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Neue Politische Ökonomie

ökonomische Theorie der Politik, Public Choice.
I. Begriff: 1. Allgemein: Unter der Neue Politische Ökonomie P. Ö. versteht man die systematische Anwendung der ökonomischen Paradigmen des Rationalverhaltens und des Gleichgewichts auf die Sphäre des politischen Handelns. Dieses wird also mit dem gleichen Verhaltensmodell untersucht wie privates Handeln. Damit stellt sie sich bewußt gegen die traditionelle Wohlfahrtsökonomik, die staatliche Eingriffe in Marktstrukturen und Marktprozesse damit rechtfertigt, daß unbefriedigende Marktergebnisse (Marktversagen) im Hinblick auf Effizienz-, Verteilungsgerechtigkeits- oder Stabilisierungsziele korrigiert werden sollen. Im Rahmen dieser Theorie werden staatliche Handlungsträger typischerweise als dem Gemeinwohl verpflichtete Dikatoren modelliert: Politiker wollen das, was für die Bürger das Beste ist, und sie haben dabei vollkommene Handlungsfreiheit. - 2. Kritik: Beides sind unrealistische Idealvorstellungen, denen die Neue Politische Ökonomie P. Ö. eine positive, also erklärende Analyse politischen Handelns mit den folgenden Hauptelementen entgegensetzt: Erstens: Politiker haben eigene (selbstsüchtige) Ziele (z. B. Macht, Prestige, Geld, die Durchsetzung eigener politisch-ideologischer Vorstellungen). Zweitens: Sie können diese jedoch nicht unbegrenzt durchsetzen, da sie die demokratischen Spielregeln beachten und damit auf die Wähler Rücksicht nehmen müssen. Der wohlwollende Diktator wird also durch den egoistischen Demokraten ersetzt: Rationales Verhalten egoistischer Politiker und rationales Verhalten der Wähler bei ihrer Wahlentscheidung bilden die Grundlage der Neue Politische Ökonomie P. Ö., die das Ziel hat zu erklären, warum bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Zum einen wird also staatliches Handeln endogenisiert, zum anderen kann man anhand des oben skizzierten Wertesystems untersuchen, ob es ein dem Marktversagen vergleichbares Staatsversagen gibt. - 3. Innerhalb der Neue Politische Ökonomie P. Ö. kann man unterschiedliche theoretische Abstraktionsniveaus erkennen, je nach dem, in welchem Ausmaß reale Institutionen in die Analyse einbezogen werden. a) Auf der höchsten (abstraktesten) Ebene wird eine direkte Demokratie betrachtet, in der die Gesellschaftsmitglieder unmittelbar über einzelne Sachfragen abstimmen. In diesem Rahmen werden Eigenschaften von Abstimmungsregeln wie Mehrheits- und Einstimmigkeitsregel behandelt. Dabei spielen auch normative Fragen eine Rolle wie die, welche Abstimmungsregel die Präferenzen der Beteiligten am besten in einer Gruppenentscheidung abbildet. - b) Auf der nächsten Ebene werden Parteien und deren Repräsentanten als um die Machtausübung konkurrierende Institutionen und Individuen in die Analyse einbezogen, die bei periodisch abgehaltenen Wahlen mit Wahlprogrammen um die Stimmen der Wähler werben. In einem weiteren Schritt werden staatliche Ausführungsorgane (Behörden) und die dort Tätigen einbezogen, die u. a. auf die Formulierung der zur Abstimmung gestellten Alternativen einwirken und dabei ihre eigenen Ziele verfolgen, sowie Interessengruppen, die durch Tauschangebote oder Drohungen bei den Politikern eine Berücksichtigung ihrer Anliegen in Wahlprogrammen zu erreichen versuchen.
II. Historische Entwicklung : Frühe Wegbereiter der Neue Politische Ökonomie P. Ö. sind Marquis de Condorcet (1785) und C. L. Dodgson (1876), die die Möglichkeit des Auftretens zyklischer Mehrheiten (Condorcet-Paradoxon) bei Abstimmungen in kleinen Gruppen entdeckten, und J. C. de Borda (1781), der die Rangsummenregel (Borda-Regel) als zur Mehrheitsregel alternativen Abstimmungsmodus vorschlug. Diese Arbeiten wurden von D. Black (1958) systematisiert. Als weitere bahnbrechende Werke der jüngeren Neue Politische Ökonomie P. Ö. gelten die Arbeiten von K. Arrow (1951), der die generelle Unmöglichkeit widerspruchsfreier nicht-diktatorischer Verfahren für Gruppenentscheidungen aufzeigte, A. Downs (1957), der das räumliche Wettbewerbsmodell von H. Hotelling (1929) für die Analyse des Wettbewerbs zwischen Parteien fruchtbar machte, J. M. Buchanan und G. Tullock (1962), die die Wahl von Abstimmungsregeln durch rational handelnde Bürger auf der Ebene der Verfassungsgebung untersuchten, und M. Olson (1965), der den Einfluß organisierbarer Partikularinteressen auf den politischen Prozeß aufzeigte. - Mit den 1965 gegründeten Papers on Non-Market Decision Making (später: Public Choice) hat diese Forschungsrichtung ihre erste Spezial-Zeitschrift gefunden, der später weitere folgten (European Journal for Political Economy, Economics and Politics und Constitutional Political Economy).
III. Zentrale Ergebnisse: 1. Theorie der direkten Demokratie: a) Begriff: Dieser Zweig der Neue Politische Ökonomie P. Ö. beschäftigt sich mit den Eigenschaften von Abstimmungsregeln in (kleinen) Gruppen. Insbes. sucht man Regeln, die erstens demokratischen Prinzipien entsprechen, zweitens widerspruchsfreie Entscheidungen der Gruppe ermöglichen, drittens aus der Sicht der Teilnehmer befriedigende Ergebnisse versprechen und viertens ihnen Anreize zu einer Offenbarung der wahren Präferenzen geben. - b) Die ideale Abstimmungsregel: (1) Das zentrale Ergebnis dieser Forschungsrichtung, das Unmöglichkeitstheorem von Arrow, enthält eine negative Aussage: Es kann keine Regel geben, die eine Reihe von Minimalforderungen erfüllt und gleichzeitig immer transitive Gruppenpräferenzen generiert, gleichgültig wie die Präferenzen der Gruppenmitglieder sind. (2) Auswege aus diesem Dilemma sind in drei Richtungen gesucht worden: (a) Einschränkende Annahmen über die Präferenzen der Mitglieder, die eine Intransivität der Gruppenpräferenzen für bestimmte Abstimmungsregeln (siehe c)) verhindern, sind entweder unplausibel oder wenig handlich. (b) Verzicht auf volle Rationalität der Gruppe in Form der Transitivität der Gruppenpräferenzen; Ersetzung durch die Forderung, daß die Gruppe immer eine beste Alternative findet. Dieser von A. K. Sen vorgeschlagene Ausweg läßt z. B. die erweiterte Pareto-Regel zu. Diese ist allerdings durch häufige Indifferenz gekennzeichnet. (c) Die Forderung der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen hat das schwächste ethische Fundament und erscheint daher am ehesten verzichtbar. Damit werden Regeln wie die Borda-Regel zulässig. Der Preis dieses Verzichts ist eine größere Anfälligkeit gegen strategisches Abstimmungsverhalten (Gibbard-Satterthwaite-Theorem). - Als mögliche Konsequenz aus diesen negativen Resultaten bietet sich die Analyse der Stärken und Schwächen einzelner nicht-idealer Entscheidungsregeln an. Dabei wird die Betrachtung zunächst auf die Menge der binären Abstimmungsregeln beschränkt. - c) Optimale binäre Abstimmungsregeln. Die Mehrheitsregel: (1) Einfache Mehrheitsregel: Unter allen Regeln zur Auswahl zwischen zwei Alternativen ragt die einfache Mehrheitsregel in zweierlei Hinsicht heraus: Erstens: Sie erfüllt als einzige eine Reihe weithin geteilter Normen demokratischen Vorgehens (Anonymität, Neutralität, positive Reaktion und eine abgeschwächte Form der Universalitätsbedingung aus dem Unmöglichkeitstheorem von Arrow). Zweitens: Aus der Perspektive eines repräsentativen Teilnehmers auf der Ebene der Verfassungsberatung, der unter dem Schleier der Ungewißheit über die eigenen zukünftigen Interessen verschiedene Abstimmungsregeln beurteilt, minimiert sie unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen den Erwartungswert der Nachteile des Überstimmtwerdens (Rae-Taylor-Theorem). Unter allgemeineren Voraussetzungen können auch andere Quorum-Regeln kostenminimierend sein (Buchanan, Tullock, 1962). (2) Probleme ergeben sich dagegen, wenn es mehr als zwei Alternativen gibt und die paarweisen Vergleiche in einem Meta-Abstimmungsverfahren zu einer Auswahl aus der gesamten Alternativenmenge aggregiert werden sollen. (a) Tritt hierbei das Condorcet-Paradoxon auf, so droht eine endlose Folge von Wahlgängen, die nur dadurch vermieden werden kann, daß jede Alternative nur einmal in das Abstimmungsverfahren eingebracht werden darf und unterlegene Alternativen ein für allemal ausscheiden. Dadurch hängt das Endergebnis jedoch von der Reihenfolge der Abstimmung ab, wodurch der Geschäftsordnung eine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. (b) Ein weiterer Nachteil der Mehrheitsregel wird in der Gefahr der Ausbeutung und Unterdrückung der Minderheit gesehen. Hat die Minderheit intensivere Präferenzen als die Mehrheit, so kann es dadurch insgesamt zu Wohlfahrtsverlusten kommen. Stimmt ein Gremium jedoch regelmäßig über verschiedene Angelegenheiten ab, so lassen sich Präferenzintensitäten durch Vereinbarungen über ein Logrolling ausdrücken und diese Wohlfahrtsverluste vermindern. - d) Weitere Abstimmungsregeln: Neuere, von Theoretikern der Neue Politische Ökonomie P. Ö. vorgeschlagene Regeln wie die Veto-Abstimmungsregel, die Zustimmungsregel oder der Clarke-Groves-Mechanismus haben günstige Eigenschaften hinsichtlich der Anreize zur Offenbarung der wahren Präferenzen, sind jedoch in der Durchführung aufwendig und haben sich deshalb in der Praxis (noch) nicht durchgesetzt. - 2. Theorie der indirekten Demokratie: a) Räumliche Modelle des Parteienwettbewerbs: (1) Begriff: Dogmenhistorisch haben räumliche Modelle der Parteienkonkurrenz ihre Wurzel in H. Hotellings Analyse der Wahl des Standorts von Firmen in einem Modell des homogenen Oligopols. (2) Annahmen: Im Fall zweier Parteien werden die folgenden Annahmen getroffen: (a) Der Raum möglicher Parteiprogramme läßt sich durch ein endliches Intervall darstellen. Beispielsweise kann der Inhalt der Politik die Versorgung mit einem einzigen öffentlichen Gut sein. Dabei werden Parteien nach der angebotenen Menge des Gutes von rechts nach links auf dem Intervall angeordnet. Einzige Finanzierungsquelle ist eine proportionale Einkommensteuer. (b) Zu Beginn der Periode findet eine Wahl statt, bei der beide Parteien gleichzeitig ihre Programme vorlegen, d. h. Menge des Kollektivguts und Steuersatz nennen. Bei Einhaltung der staatlichen Budgetrestriktion entspricht jedes Programm einem Punkt des Politik-Intervalls. (c) Der Akt des Wählens ist ebenso wie die Information über die angebotenen Wahlprogramme kostenlos, und jeder Wahlberechtigte beteiligt sich an der Wahl. (d) Jeder Wähler i (i = 1, . . ., n) besitzt einen Optimalpunkt in dem Politik-Intervall. Seine Nutzenkurve ist eingipflig, so daß er von zwei Programmen, die in derselben Richtung von seinem Optimum abweichen, das nähere vorzieht. Die Parteien sind vollständig über die Wählerpräferenzen informiert. (e) Über die Ziele der Parteien kann man unterschiedliche Annahmen treffen: Maximierung der Stimmenzahl, Maximierung der Steuermittel, die nicht zum Kauf des Kollektivguts verwendet, sondern privat angeeignet werden und ideologische Ziele, z. B. Maximierung bzw. Minimierung der Kollektivgutversorgung unter der Nebenbedingung, die Wahl zu gewinnen. (3) Ein politisches Gleichgewicht (i. S. v. Cournot/Nash) ist eine Situation, in der keine der beiden Parteien - bei gegebenem Programm der anderen Partei - durch Abänderung ihres Programms ihre Ziele noch besser erreichen könnte. Unabhängig von den in Annahme (e) aufgeführten Ziele der Parteien liegt das Gleichgewicht im Zwei-Parteien-System bei einer völligen Übereinstimmung beider Wahlprogramme im Optimum des Medianwählers. (4) Empirisch scheint sich diese Prognose in einigen Ländern relativ gut zu bestätigen, wie etwa in den USA; auf der anderen Seite beobachten wir in Großbritannien, wo man von einer Abart des Zwei-Parteien-Systems sprechen kann, relativ klare Divergenzen zwischen den beiden stärksten Parteien bzgl. der wichtigsten Felder der Politik. Für dieses Phänomen liefert die Neue Politische Ökonomie P. Ö. verschiedene Erklärungen. Erstens wird es den Parteiführungen durch ideologisch kompromißlose Mitglieder oder Geldgeber verwehrt, mit dem Wahlprogramm zu weit von den Parteizielen abzurücken; zweitens ist die Wahrung der ideologischen Identität ein Ziel an sich, das gegen das eines Wahlsiegs abgewogen wird; drittens zwingt der drohende Eintritt einer dritten Partei in den Wettbewerb die beiden etablierten Parteien, die Ränder des Wählerspektrums mit abzudecken; viertens wird das gleiche dadurch erzwungen, daß Wähler mit extremen Präferenzen der Wahl fernbleiben, wenn ihre Ziele in den Wahlprogrammen der Parteien zu stark vernachlässigt werden. - b) Das Wahlparadoxon: Die Annahme rationalen Wählerverhaltens sollte sich nicht nur auf die Stimmabgabe für eine bestimmte Partei, sondern auch auf die Wahlbeteiligung als solche erstrecken und führt dort zu einem offensichtlichen Wahlparadoxon. Diese ist nämlich nur dann rational, wenn die Kosten des Wählens (Informations-, Zeit- und Wegekosten) geringer sind als der erwartete Nutzen. Dieser setzt sich zusammen aus der Wahrscheinlichkeit, mit der eigenen Stimme die Wahl zu entscheiden, und dem Nutzenzuwachs daraus, daß die präferierte Partei die Wahl gewinnt. Die erstgenannte Größe ist jedoch in Massengesellschaften extrem klein, die zweite ist im politischen Gleichgewicht sogar null. Die hohen Wahlbeteiligungen der Realität von meist über 50% (USA), vielfach sogar 80% (Deutschland) stehen dazu im Widerspruch. Zahlreiche Lösungsmöglichkeiten wurden in der Literatur diskutiert, darunter die Motivation über eine staatsbürgerliche Verpflichtung. Neuere empirische Arbeiten zeigen immerhin, daß die Prognose eines knappen Wahlausgangs die Wahlbeteiligung i. a. erhöht. - c) Einflüsse von Interessengruppen und Behörden: Hebt man die Annahme der vollständigen Information der Parteien über die Wählerpräferenzen und der Wähler über die Parteiprogramme auf, so ergeben sich zusätzliche Einflußmöglichkeiten für organisierte Interessengruppen und staatliche Ausführungsorgane. (1) Einflüsse von Interessenverbänden: Interessenverbände nutzen drei verschiedene Kanäle zur Beeinflussung von Politikern aus: erstens die Vergabe von Spenden an Parteien, die diese Mittel zur Finanzierung ihrer Wahlkämpfe benötigen; zweitens die Weitergabe von (einseitig zu ihren Gunsten gefilterten) Informationen; drittens die Androhung von Zwangsmaßnahmen wie Streik oder Abbau von Arbeitsplätzen, für deren Folgen die (uninformierten) Wähler die Politiker verantwortlich machen würden. - Ein Ausgleich gegensätzlicher Interessen findet insoweit nicht statt, als die betreffenden Gruppen unterschiedlich organisationsfähig sind (Olson, 1965). Der Organisierbarkeit dienlich sind, sofern die Mitgliedschaft nicht erzwungen werden kann, eine relativ geringe Anzahl von Mitgliedern und eine hohe Intensität des Interesses jedes einzelnen Mitglieds an dem jeweiligen Gruppenziel. Dadurch sind Interessen von Produzenten (Unternehmern, Arbeitnehmern) gegenüber denen von Konsumenten erheblich im Vorteil. (2) Einflüsse staatlicher Ausführungsorgane: Das Verhalten staatlicher Behörden wird von der ökonomischen Theorie der Bürokratie erklärt. Da Behörden (im statischen Modell) zum Budgetausgleich verpflichtet sind, haben sie kein Gewinnziel. Dagegen streben sie die Maximierung ihres Budgets bzw. ihrer Mitarbeiterzahl an, da von deren Höhe das Prestige, die Machtfülle und oft auch das Einkommen der Behördenleiter abhängt. Konsequenzen ergeben sich daraus für das Angebot staatlich produzierter Güter, das gegenüber privater Produktion zu hoch ausfällt und zu arbeitsintensiv hergestellt wird. Des weiteren nutzt die Ministerialbürokratie ihren Informationsvorsprung gegenüber den Politikern auch bei der Formulierung politischer Themen aus: Diese werden so gestellt, daß das zu erwartende politische Gleichgewicht mit einem möglichst großen Staatsanteil am Sozialprodukt verbunden ist. - 3. Wirtschaftspolitik in der Demokratie: Die dargestellten allgemeinen Zusammenhänge haben Konsequenzen für die Erklärung und Prognose typischer Maßnahmen demokratisch legitimierter Regierungen auf konkreten Politikfeldern. (a) Wettbewerbspolitik und sonstige Eingriffe in Märkte: (1) Wettbewerbspolitik: Die strukturelle Überlegenheit von Produzenten- über Konsumenteninteressen erklärt, warum der Staat zahlreiche Wettbewerbsbeschränkungen nicht nur duldet (Krisenkartelle, Ministerfusion), sondern sogar künstlich durch seine Lizenzvergabe errichtet (z. B. Taxis, Gesundheitsberufe). Damit werden vor allem (gut organisierte) Insider gegenüber Outsidern geschützt. Besonders populär ist die selektive Abschottung heimischer Märkte gegenüber ausländischer Konkurrenz (Agrarprodukte, Kohle, Stahl), da die negativ betroffenen ausländischen Produzenten im Inland kein Stimmrecht besitzen und daher als Wähler nicht interessant sind. Wohlfahrtsverluste ergeben sich hierbei nicht nur durch die Wettbewerbsbeschränkungen selbst, sondern auch dadurch, daß im Vorfeld einer politischen Entscheidung die potentiellen Nutznießer Lobbytätigkeit betreiben, um in den Genuß dieser politisch geschaffenen Renten zu kommen (Rent-Seeking). (2) Weitere Instrumentarien der Regulierung von Märkten neben der Wettbewerbspolitik sind vor allem Höchst- und Mindestpreise. Mindestpreise nützen, wenn sie mit einer staatlichen Abnahmegarantie verbunden sind, den Produzenten, und sind vor allem im Agrarsektor anzutreffen (Agrarpolitik). Höchstpreise führen zu einer Verknappung des Gutes und damit zu einer nicht-preislichen Rationierung, dienen aber den Konsumenten, die dabei zum Zuge kommen. Diese Form der Regulierung ist vor allem auf dem Wohnungsmarkt anzutreffen, wo es die Regierung mit einem aufgrund der Intensität des Mieterinteresses wohlorganisierten Mieter-Verband zu tun hat. - b) Staatsfinanzen und Sozialversicherung: Der wachsende Staatsanteil in entwickelten Demokratien äußerst sich auch darin, daß zahlreiche Güter, die nicht den Charakter von Kollektivgütern haben, vom Staat bereitgestellt und aus Steuermitteln finanziert werden. Neben den Interessen der Bürokratie wird dies aus der Sicht der Neue Politische Ökonomie P. Ö. auch damit erklärt, daß mit der Steuerfinanzierung eine Umverteilung des Einkommens von den Reichen zu den Armen verbunden ist. Diese ist mehrheitsfähig, da in typischen Einkommensverteilungen der Mittelwert beträchtlich über dem Median liegt und somit über die Hälfte der Wähler von ihr profitieren. Eine weitere Tendenz in der Finanzpolitik demokratisch gewählter Regierungen ist der immer stärkere Griff zum Mittel der Staatsverschuldung zur Finanzierung laufender Ausgaben. Dies erklärt sich nach Auffassung der Neue Politische Ökonomie P. Ö. durch die Organisationsvorteile gegenwärtig lebender Generationen gegenüber zukünftigen. Die gleiche Begründung trifft auch für umlagefinanzierte Systeme der Sozialversicherung zu: Insbes. in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung findet ein impliziter Transfer von den jungen, erwerbstätigen, zu den alten, im Ruhestand befindlichen Generationen statt. Die Kompensation der heutigen Erwerbstätigen kann nur durch die zukünftigen Generationen geleistet werden, die sich heute nicht an der Wahlurne dagegen wehren können. - c) Staatliche Konjunktursteuerung: (1) Begriff: Im Gefolge der keynesianischen Revolution der 60er Jahre sehen viele Regierungen es als ihre Aufgabe an, konjunkturelle Schwankungen des Sozialprodukts, des Beschäftigungsniveaus und des Preisniveaus durch Einsatz von geld- und fiskalpolitischen Instrumenten zu dämpfen. Die Idee von der Steuerbarkeit gesamtwirtschaftlicher Größen durch diskretionäre Maßnahmen wird nicht nur von seiten des Monetarismus bezweifelt. Zusätzliche Skepsis nährt die Überlegung der Neue Politische Ökonomie P. Ö., daß die staatliche Globalsteuerung nicht von einem wohlwollenden Diktator betrieben wird, sondern von Politikern, die sich einer periodischen Wiederwahl stellen müssen. (2) Modell: Das auf W. Nordhaus (1975) zurückgehende Modell des politischen Konjunkturzyklus basiert auf der Annahme eines kurzfristigen trade offs zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenquote (Phillips-Kurve, Lucas-Angebotsfunktion). Haben die Wähler ein relativ kurzes Gedächtnis und adaptive Inflationserwartungen, so lohnt es sich für die Regierung, kurz vor einem Wahltermin eine expansive Politik zu betreiben, um die Arbeitslosigkeit zu senken, da die Inflationskosten dieser Maßnahme erst verzögert eintreten. In einem Nicht-Wahljahr hat die Regierung nun einen Anreiz, durch eine restriktive Politik die Inflationserwartungen zu dämpfen und einen günstigeren trade off für das nachfolgende Wahljahr zu erreichen. In der Konsequenz werden somit bei adaptiven Erwartungen die Konjunkturschwankungen durch die staatliche Wirtschaftspolitik verstärkt oder gar hervorgerufen. Bei rationalen Erwartungen gelingt es dagegen nicht, die Inflationserwartungen der Wähler ständig zu täuschen; in einem langfristigen Gleichgewicht wird jedoch - bei gleicher Arbeitslosenquote - eine höhere Inflationsrate generiert, als sie ein wohlwollender Diktator realisieren würde. Eine Erklärung für dennoch verbleibende Konjunkturschwankungen liefert im Rahmen der Neue Politische Ökonomie P. Ö. die rational-partisan-theory, derzufolge im Wechsel der Regierungsparteien unterschiedliche Wählergruppen bevorzugt werden: von konservativen Parteien die Vermögensbesitzer, die eine starke Inflationsabneigung haben, aber nur ein geringes oder gar kein Arbeitslosigkeitsrisiko; von sozialdemokratischen Parteien die organisierten Arbeitnehmer, deren Interesse genau entgegengesetzt sind. Im Unterschied zu den zuvor skizzierten Modellen sagt die Partisan-Theory voraus, daß die Länge der politisch verursachten Konjunkturzyklen nicht in jedem Fall gleich groß ist und genau der Länge einer Wahlperiode entspricht, sondern jeweils davon abhängt, wie oft eine Regierungspartei im Amt bestätigt wird.


Literatur: Arrow, K. J., Social Choice and Individual Values, New York 1951; Bernholz, P., Breyer, F., Grundlagen der Politischen Ökonomie, 3. Aufl., Band 2: Ökonomische Theorie der Politik, Tübingen 1994; Black, D., The Theory of Comittees and Elections, Cambridge 1958; de Borda, J. C., Mémoire sur les Elections au Scrutin, Histoire des l'Académie Royale des Sciences, 1781; Buchanan, J. M., Tullock, G., The Calculus of Consent, Ann Arbor 1962; Marquis de Condorcet, Essai sur l'Application de l'Analyse à la Probabilité des Décisions Rendues à la Pluralité des Voix, Paris 1785; Dodgson, C. L., A Method of Taking Votes on More than Two Issues, Oxford 1876, abgedruckt in: Black (1958), S. 224-234; Downs, A., An Economic Theory of Democracy, New York 1957; Frey, B. S., Kirchgäßner, G., Demokratische Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., München 1994; Hotelling, H., Stability in Competition, Economic Journal 39 (1929), 41-57; Mueller, D. C., Public Choice II, Cambridge 1989; Nordhaus, W. D., The Political Business Cycle, Review of Economic Studies 42 (1975), 1969-90; Olson, M., The Logic of Collective Action, Cambridge 1965.

 

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