen Steuerangelegenheiten); (2) Teilberatung (z. B. beschränkt auf die Hilfe bei dem Ausfüllen der Steuererklärungen) und Totalberatung (Beratung in allen Steuerfragen); (3) nachgehende (d. h. abgeschlossene Sachverhalte vorfindende, retrospektive) und vorsorgende (planend in die Entscheidungsvorbereitung integrierte, prospektive) Beratung; (4) externe (d. h. von freiberuflichen Beratern ausgeführte) und interne (d. h. von Personen innerhalb der Unternehmung ausgeführte) Beratung.
IV. Inhaltliche Elemente: Innerhalb des mit "Steuerberatung" bezeichneten Aufgabengebiets lassen sich drei Teile unterscheiden: (1) Steuerdeklarationsberatung: Hierbei geht es um die Erfüllung von dem Steuerpflichtigen auferlegten Steuererklärungs- und sonstigen Formalpflichten, wozu auch die Entwicklung von Steuerbilanzen und ähnlichen Rechenwerken als Unterlagen für Steuervoranmeldungen und Steuererklärungen gehört. In diesen Bereich fällt auch die Betreuung der Steuerpflichtigen anläßlich von Betriebsprüfungen, soweit sie Hilfe bei der buch- und rechentechnischen Darstellung ist. (2) Steuerrechtsdurchsetzungsberatung: Sie versucht, den Steuerpflichtigen bei Auseinandersetzungen mit der Finanzbehörde zu helfen, insbes. fachliche Stellungnahmen zu deren Einwendungen gegen Steuererklärungen oder zu Berichten von Betriebsprüfern abzugeben, sachdienliche Anträge zu stellen, Rechtsbehelfe einzulegen und durchzukämpfen. (3) Geht es bei der Steuerdeklarationsberatung und bei der Steuerrechtsdurchsetzungsberatung immer darum, das Steuerrecht auf bereits realisierte und abgeschlossene konkrete Sachverhalte anzuwenden, so geht es bei der Steuergestaltungsberatung um Entscheidungshilfe bei der vorsorglichen Gestaltung steuerrelevanter wirtschaftlicher Verhältnisse. Aus der wenigstens bereichsweise gegebenen Beeinflußbarkeit der staatlichen Abgabenansprüche durch Sachverhaltsgestaltungen, Ausübung von Optionsrechten, Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten etc. ergibt sich die Möglichkeit einer Steuerplanung. Die planende Steuerberatung (Steuergestaltungsberatung) ist das betriebswirtschaftlich reizvollste Element der St.
V. Steuerberatung und Wissenschaft: Im Rahmen des als "Steuerwissenschaften" anzusehenden Komplexes der wissenschaftlichen Disziplinen, die sich (auch) mit Steuerfragen beschäftigen - dies sind die betriebswirtschaftliche Steuerlehre, die Finanzwissenschaft, das Staatsrecht und das Steuerrecht - ist die Steuerberatungslehre Gegenstand rechtswissenschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Aspekte. Im Bereich der Steuerrechtsdurchsetzungsberatung dominieren die juristischen, im Bereich der Steuergestaltungsberatung die ökonomischen Problemstellungen. Innerhalb der Betriebswirtschaftslehre beschäftigt sich die betriebswirtschaftliche Steuerlehre als Teildisziplin besonders mit der betriebswirtschaftlichen Steuerpolitik (betriebswirtschaftlichen Steuergestaltungslehre; Steuerpolitik II) als Lehre von den optimalen Entscheidungen einzelwirtschaftlicher Gebilde im Hinblick auf die Besteuerungskonsequenzen. Aber auch die Rechtswissenschaft ist nicht nur "nachsorgend" engagiert, sondern erforscht Möglichkeiten einer zweckentsprechenden Gestaltung steuerrelevanter privatrechtlicher Verhältnisse (steuerliche Kautelarjurisprudenz).


Literatur: Mittelsteiner, K. H./Pausch, A./Kumpf, J. H., Illustrierte Geschichte des steuerberatenden Berufes, 2. Aufl., Köln 1986; Rose, G., Einführung in den Beruf des Steuerberaters, 2. Aufl., Köln 1995; Rudel, M., Praxis der Steuerberatungsbetriebe; Organisationsstruktur, Mandanten und Leistungsprogramm, Berlin 1979.

 

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