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Transaktionskostenökonomik

1. Begriff: In ihren Grundzügen von Williamson entwickelte und der Neuen Institutionenökonomik zugerechnete Forschungsrichtung. - a) Untersuchungsgegenstand: In der Transaktionskostenökonomik wird die Effizienz unterschiedlicher institutioneller Arrangements verglichen, in deren Rahmen wirtschaftliche Transaktionen abzuwickeln sind. Dabei sind bestimmte Eigenschaften der betrachteten Transaktionen von Bedeutung (für Williamson etwa ihre Häufigkeit und Unsicherheit sowie die Spezifität der erforderlichen Investitionen). Zentrales Kennzeichen der Transaktionskostenökonomik ist die Tatsache, daß sie die Kosten wirtschaftlicher Transaktionen expliziert, die als Reibungsverluste (Williamson) oder Betriebskosten des ökonomischen Systems (Arrow) zu verstehen sind. Vor Vertragsabschluß fallen Transaktionskosten insbes. in Form von Verhandlungs- und Informationskosten an (Informationen etwa über potentielle Vertragspartner, den Preis oder die Qualität von Gütern). Nach erfolgtem Vertragsabschluß entstehen Kosten für die Kontrolle der Vertragsbeziehung (z. B. für Qualitätskontrollen) und für die Anpassung an geänderte Konstellationen (z. B. bei einer Veränderung der Preise von Produktionsfaktoren). - b) Abgrenzung: Die technologisch orientierte neoklassische Theorie sieht von solchen Transaktionskosten ab und berücksichtigt lediglich Kosten, die technisch bedingt im Rahmen des Produktionsprozesses anfallen. Solange Gestaltung, Durchsetzung und Absicherung von Vertragsbeziehungen kostenlos sind, ist der Markt als Koordinationsinstrument für alle Arten von Transaktionen unschlagbar. Freilich versäumte es die Neoklassik, danach zu fragen, warum es unter solchen Umständen überhaupt Firmen gibt. Bezieht man die Kosten wirtschaftlicher Transaktionen hingegen in die Analyse mit ein, so wird deutlich, daß Transaktionsbeziehungen institutionell abgesichert werden müssen, z. B. durch langfristige Verträge oder vertikale Integration (transaction cost economies). - c) Ziel der Transaktionskostenökonomik ist es, alternative Formen der institutionellen Einbettung von Transaktionen zu untersuchen und auf ihre relative Effizienz zu prüfen. - 2. Annahmen: Charakteristisch für die Transaktionskostenökonomik sind zwei wesentliche Annahmen zum Verhalten der wirtschaftlichen Akteure. a) Begrenzte Rationalität: (1) Individuen sind nur begrenzt rational. Das heißt nicht, daß sie sich irrational verhielten. Jedoch ist ihre intellektuelle Kapazität begrenzt, und die erforderliche Information ist nicht ohne weiteres verfügbar (Informationsökonomik). (2) North geht in dieser Hinsicht noch weiter, indem er zwischen der realen Welt einerseits und dem subjektiven Bild andererseits unterscheidet, das sich die Akteure von der Welt machen. Beide können weit auseinanderfallen. Die Akteure richten ihre Operationen an dem subjektiven Bild aus, so daß ihre Handlungen an den Erfordernissen der Realität weit vorbeigehen können. (3) Oft sind Informationen in Überfülle vorhanden, und das Problem besteht darin, die jeweils relevanten Daten herauszufiltern (Simon). (4) Weil die Welt zu komplex ist, um vom menschlichen Verstand vollständig erfaßt zu werden, kommt es zu unvollständiger Information und zu Unsicherheit. Es ist deshalb nicht möglich, bei Vertragsverhandlungen alle Eventualitäten im voraus zu berücksichtigen. Verträge sind oft unvollständig und müssen laufend interpretiert und angepaßt werden. - b) Opportunismus: Opportunistisches Verhalten bedeutet das Verfolgen des Eigeninteresses ohne Anstand, also auch mit Arglist. Im Gegensatz zum neoklassischen Egoisten, der sich stets im Rahmen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der geschlossenen Vereinbarungen bewegt, wendet der Opportunist auch illegitime und illegale Methoden an. So verstößt er etwa gegen den Geist geschlossener Verträge, indem er auf dem Wortlaut besteht, der aber angesichts einer veränderten Umwelt nicht mehr den ursprünglichen Intentionen der Partner entspricht, oder er versteigt sich zur Kriminalität. Die Annahme des Opportunismus impliziert nicht, daß alle Wirtschaftssubjekte regelmäßig normwidrig handeln. Sie bezieht jedoch die Möglichkeit eines solchen Verhaltens explizit in die Analyse ein und prüft die Folgen. - 3. Kernaussagen: a) Bedeutung spezifischer Investitionen: Die begrenzte Rationalität wirtschaftlicher Akteure und die Möglichkeit opportunistischen Verhaltens eines Transaktionspartners macht in Verbindung mit spezifischen Investitionen eine institutionelle Flankierung von Transaktionen erforderlich (Klein/Crawford/Alchian). Die Spezifität von Investitionen führt dazu, daß ein Teil der Erträge des eingesetzten Kapitals nur zu erwirtschaften ist, wenn die Transaktionen auch ausgeführt werden, für deren Durchführung das Kapital gebunden wurde. Diesen Teil der Erträge nennt man die Quasirente des spezifischen Kapitals. Sie zeigt das Ausmaß der Abhängigkeit vom Wohlverhalten des Partners, das man aber aufgrund der Möglichkeit opportunistischen Mißbrauchs nicht einfach voraussetzen kann und das wegen der begrenzten Rationalität der Beteiligten auch nicht vertraglich festzuschreiben ist (Williamson). Gleichwohl sind spezifische Investitionen aus wirtschaftlichen Gründen häufig vorteilhaft, weil sich die Produktionskosten mit ihrer Hilfe im Vergleich zu generell einsetzbaren (also nicht spezifischen) Produktionsfaktoren reduzieren lassen. Allerdings wird man die dabei entstehenden Quasirenten durch geeignete institutionelle Formen vor opportunistischer Enteignung zu sichern suchen. - Wenn für die Ausführung von Transaktionen spezifisches Kapital nicht oder nur in geringem Maße benötigt wird, so spricht das für die marktmäßige Abwicklung. Economies of scale machen es dann sinnvoll, daß spezialisierte externe Anbieter durch Bündelung der Nachfrage die Kosten senken (market aggregation economics, Williamson); weiterhin lassen sich mit Hilfe von Marktbeziehungen Hierarchienachteile vermeiden, wie sie bei unternehmensinterner Koordination anfallen (Konzept der effizienten Firmengrenze). - b) Fallen demgegenüber die spezifischen Investitionen ins Gewicht, so empfiehlt sich eine institutionelle Einbindung der Transaktionsbeziehung. Dies kann etwa durch langfristige Verträge geschehen (z. B. durch Kooperationsverträge), die Schlichtungsvereinbarungen oder glaubhafte Zusicherungen enthalten. Im Falle sehr hoher transaktionsspezifischer Investitionen reicht das jedoch nicht aus. Eine vertikale Integration der sensitiven Transaktionen in die Unternehmenshierarchie ist folglich angezeigt. Welche Form der institutionellen Einbettung von Transaktionen gewählt wird, hängt allerdings nicht alleine von der Spezifität der Investitionen ab, sondern auch vom Ausmaß der Unsicherheit und der Häufigkeit der entsprechenden Transaktionen (Williamson). Je ausgeprägter die Unsicherheit und je größer die Häufigkeit, desto eher spricht das für eine institutionelle Absicherung. Neben den Polen der marktlichen und der hierarchischen Koordination stehen die hybriden Organisationsformen, die Elemente beider Koordinationstypen in sich vereinigen. In alternativer Betrachtung kann man plastische Produktionsfaktoren, die mit ausgeprägtem Ermessensspielraum auszustatten und deshalb vertraglich schwer festzulegen sind, als im Verhältnis zum Transaktionspartner zentral oder peripher positioniert interpretieren. Zentral positionierte Faktoren müssen vertikal integriert werden, während solche in peripherer Position selbständig bleiben sollten (Bonus). Die Qualität des eigenen Outputs kann von der eines zentral positionierten Faktorinputs nicht getrennt werden. Ein Beispiel ist die Tageszeitung, die ihre Funktion nur erfüllt, wenn sie zum Frühstück bereitliegt. Die Druckerei ist deshalb im Verhältnis zum Zeitungsverlag zentral positioniert und i. d. R. im Eigentum des Verlages. Demgegenüber ist die Qualität des eigenen Outputs von der eines peripher positionierten Inputs separabel. So kann ein Buchverlag mit verschiedenen Druckereien verhandeln und ein schlecht geratenes Ergebnis zurückweisen. Deshalb haben Buchverlage i. d. R. keine eigenen Druckereien, sondern kontrahieren über den Markt. - 4. Kritische Würdigung: a) Die Transaktionskostenökonomik konnte durch eingehende Studien zur vertikalen Integration einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Märkten, Firmenhierarchien und Hybridformen leisten. Die Analyse der Vor- und Nachteile hierarchischer Organisation trug zur Erhellung unterschiedlicher Organisationsstrukturen bei (z. B. des funktionalen und des divisionalen Organisationsaufbaus). - b) Durch die Veranschaulichung spezifischer Abhängigkeiten unter Transaktionspartnern konnte die Transaktionskostenökonomik die traditionelle Wettbewerbstheorie sinnvoll ergänzen. Beispielsweise kann im Rahmen der Transaktionskostenökonomik gezeigt werden, daß sich eine Wettbewerbssituation, die vor Vertragsabschluß durch eine Vielzahl von Anbietern gekennzeichnet ist, nach erfolgtem Abschluß in ein bilaterales Monopol verwandeln kann, wenn für die Vertragserfüllung spezifische Investitionen notwendig sind (fundamentale Transformation, Williamson). Eine Erweiterung der Wettbewerbstheorie ergab sich auch daraus, daß die Transaktionskostenökonomik Abweichungen vom neoklassischen Standardverhalten des Mengenanpassers bei vollständiger Konkurrenz alternativ deutet, indem sie diese nicht auf das Streben nach Marktmacht zurückführt, sondern vielmehr auf Effizienzstreben. Solche Abweichungen können die institutionelle Einbettung wirtschaftlicher Abhängigkeiten bezwecken. So stand die Kooperation von Unternehmen aus neoklassischer Perspektive stets im Verdacht, daß letztlich eine unzulässige Beschränkung des Wettbewerbs angestrebt werde. Im Rahmen der Transaktionskostenökonomik ist es dagegen möglich zu zeigen, daß Kooperationen bzw. hybride Organisationsformen (z. B. Franchising, Genossenschaften, Joint Ventures) geeignet sind, einerseits transaktionsspezifische Abhängigkeiten zu internalisieren und andererseits die Vorteile marktlicher Koordination zu nutzen. - c) Kritiker werfen der Transaktionskostenökonomik eine mangelnde Operationalisierbarkeit vor, da sich die Kosten wirtschaftlicher Transaktionen nicht eindeutig messen ließen. Jedoch ist es nicht das primäre Ziel der T., die absolute Höhe der Transaktionskosten bestimmter Organisationsformen zu ermitteln - obwohl empirische Schätzungen existieren. So haben Wallis und North berechnet, daß diejenigen Transaktionskosten, die über den Markt abgewickelt werden (z. B. der Aufwand für Banken und Rechtsanwälte), in den USA von 25 Prozent des Sozialprodukts vor hundert Jahren auf inzwischen 45 Prozent angestiegen sind. - d) Im Kern versteht sich die Transaktionskostenökonomik aber als vergleichende Analyse, welche die relative Effizienz alternativer Möglichkeiten der institutionellen Einbettung von Transaktionen ermitteln will. Die im Rahmen der Transaktionskostenökonomik entwickelten Hypothesen (beispielsweise das Vorkommen hybrider Organisationsformen, der Einsatz unterschiedlicher Organisationsstrukturen) sind empirisch nachprüfbar.


Literatur: Alchian, A. A. Specificity, Specialization, and Coalitions, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Vol. 140 (1984), S. 34-49; Bonus, H., The Cooperative Association as a Business Enterprise: A Study in the Economics of Transaction, in: Journal of Institutional and Theoretical Economics, Vol. 142 (1986), S. 310-339; Bonus, H., Illegitime Transaktionen, Abhängigkeit und institutioneller Schutz, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 32. Jahrgang (1987), S. 87-107; Coase, R. H., The Nature of the Firm, Economica 4, S. 386-405 (1937); Coase, R. H., The Problem of Social Cost, Journal of Law and Economics 3 (1960), S. 1-44; Coase, R. H., The Firm, the Market and the Law, Chicago/London (1988); Dietl, H., Institutionen und Zeit, Tübingen (1993); Klein, B., Crawford, R. G., Alchian, A., Vertical Integration, Appropriable Rents, and the Competitive Contracting Process, in: Journal of Law and Economics, Vol. 21 (1978), S. 297-326; Macneil, I. R., Contracts: Adjustments of long-term Ecomomic Relations Under Classical, Neoclassical and Relational Contract Law, in: Northwestern University Law Review, Vol. 72 (1978), S. 854-906; North, D. C., Institutions, Institutional Change and Economic Performance, Cambridge/New York u. a. 1990 (deutsch: Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung, Tübingen 1992); Simon, H. A., Models of Man, New York et al. 1957; Simon, H. A., Rationality in Psychology and Economics, in: Hogarth, R. M., Reder, M. W., (Hrsg.), The Behavioral Foundations of Economic Theory, Journal of Business (Supplement), 59 (1986); Wallis, J. J., North, D. C., Measuring the Transaction Sector in the American Economy, in: Engerman, S. L, Gallman, R. E., (Hrsg.), Long-Term Factors in American Economic Growth, Chicago (1986); Williamson, O. E., The Economic Institutions of Capitalism, New York et al., 1985 (deutsch: Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus, Tübingen 1990).

 

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