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Bankbetriebslehre

I. Begriff/Einordnung: Bankbetriebslehre ist diejenige Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre, die das Bankensystem sowie das einzelne Kreditinstitut mit dem Ziel untersucht, Informationen über Aufbau, Arbeitsweise und Beziehungen mit der Gesamtwirtschaft zu gewinnen und diese durch Analyse und Auswertung für die Gestaltung von Strukturen und Prozessen nutzbar zu machen. Sie gehört zu den institutionell nach Sachaufgaben bestimmter Wirtschaftszweige eingeteilten speziellen Betriebswirtschaftslehren. - 1. Bankbetriebslehre und Allgemeine Betriebswirtschaftslehre: Erkenntnis- und Erfahrungsobjekt der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre ist großenteils der Industriebetrieb, so daß sich diese wirtschaftswissenschaftliche Teildisziplin heute weitgehend als generalisierte Industriebetriebslehre darstellt (vgl. hierzu auch Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Industriebetriebslehre). Aus ihr gewonnene Grunderkenntnisse sind nur sehr beschränkt auf den Bankbetrieb anwendbar: So eignet sich weder das allgemein übliche Schema der Produktionsfaktoren dazu, den bankbetrieblichen Faktoreinsatz zu erklären, noch paßt die allgemeine betriebswirtschaftliche Vorgehensweise in den Funktionsbereichen Beschaffung, Produktion und Absatz i. d. R. für Untersuchungen des Leistungserstellungs- und -vermarktungsprozesses der Banken. Die typischen Charakteristika der Bankleistungen und ihrer Erstellung sind vielmehr dafür verantwortlich, daß sich die Bankbetriebslehre unabhängig von der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre zu einem relativ selbständigen Fachgebiet entwickelt hat. - 2. Bankbetriebslehre und Volkswirtschaftslehre: Neben der Bankbetriebslehre befaßt sich auch die Volkswirtschaftslehre mit Fragen der Kreditwirtschaft. Banken sind zugleich Betriebswirtschaften und notwendige Teile des Systems zur monetären Steuerung der Volkswirtschaft. Sie haben eine Sonderstellung aufgrund ihrer Schlüsselfunktionen für den reibungslosen Ablauf des gesamten Wirtschaftsprozesses. Augenfällige Berührungspunkte der Bankbetriebslehre mit einer Volkswirtschaftslehre ergeben sich insbes. bei den Theorien der Geldschöpfung sowie Fragen der Geldpolitik und der Währungspolitik (monetäre Theorie und Politik).
II. Wissenschaftsziele: Die Bankbetriebslehre als umfassendes Aussagensystem über alle im Zusammenhang mit dem Kreditsektor stehenden Phänomene und Prozesse hat drei wissenschaftliche Ziele: 1. Deskriptionsziel: Eine systematische Erfassung und Darstellung des als Erkenntnisobjekt relevanten Ausschnitts der Realität ist erforderlich. Zur Zielerreichung wird die empirisch-deduktive Forschungsmethodik eingesetzt. Besondere Bedeutung kommt der Beschreibungsaufgabe der Bankbetriebslehre für die Bankenstrukturlehre sowie die Bankgeschäftslehre zu. - 2. Erklärungsziel: Bei der Verfolgung dieses Ziels geht es um die wissenschaftliche Erklärung und Begründung anschaulich erfahr- und erfaßbarer bankwirtschaftlicher Phänomene in intersubjektiv nachvollziehbarer Weise. Hierzu werden in Form von Erklärungsmodellen (Modell II) Systeme empirisch gehaltvoller Hypothesen gebildet, die der Aufdeckung funktionaler und kausaler Beziehungen dienen sollen. - 3. Gestaltungsziel: Das bei der Verfolgung der erstgenannten Ziele gewonnene Wissen ist zum Werkzeug bei der Gestaltung der bankbetrieblichen Realität zu machen. Hierdurch sollen wissenschaftliche Erkenntnisse in praktisch anwendbare Handlungs- und Verhaltensanweisungen für die Bankpraxis transformiert werden.
III. Entwicklung: Die Entwicklung der Bankbetriebslehre in Deutschland läßt sich in drei Hauptabschnitten darstellen: 1. Historische Phase (1619 bis Ende der 50er Jahre unseres Jahrhunderts): Die historische Phase kann in drei Entwicklungsstufen eingeteilt werden (Grünewald 1963, Glow 1971): a) Phase einfach organisierter Bankbetriebe in der Zeit von 1619, dem Gründungsjahr der ersten Girobank im deutschsprachigen Raum, bis 1848, dem Jahr der Gründung des A. Schaaffhausenschen Bankvereins als erster deutscher Aktienbank. Den Anfang der Fachliteratur markiert P. J. Marpergers "Beschreibung der Banquen" (Halle und Leipzig 1717). Die typischen Betriebsformen jener Zeit waren privatwirtschaftlich organisierte Kaufmannsbanken bzw. Kameralistenbanken als Institute des merkantilistischen Staates, häufig v. a. mit der Aufgabe der Geld- und Kreditversorgung ihrer Landesherren. - b) Der Zeitabschnitt bis zur Wende zum 20. Jahrhundert war in Deutschland aufgrund der raschen wirtschaftlichen Entwicklung, der Reichsgründung und Vereinheitlichung des Währungswesens geprägt durch Entstehung und starkes Wachstum der Anfänge des modernen Bankwesens. Auf wissenschaftlichem Gebiet waren es v. a. bedeutende Nationalökonomen, die sich im Rahmen ihrer Geld- und Kredittheorien auch mit zentralen einzelwirtschaftlichen Bankfragen auseinandersetzten. Der Bankbetrieb wurde als ein Handelsunternehmen aufgefaßt. Sie erkannten bereits die geschäftspolitischen Möglichkeiten, die sich aus der Abstimmung von Aktiv- und Passivbereich im Rahmen des "Handels" mit Kredit ergeben. Aus dieser Erkenntnis entstanden die bis heute in ihren Ansätzen relevanten Liquiditätstheorien mit ihren unterschiedlichen Aussagen bzgl. des Fristenproblems bei der Transformation von Depositen in Kredite: Während Hübner (1854) völlige Laufzeitenkongruenz forderte (goldene Bankregel), erkannte Wagner (1857) die Bedeutung eines langfristig verfügbaren Bodensatzes für die Kreditvergabepolitik der Banken (Bodensatztheorie). Diese Erkenntnisse führten jedoch noch nicht zu einer selbständigen Bankbetriebslehre im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften. - c) In die Zeitspanne von ca. 1900 bis nach dem Zweiten Weltkrieg fällt die Entstehung der Bankbetriebslehre im heute verstandenen, von einem einzelwirtschaftlichen Standpunkt ausgehenden Sinn. Prion definiert in seiner "Lehre vom Bankbetrieb" (1924) die Bankbetriebslehre erstmals als die Wissenschaft vom Aufbau und der Gestaltung derjenigen Betriebe, die Bankgeschäfte betreiben; sein Beitrag gilt allgemein als das erste der neuen Richtung zurechenbare Werk. - 2. Phase der methodischen Erweiterung: Bis in die 50er Jahre gab es in der jungen bankbetrieblichen Wissenschaftsdisziplin keine methodischen Probleme; im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Bankbetrieb stand zunächst eine umfassende Bestandsaufnahme und Deskription des Bankensystems sowie der Bankgeschäfte. Durch Verlagerung der Schwerpunkte auf unterschiedliche Wissenschaftsziele begannen sich jedoch verschiedene bankwissenschaftliche Denkrichtungen mit unterschiedlichen methodologischen Schwerpunkten herauszubilden: a) Eine in der Literatur häufig als "traditionelle B." bezeichnete methodische Richtung stellt bis in unsere Zeit weiterhin die Beschreibung von Bankgeschäften, Bankorganisation und anderen bankwirtschaftlichen Einzelproblemen in den Vordergrund. Mülhaupt (1961) stellte in seiner Münsteraner Antrittsvorlesung fest, daß "... im Mittelpunkt fast aller betriebswirtschaftlichen Publikationen der letzten Jahre und Jahrzehnte, die unter der anspruchsvollen Bezeichnung "Bankbetriebslehre" erschienen sind, ... nicht der Bankbetrieb als solcher und die sich in ihm vollziehenden Prozesse, sondern die Beschreibung der einzelnen Kredit- und Dienstleistungsgeschäfte, der Bankorganisation, des Rechnungswesens sowie der Struktur des Bankwesens (steht, Erg. d. Verf.)". Diese Arbeiten lassen nach Mülhaupt eine Analyse der im Bankbetrieb bestehenden funktionalen Zusammenhänge vermissen. Seine Kritik an der traditionellen Bankbetriebslehre trifft auf eine Vielzahl grundlegender Monographien auch bedeutender Autoren zu. - b) Mit der "Deppe/Mülhaupt-Schule" entwickelte sich aus dieser Kritik eine methodische Richtung, die auf einem "strukturellen" Bankbegriff (aus diesem Grund auch als "strukturelle B." bezeichnet) aufbaut: Der Bankbetrieb wird erstmals als ein System zweckmotivierter Handlungen (Entscheidungen) aufgefaßt, in dem auf der Basis bestimmter Zielsetzungen Produktionsfaktoren zu Bankleistungen verknüpft werden. Deppe entwickelt ein bankbetriebliches Faktorsystem, wobei er von der allgemeingültig angelegten Systematik der Produktionsfaktoren Gutenbergs ausgeht. Er kritisiert an diesem System, daß darin der Gedanke der Faktorkombination im gütermäßigen Bereich dominiert. - Jede Bankleistung setzt sich nach Deppe jedoch aus Teilleistungen einer liquiditätsmäßig-finanziellen und einer technisch-organisatorischen Sphäre zusammen. Unter dem liquiditätsmäßig-finanziellen Bereich versteht Deppe die Gesamtheit aller Zahlungsmittelbestände und aller durch den bankbetrieblichen Leistungserstellungs- und -vermarktungsprozeß ausgelösten Zahlungsmittelbewegungen, die als "monetärer Produktionsfaktor" aufgefaßt werden. Die technisch-organisatorische Sphäre umfaßt demgegenüber die Produktionsfaktoren objektbezogene und dispositive Arbeit, Arbeits- und Betriebsmittel sowie den Faktor "Information". Mittels dieses Faktorsystems ist es nach der Konzeption Deppes möglich, einerseits die organisatorischen Strukturen innerhalb der Bank sowie die menschlichen und informatorischen Beziehungen zwischen den Strukturelementen und andererseits die finanziellen Beziehungen der Bank zur Umwelt hinreichend zu erfassen. - Dabei bedient sich die strukturelle Bankbetriebslehre der analytisch-deduktiven Forschungsmethodik, bei der aus gesetzten Prämissen mittels logischer Ableitung Erkenntnisse gewonnen werden sollen. Solche Erkenntnisse sind jedoch zunächst nur Hypothesen und können somit nur als Aussagen über ein logisch-denknotwendiges Funktionalverhältnis unter den fixierten Prämissen gelten. Eine empirische Überprüfung ihrer Ergebnisse ist daher erforderlich. - c) Der erstmals von Penzkofer (1970) in die Diskussion gebrachte Ansatz einer "systemorientierten B." begreift den Bankbetrieb als zielgerichtetes, sozio-technisches System, das mit seiner Umwelt durch ein Geflecht von Beziehungen und Interaktionen verbunden ist. Dabei steht der Versuch im Mittelpunkt, den bankbetrieblichen Leistungserstellungsprozeß und die Bankmarktleistung als dessen Ergebnis in Abhängigkeit sowohl von innerbetrieblichen Faktoren (wie z. Bankbetriebslehre Organisationsstruktur sowie bankbetriebliche Entscheidungen und Entscheidungsprozesse) als auch von Umweltfaktoren zu erklären. - Phase des raschen Wandels: Die starke Entwicklungsdynamik der letzten 25 Jahre hat die Bankbetriebe und das bankbetriebliche Umfeld stark beeinflußt. Insbesondere die Deregulierung im Finanzsektor, die Weiterentwicklung der Kommunikations- und Informationstechnik und die Internationalisierung der Finanzwirtschaft führten zu bedeutenden Veränderungen. Neue Anbieter (z. Bankbetriebslehre sog. Non-Banks oder Near-Banks) traten in den Markt für Finanzdienstleistungen ein, neue Produkte entstanden in großer Vielzahl ebenso wie neue Märkte für die Finanzintermediation. Konsequenzen waren ein zunehmender Wettbewerb, Konzentration und das Entstehen neuer Vorgehensweisen und Prozesse bei der bankbetrieblichen Leistungserstellung. Diesen Realphänomen entsprechend hat sich auch die Bankbetriebslehre weiterentwickelt. - Dabei lassen sich drei Aspekte unterscheiden: a) Interdisziplinarität: Auf die neuen Anforderungen an die Praxis und Wissenschaft hat die Bankbetriebslehre mit der Übernahme von Erkenntnissen und Instrumenten aus anderen Wissenschaftsdisziplinen geantwortet. Für eine effizientere Gestaltung des Leistungsprozesses in der Bank wurden z. Bankbetriebslehre Erkenntnisse aus der Unternehmensforschung in der bankbetrieblichen Organisationslehre verarbeitet. Aus der Industriebetriebslehre wurde der Ansatz der schlanken Produktion (Lean Management, Lean Production) übernommen und zum Konzept des Lean Banking weiterentwickelt. Die Auseinandersetzung mit der Entscheidungstheorie und der Statistik förderte die Entwicklung von Entscheidungshilfen für die Bankunternehmungsführung in den Bereichen Portfolio- und Risikomanagement sowie in der Kreditprüfung und -überwachung. Erkenntnisse der Soziologie, der Psychologie und der Verhaltenswissenschaft beeinflußten die bankbetriebliche Lehre und Forschung im Marketing und der Personalführung ebenso wie im Kredit- und Anlagemanagement. Aufgrund der rapiden Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik und der Bedeutung des Produktionsfaktors "Information" im Bankbetrieb und Finanzwettbewerb erhielten die intensive Auseinandersetzung mit Erkenntnissen der Informatik ein besonderes Gewicht. - b) Neue Schwerpunkte: Wachstumsbestreben bei zunehmendem Wettbewerb führte zu einem ersten Schwerpunkt, dem Bankmarketing. Später entwickelte sich im Zuge der stärkeren Orientierung an Erträgen, Kosten und finanziellem Gleichgewicht das Bank-Controlling mit Steuerungssystemen, die wesentliche Auswirkungen auf die Führung und Organisation im Bankbetrieb haben.
Literatur: Büschgen, H. E., Bankbetriebslehre, 4. Aufl., Wiesbaden 1993; Breuer, W., Finanzintermediation und Wiederverhandlung, in: Kredit und Kapital, 27. Jg. (1994), Heft 2, S. 291-309; Deppe, H. D., Bankbetriebslehre, in: Grochla, E. (Hrsg.), Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, 4. Aufl., Stuttgart 1974, S. 402-418; Eilenberger, G., Zum Begriff der Bankbetriebslehre, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Heft 4, 1981, S. 183-186; Glow, G., Die Entwicklung der Bankbetriebslehre unter besonderer Berücksichtigung neuerer Forschungen in Deutschland und Österreich, Wien 1971; Grünewald, H. G., Die Entwicklung der Bankbetriebslehre in Deutschland, Düsseldorf 1963; Hagenmüller, K. F./Jacob, A. F., Der Bankbetrieb, Bd. 1-3, 5. Aufl., Wiesbaden 1987/8; Hein, M., Entwicklung und Stand der Bankbetriebslehre in Deutschland, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Heft 5, 1972, S. 197-202; Hübner, O., Die Banken, unveränderter Neudruck der Ausgabe Leipzig 1854, Frankfurt 1968; Kalveram, G., Bankbetriebslehre, 3. Aufl., Wiesbaden 1961; Krahnen, J. P., Finanzwirtschaftslehre zwischen Markt und Institution, in: Die Betriebswirtschaftslehre, 53 Jg., Heft 6, 1993; Marperger, P. J., Beschreibung der Banquen, Halle und Leipzig 1717; Mülhaupt, L., Ansatzpunkte für eine Theorie der Kreditbank, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Band 12, (1961), S. 132-143; Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen, hrsg. von Kloten/von Stein, 39. Aufl., Stuttgart 1993; Philipp, F., Wissenschaftstheoretische Kennzeichen der Besonderen Betriebswirtschaftslehren, Wiesbaden 1966; Prion, W., Lehre vom Bankbetrieb, in: Elster/Weber/Wieser (Hrsg. Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 4. Aufl., Jena 1924; Schierenbeck, H., Ertragsorientiertes Bankmanagement, 4. Aufl., Wiesbaden 1994; Schierenbeck, H./Hölscher, R., Bank-Assurance, 3. Aufl., Stuttgart 1993; Slevogt, H., Bankbetriebslehre oder Bankgeschäftslehre?, in: Österreichisches Bankarchiv, Heft 5, 1982, S. 167-179; Süchting, J., Bankmanagement, 3. Aufl., Stuttgart 1992; Wagner, A., Beiträge zur Lehre von den Banken, Leipzig 1857.

 

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