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Erbschaftsteuer

analog Schenkungsteuer.
I. Grundsätzliches: Vgl. Erbschaftsbesteuerung.
II. Rechtsgrundlagen: Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) vom 19. 2. 1991 (BGBl I 468) m. spät. Änd.; Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung (ErbStDV) vom 19. 1. 1962 (BGBl I 22), geändert durch Erbschaftsteuerreformgesetz vom 17. 4. 1974 (BGBl I 933) und Einigungsvertrag vom 31. 8. 1990 (BGBl II 889, 986). Für die neuen Bundesländer greift das ErbStG erst für Erwerbe nach dem 31. 12. 1990.
III. Steuergegenstand (§ 1 ErbStG): Erbschaftsteuer besteuert den Übergang von Vermögenswerten a) durch Erbfall auf den Erben, b) durch Schenkung unter Lebenden c) durch Zweckzuwendungen; d) der Erbschaftsteuer unterliegt außerdem das Vermögen einer Familienstiftung (sog. Erbersatzsteuer, Stiftung IV).
IV. Steuerpflicht (§ 2 ErbStG): 1. Unbeschränkte Steuerpflicht, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit seiner Schenkung oder der Erwerber zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (vgl. V) Inländer ist; der gesamte Vermögensanfall ist steuerpflichtig, abgesehen von Vermögensgegenständen bzw. Nutzungsrechten an diesen, die auf das Währungsgebiet der Mark der DDR entfallen und für die Steuer vor dem 1. 7. 1990 entstanden wäre (§ 37 IV ErbStG). - 2. Beschränkte Steuerpflicht, wenn Erblasser, Schenker und Erwerber nicht Inländer sind; die Steuerpflicht erstreckt sich auf das Inlandsvermögen i. S. d. § 121 BewG und auf das Nutzungsrecht an solchen Vermögensgegenständen. - 3. Erweiterte beschränkte Steuerpflicht (§ 4 AStG): Erfüllt der Erblasser oder Schenker die entsprechenden Voraussetzungen, unterliegen ihr alle Vermögensgegenstände, deren Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i. S. d. § 34 c I EStG wären.
V. Steuerschuldner (§ 20 I, II ErbStG): Regelmäßig der Erwerber; bei einer Schenkung zusammen mit dem Schenker, bei einer Zweckzuwendung zusammen mit demjenigen, der die Zuwendung ausführen muß, als Gesamtschuldner. Die Erbersatzsteuer schuldet die Stiftung bzw. der Verein. - Darüber hinaus ist in bestimmten Fällen eine dingliche oder personenbezogene Haftung vorgesehen (§ 20 III - VII ErbStG). - Die Steuerschuld entsteht a) beim Erwerb von Todes wegen mit dem Tode des Erblasser, b) bei Schenkungen unter Lebenden mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung, c) bei Zweckzuwendungen mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Verpflichtung beim Beschwerten und d) beim Vermögen einer Familienstiftung in Zeitabständen von je 30 Jahren seit dem Zeitpunkt des ersten Übergangs von Vermögen auf die Stiftung oder den Verein.
VI. Steuerberechnung: 1. Bemessungsgrundlage (§ 10 ErbStG) ist der Wert des Erwerbs (bewertet nach dem Bewertungsgesetz (BewG); § 12 ErbStG). Erwerbe, die innerhalb von zehn Jahren von denselben Personen angefallen sind, sind zu addieren; die mehrfache Inanspruchnahme von Freibeträgen (vgl. VII) soll somit erschwert werden (§ 14 ErbStG). - 2. Nach dem persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser bzw. Schenker werden vier Steuerklassen unterschieden: Steuerklasse I: Ehegatte, Kinder, Stiefkinder, Kinder verstorbener Kinder und Stiefkinder. Steuerklasse II: Abkömmlinge der in Steuerklasse I genannten Kinder, soweit sie nicht zu Steuerklasse I gehören; bei Erwerb von Todes wegen Eltern und Voreltern. Steuerklasse III: Eltern und Voreltern bei Schenkungen unter Lebenden; Geschwister, Schwiegerkinder, Schwiegereltern und geschiedene Ehegatten. Steuerklasse IV: alle übrigen Erwerber und Zweckzuwendungen. - 3. Die Höhe der Erbschaftsteuer ergibt sich bei Anwendung der folgenden Steuersätze (§ 19 ErbStG): Gegebenenfalls sind Progressionsvorbehalt oder Wertstufenregelung des § 19 III ErbStG zu beachten. - 4. Zukünftige Entwicklung: Nach der Rechtsprechung des BVerfG bedarf die ErbSt ab Ende 1996 einer Reform, ohne die ihre Verfassungsmäßigkeit in Frage stehen würde (Einheitswerte).
VII. Steuerbefreiungen: 1. Sachliche Befreiungen: a) Hausrat, Kunstgegenstände, Sammlungen beim Erwerb durch Personen der Steuerklasse I oder II bis 40 000 DM, der übrigen Steuerklassen bis 1 000 DM; b) andere bewegliche körperliche Gegenstände beim Erwerb durch Personen der Steuerklasse I oder II bis 5 000 DM, der übrigen Steuerklassen bis 2 000 DM, soweit es sich nicht um Gegenstände des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens, des Grundvermögens oder des Betriebsvermögens, um Zahlungsmittel, Wertpapiere, Münzen, Edelmetalle, Edelsteine oder Perlen handelt; c) Grundbesitz oder Teile von Grundbesitz, Kunstgegenstände, Kunstsammlungen, wissenschaftliche Sammlungen, Bibliotheken und Archive mit 60% oder 100% ihres Wertes unter bestimmten Voraussetzungen; d) weitere Befreiungen vgl. § 13 ErbStG. - 2. Persönliche Freibeträge (§ 16 ErbStG): a) Bei uneingeschränkter Steuerpflicht der Erwerb (1) des Ehegatten in Höhe von 250 000 DM, (2) der übrigen Personen der Steuerklasse I in Höhe von 90 000 DM, (3) der Personen der Steuerklasse II in Höhe von 50 000 DM, (4) der Personen der Steuerklasse III in Höhe von 10 000 DM, (5) der Personen der Steuerklasse IV in Höhe von 3 000 DM. - b) Bei beschränkter Steuerpflicht: 2 000 DM. - 3. Zusätzlich besondere Versorgungsfreibeträge (§ 17 ErbStG): Beim Erwerb von Todes wegen hat der überlebende Ehegatte einen Versorgungsfreibetrag von 250 000 DM, die überlebenden Kinder einen nach Alter gestaffelten Betrag von 50 000 DM bis 10 000 DM; dieser ist um den nach BewG ermittelten Kapitalwert der aus Anlaß des Todes des Erblassers dem Erben gewährten, nicht der Erbschaftsteuer unterliegenden Versorgungsbezüge zu kürzen. Außerdem vermindert sich der Kindern gewährte Freibetrag, wenn der steuerpflichtige Erwerb unter Berücksichtigung früherer Erwerbe 150 000 DM übersteigt, um den übersteigenden Betrag. - 4. Der Erbschaftsteuer unterliegt nicht der Betrag, den der überlebende Ehegatte bei güterrechtlicher Abwicklung der Zugewinngemeinschaft (§ 1371 II BGB) als Ausgleichsforderung geltend machen kann (§ 5 ErbStG). - Vgl. auch eheliches Güterrecht.
VIII. Verfahren: Für erbschaftsteuerpflichtige Vorgänge (vgl. III und VII) besteht Anzeigepflicht. Die Abgabe einer Steuererklärung oder eine Selbstveranlagung (diese umfaßt die Selbstberechnung und die Entrichtung der E.) kann verlangt werden; damit wird dem zuständigen Finanzamt die Festsetzung eines Steuerbescheides ermöglicht. Gem. herrschender Praxis wird die Erbschaftsteuer einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheides fällig. (§ 31 ErbStG).
IX. Finanzwissenschaftliche Beurteilung: 1. Frühere Begründungen (Fundustheorie, Chancengleichheit, arbeitsloses Einkommen ("Neidsteuer"), Vermögens- und Rechtsschutzgebühr etc.) gelten heute als widersprüchlich und überholt. Heute gilt ererbtes Vermögen als Indikator der Leistungsfähigkeit. - 2. Die für die Realisierung des Leistungsfähigkeitsprinzips notwendige Voraussetzung einer umfassenden Bemessungsgrundlage ist nicht erfüllt, da sich alle Ungleichheiten des Bewertungsgesetzes im Erbgang wiederfinden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies zuletzt in seinem Urteil vom 22. 6. 1995 beanstandet (2 BvR 552/91). - 3. Als Ausdruck der Leistungsfähigkeitsbesteuerung gilt der progressive Tarif: a) Innerhalb jeder Steuerklasse steigen die Grenzsteuersätze. - b) Mit abnehmender Verwandschaftsnähe zum Erblasser höhere Steuersätze in den Steuerklassen können jedoch nicht mit zunehmender Leistungsfähigkeit erklärt werden. - 4. Ziele: a) Verteilung der Steuer nach der Leistungsfähigkeit: ihr dient der recht hohe Freibetrag des Ehegatten mit entlastender Wirkung und die steile Progression mit belastender Wirkung. - b) Das Umverteilungsziel wäre überzeugender, wenn eine Zweckbindung der Erbschaftsteuer vorgesehen wäre, jedoch würde das bisher noch geringe Aufkommen keine wesentliche Umverteilung herbeiführen. - 5. Allokative Ziele und Wirkungen können in der Höhe des o. a. Freibetrages gesehen werden, die der Erhaltung der Vermögenssubstanz dienen. - 6. Steuersystematik: a) Die im Erbanfall sich ausdrückende gestiegene Leistungsfähigkeit hat keinen Ausdruck im Einkommensbegriff nach der Reinvermögenszugangstheorie (Einkommen) gefunden, vielmehr wurde eine eigene Steuer eingerichtet; dadurch wird eine besonders hohe Progressionsbelastung im Jahr des Erbanfalls vermieden. - b) Wenngleich die Erbschaftsteuer steuertechnisch als Verkehrsteuer konstruiert ist, ist sie gem. der Bemessungsgrundlage eine Substanzsteuer. - c) Im Jahr des Erbanfalls kommt es zu einer Zweifachbelastung des Vermögens mit Erbschaftsteuer und Vermögensteuer, sofern das Vermögen am Jahresende noch vorhanden ist. - d) steuerliche Beziehungslehre: Die Erbschaftsteuer gilt als eine (fragwürdige) Kontroll- (oder Nachhol-)Steuer der Einkommensteuer für jene, die Einkommensteuer hinterzogen haben.
X. Betriebswirtschaftliche Beurteilung: Wegen der starken und insbes. nicht zeitlich exakt vorhersehbaren Liquiditäts- und Substanzbelastung stellt die Erbschaftsteuer insbes. für Personenunternehmungen eine gravierende Belastung dar, die zur Existenzbedrohung werden kann. In diesen Fällen Stundung gem. § 28 ErbStG möglich, aber nur für sieben Jahre. Frühzeitige Planungen zur Minimierung der Erbschaftsteuer sind daher unumgänglich, z. B. mehrmalige Ausnutzung von Freibeträgen und Progressionsminderung durch wiederholte Schenkungen im Zehn-Jahres-Abstand, vorweggenommene Erbfolge, Optimierung der Vermögensstruktur unter bewertungsrechtlichen Gesichtspunkten etc. Wegen anstehendem Generationswechsel in vielen Unternehmungen nimmt die Bedeutung der Problematik weiter zu. (Zeichen dafür ist die Verdoppelung des Steueraufkommens seit 1985.)
XI. EG-rechtliche Beurteilung: Durch das Nebeneinander von beschränkter und unbeschränkter ErbSt-Pflicht können sich Doppelbesteuerungen ergeben, die den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr hemmen. Diese Effekte beeinträchtigen die vom EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten, insbes. die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit. Die Mitgliedstaaten sind zu Verhandlungen über die Beseitigung dieser Doppelbesteuerungseffekte nach Art. 220 EGV verpflichtet; gleichwohl hat die Bundesrep. D. bisher nur mit einigen wenigen Staaten Doppelbesteuerungsabkommen für das Gebiet der Erbschaftsteuer geschlossen. Auch eine Harmonisierung der Erbschaftsteuern (EG-Richtlinien) ist bisher nicht angestrebt und auch für die Zukunft nicht wahrscheinlich. EU-Bürger können jedoch immerhin gegen krasse Benachteiligung von Auslandsinvestitionen, die nicht auf mangelnde Harmonisierung, sondern auf das Fehlverhalten eines einzigen Mitgliedstaates zurückgehen, Rechtsschutz vor dem Europäischen Gerichtshof erlangen (analog: Harmonisierung der direkten Steuern in der EG VI 2). Denkbar ist das z. B. mit Bezug darauf, daß ein erbschaftsteuerlicher Freibetrag nur für Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften gewährt wird (Diskriminierung ausländischer Gesellschaften, Behinderung der Kapitalverkehrsfreiheit).
XII. Aufkommen: 1995: 3 548,5 Mio. DM (1990: 3021 Mio. DM, 1985: 1512 Mio. DM, 1981: 1092 Mio. DM, 1977: 896 Mio. DM, 1971: 508 Mio. DM, 1968: 345 Mio. DM, 1961: 242,2 Mio. DM, 1952: 51,0 Mio. DM).

 

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