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Beschaffung

I. Begriff: Bezeichnung für die Versorgungsfunktion von Organisationen. Im Gegensatz zur Praxis, in der der Einkaufsbegriff synonym verwendet wird, hat sich in der Wissenschaft Beschaffung als Oberbegriff für die Subsysteme Einkauf (mit dem Ziel der Optimierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses) und Beschaffungslogistik (Ziel einer bedarfsgerechten, körperlichen Verfügbarkeit der Einsatzgüter) eingebürgert. Auch der Objektumfang der Beschaffung wird in Wissenschaft und Praxis uneinheitlich abgegrenzt. Während in der betriebswirtschaftlichen Literatur alle zur Erreichung des Sachzieles der Unternehmung erforderlichen Einsatzfaktoren (Material, Anlagegüter, Arbeitskräfte, Kapital, Dienstleistungen, Rechte, externe Informationen) als Beschaffungsobjekte diskutiert werden, konkretisiert sich die engere Begriffsinterpretation der Praxis in der Zuordnung von Material (Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Halbfabrikate, Handelsware) und Dienstleistungen als üblicher Objektumfang der Beschaffungsabteilung.
II. Ziele und Aufgaben: Die Ziele der Beschaffung leiten sich aus den Oberzielen der Unternehmung (Unternehmungsziele) ab und müssen so konkret formuliert sein, daß sich alternative Beschaffungshandlungen mit ihrer Hilfe bewerten lassen (Lieferantenbeurteilung). Dabei haben die folgenden drei Zielarten eine besondere Bedeutung: a) Qualitätsziele formulieren Anforderungen an die Funktionen, Haltbarkeit und Integrierbarkeit der Einsatzgüter. Durch den Einfluß, den die Qualität der Einsatzstoffe auf die erreichbare Qualität der Absatzprodukte und die Realisierbarkeit moderner Beschaffungsstrategien hat, ist die Bedeutung dieses Ziels in den letzten Jahren erheblich gewachsen. - b) Weiterhin sind Kostenziele bei Beschaffungsentscheidungen zu berücksichtigen, denn die Aufwendungen für Material und fremdbezogene Leistungen (1989 in der verarbeitenden Industrie 52,2% vom Umsatz) beeinflussen in großem Ausmaß das Erfolgsziel des Unternehmens. Als entscheidungsrelevante Kostenarten sind dabei alle Bezugskostenbestandteile (Güterpreis, Transport- und Lagerkosten, Zölle etc.) anzusehen, deren Höhe sich durch die jeweiligen Beschaffungsalternativen verändert. - c) Logistikziele sind aus zwei Gründen beschaffungsrelevant. Zum einen hängt die logistische Leistungsfähigkeit des Unternehmens in beträchtlichem Ausmaß vom Lieferservice seiner Zulieferer ab. Desweiteren erhöhen bestandsreduzierende Beschaffungsstrategien die Liquiditätsfreiräume von Unternehmen. - Zwischen den genannten Zielen liegen teilweise konfliktäre Beziehungen vor, die deren gleichzeitige Optimierung verhindern. Daher ist die Bildung einer Zielhierarchie unvermeidbar. Als Organisationsfunktion mit direkter Umweltschnittstelle hat die Beschaffung als abgeleitete Aufgabe auch für einen Interessenausgleich zwischen Lieferanten und internen Bedarfsträgern zu sorgen (nach Grochla "Management der Transaktionsprozesse").
III. Strategien: Die durch die Reduzierung der Fertigungstiefen, die starke Zunahme der Teileanzahl und die Globalisierung der Märkte zunehmende Komplexität der Beschaffungsaufgabe und der wettbewerbsbedingte Zwang zur Ausschöpfung vorhandener Rationalisierungspotentiale hat in der industriellen Praxis zur Entwicklung langfristig ausgerichteter Beschaffungsdispositionen geführt, von denen die folgenden vier eine besondere Beachtung erfahren haben: 1. Zwecks Ausnutzung lohnkostenbedingter Preisvorteile und/oder zur Erweiterung ihrer Lieferkapazitäten bei nationaler Angebotsenge globalisieren zahlreiche Unternehmen ihre Beschaffungsaktivitäten (global sourcing). Dabei müssen neben der Steigerung beschaffungslogistischer Kosten i. d. R. Qualitätsrisiken bei Erzeugnissen mit anspruchsvoller Fertigungstechnologie in Kauf genommen werden. Weiterhin führen die mit der Transportentfernung zunehmenden Inponderabilien dazu, daß sich global sourcing nur in Ausnahmefällen mit einer einsatzsynchronen (bzw. produktionssynchronen) Anlieferung (Just-in-time) vereinbaren läßt. - 2. Einsatzsynchrone Anlieferung (bzw. Just-in-time) ist der zweite beschaffungsstrategische Trend. Diese Beschaffungsstrategie strebt über mengenmäßig und zeitlich dem Produktionsablauf angepaßte Lieferungen die Verringerung der bestandsinduzierten Kapitalbindungs- und Lagerkosten an. Diese Wirkungen werden durch eine spürbare Verkürzung der Durchlaufzeiten des Materials verstärkt. Um dabei das Risiko fehlmengenbedingter Produktionsstillstände zu minimieren, ist sowohl eine hohe terminliche und qualitätsbezogene Zuverlässigkeit des Lieferanten als auch eine schnelle Informationsübermittlung relevanter Produktionsdaten unverzichtbar. - 3. Da die Realisierung der genannten Voraussetzungen mit nicht unerheblichen Investitionen verbunden ist, führt die einsatzsynchrone Beschaffung in der Praxis zur Ein- oder Zweiquellenversorgung (single bzw. double sourcing) mit langfristigen Verträgen (model life contract) und kooperativen Beziehungen. Aufgrund ihres hohen Wertanteils und der Vorhersagegenauigkeit des Verbrauchs sind AX-Materialien/Werkstücke (ABC-Analyse) für eine einsatzsynchrone Anlieferung besonders geeignet. - 4. Die technologie- und werkstoffbedingte Heterogenität des erforderlichen Entwicklungs- und Herstellungs-Know-how hat die vierte beschaffungsstrategische Option initiiert, bei der ganze Baugruppen und Komponenten von bewährten Lieferanten bezogen werden. Diese als modular bzw. system sourcing bekannte Beschaffungsstrategie ist durch die Fremdvergabe von Montagetätigkeiten an sog. Systemlieferanten (first tier supplier) gekennzeichnet, die als Generalunternehmer die Koordination der Material- und Teileströme zwischen ehemaligen direkten Zulieferern (second tier supplier) und dem Abnehmer eigenverantwortlich durchführen. Da die Module den Anforderungen einer einsatzsynchronen Beschaffung i. d. R. entsprechen, wird deren Anteil mit der Diffusion von modular sourcing wachsen.
IV. Instrumente: Zur Erfüllung der Beschaffungsaufgaben dient das beschaffungspolitische Instrumentarium. Dabei zielt die Beschaffungsmarktforschung auf die systematische Analyse von Beschaffungsmärkten zwecks Erkennung von Lieferkapazitäten. Mit Hilfe der Aktionsinstrumente der Beschaffungspolitik sollen die Konfliktpotentiale zwischen Lieferant und Abnehmer (materieller, finanzieller, raum-zeitlicher und rechtlicher Art) gehandhabt werden. Analog zum Absatzbereich werden folgende vier Instrumente unterschieden: 1. Die Produktpolitik bestimmt die art- und mengenmäßige Zusammensetzung sowie die zeitliche Verteilung der Nachfrage nach originären Einsatzgütern. Die artmäßige Konkretisierung bestimmt das Beschaffungssortiment, das mit dem Produktions- und Absatzprogramm abgestimmt werden muß. Eine besondere Bedeutung hat dabei die Entscheidung zwischen Eigenfertigung und Fremdbezug ("Make-or-buy"), durch die die Breite und Tiefe des Beschaffungsprogramms festgelegt wird. Die zeitliche Staffelung der Beschaffung hängt in erster Linie von den Bedarfsterminen der Fertigung bzw. der Kunden ab. Weiterhin spielen Spekulations- und Sicherheitsgründe eine Rolle, die sich in den dem gewählten Materialbereitstellungsprinzip (Vorratshaltung, Einzelbeschaffung im Bedarfsfall, einsatzsynchrone Anlieferung) niederschlagen. - 2. Die Beschaffungsbedingungen werden in der Preis- und Konditionenpolitik vereinbart. Während die Preispolitik die Bestimmung von Preiszonen und die Aushandlung konkreter Güterpreise (Güterpreis abzüglich Rabatte und Boni) beinhaltet, betreffen die Konditionen die Lieferungs- (Lieferservice) und Zahlungsbedingungen (Skonto, Zahlungsziel, Gerichtsort etc.). - 3. Die Kommunikationspolitik im Beschaffungsbereich gewinnt besonders in Engpaßsituationen (z. Beschaffung Ölkrise) an Bedeutung. Sie dient der Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zu aktuellen und potentiellen Lieferanten, was bei längerfristigen Lieferbeziehungen von großer Wichtigkeit ist. Zentrale Arten sind die Direktkommunikation, gezielte Maßnahmen der Lieferantenförderung (z. Beschaffung Schulungen) und die Mediawerbung. - 4. Mit der Bezugspolitik wird zum einen der physische Güterfluß vom Lieferanten zum Unternehmen (Beschaffungslogistik) und zum anderen der rechtliche Beschaffungsweg (direkt oder indirekt) gestaltet. Obwohl der rechtliche und physische Güterweg in der Regel zusammenfallen, empfiehlt sich aufgrund unterschiedlicher Beurteilungskriterien (z. Beschaffung bei verderblicher Ware) deren getrennte Analyse. - Die gegenseitige Beeinflussung der einzelnen Aktionsinstrumente macht deren abgestimmte Gestaltung zu einem zielorientierten Mix unumgänglich. - Vgl. auch Einkaufspolitik.
V. Beschaffung internationaler Unternehmen: Vgl. internationale Beschaffung.


Literatur: Arnold, U., Strategische Beschaffungspolitik. Steuerung und Kontrolle strategischer Beschaffungssubsysteme von Unternehmen, Frankfurt a. M., Bern 1982; Cavinato, J. L., Purchasing and Materials Management. Integrative Strategies, St. Paul 1984; Fieten, R., Integrierte Materialwirtschaft. Definition, Aufgaben, Tätigkeiten, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1986; Grochla, E./Schönbohm, P., Beschaffung in der Unternehmung. Einführung in eine umfassende Beschaffungslehre, Stuttgart 1980; Koppelmann, U., Beschaffungsmarketing - Überlegungen zum entscheidungsorientierten Beschaffungsverhalten, in: Gaugler, E./Meissner, H. G./Tom, N. (Hrsg.), Zukunftsaspekte der anwendungsorientierten Betriebswirtschaftslehre, Stuttgart 1985; Küpper, H.-U., Beschaffung, in: Vahlens Kompendium der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1, München 1984, S. 187-240; Leenders, M. R./Fearon, H. E./England, W. B., Purchasing and Materials Management, 8. Aufl., Homewood 1985; Theuer, G./Schiebel, W./Schäfer, R. (Hrsg.), Beschaffung - Ein Schwerpunkt der Unternehmensführung, Landsberg 1986; Troßmann, E., Beschaffung und Logistik, in: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Bd. 3: Leistungsprozeß, 5. Aufl., Stuttgart 1991, S. 7-68.

 

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