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Weimarer Republik (1918-1933)

I. Grundzüge des Wirtschaftssystems: Das deutsche Wirtschaftssystem in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts war durch marktwirtschaftliche Grundbedingungen und Privateigentum charakterisiert. Die in öffentlichem Eigentum befindlichen Unternehmen behielten ihre in Deutschland traditionell starke Stellung bei (Anteil am Nettosozialprodukt 1925 rund 20%). Grundsätzlich überließ der Staat den wirtschaftenden Einheiten die Gestaltung des Miteinanders. Nach den Erfahrungen mit sehr starken Bundesstaaten während des Kaiserreichs und mit zentralistischen Entwicklungen während der Kriegszeit gab sich die Weimarer Republik eine Verfassung, in der die zentralen Instanzen die 18 Bundesstaaten weitgehend dominierten. - Ein wichtiges Element der Entwicklung des Wirtschaftssystems und Ausdruck der Weiterentwicklung der Laissez-faire-Wirtschaft des 19. Jahrhunderts waren die wirtschaftspolitischen Ansätze gegen die zunehmende Kartellierung der deutschen Wirtschaft, speziell der Industrie. Im Ersten Kartellgesetz wurde 1923 vom Gesetzgeber deutlich gemacht, daß die Zusammenarbeit zwischen formal unabhängigen und miteinander in Konkurrenz stehenden Unternehmen nicht länger als grundsätzlich unbedenklich anzusehen sei, wie dies noch 1897 durch das oberste Reichsgericht und 1906 durch den Kartell-Enqueteausschuß geschehen war. Das Kartellgesetz, das Kartelle grundsätzlich zuließ, forderte neben formalen Kriterien - wie Schriftform und jederzeitige Kündigungsmöglichkeit der Vereinbarung - die Einrichtung einer Kartellaufsichtsbehörde und eines Kartellgerichts, die bei Gefährdung des Gemeinwohls oder der Gesamtwirtschaft durch ein Kartell einzuschreiten hatten. Dennoch stieg die Kartellierungsquote, gemessen am durch Kartelle erzeugten Anteil an der volkswirtschaftlichen Nettoproduktion, von 21% in 1907 über rund 40% in der zweiten Hälfte der 20er Jahre bis auf 52% im Zeitraum 1935/37 an. In einzelnen Wirtschaftsbereichen lag die Kartellierungsquote sogar noch darüber, so z. B. im Bergbau mit 95%. - Die in den vorangegangenen Jahrzehnten erreichten sozialen Einrichtungen bildeten zu Beginn der 20er Jahre ein System, das neben den Elementen der Sozialversicherung (1883: Krankenversicherung; 1884: Unfallversicherung; 1889: Invaliditäts- und Altersversicherung) auch deren sukzessive Ausgestaltung und die Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt umfaßt: 1891 waren der Arbeits- und Lohnschutz sowie Arbeitszeitregelungen und das Berufsausbildungsrecht verbessert, 1903 die Unterstützung im Krankheitsfall von 13 auf 26 Wochen ausgedehnt worden und 1911 die Angestelltenversicherung in Kraft getreten. Im selben Jahr waren alle Elemente der Sozialgesetzgebung in der Reichsversicherungsordnung zusammengefaßt worden. 1918 wurden der Achtstundentag und das Tarifwesen gesetzlich verankert. - Als erstes Element der Mitbestimmung wurde 1920 das Betriebsrätegesetz erlassen, das die in Artikel 165 der Weimarer Verfassung vorgesehene Mitbestimmung für Gewerkschaften und Räte realisierte. In Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten mußte ein Betriebsrat gebildet werden, in Betrieben mit fünf bis 19 Beschäftigten konnten Betriebsobmänner bestellt werden. Die Beteiligung der Arbeitnehmer an der wirtschaftlichen Macht sollte dabei zum einen der Heranführung auch innerbetrieblicher Strukturen an demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse und zum anderen der Beschränkung der alleinigen Verfügungsgewalt der Eigentümer von Produktionsmitteln bei Fragen in Zusammenhang mit Lohnhöhe und -struktur, Arbeitsplätzen, Einstellungen und Entlassungen sowie bei der Realisierung von technischem Fortschritt dienen.
II. Reparationen: Das Ende des Ersten Weltkriegs ging in Deutschland einher mit der Ablösung des Kaiserreichs durch die Republik. Die erste Nationalversammlung wurde 1919 aus Sicherheitsgründen statt in die Reichshauptstadt Berlin nach Weimar einberufen, das sowohl der hier diskutierten und verabschiedeten Verfassung als auch der ersten deutschen Republik den Namen gab. Die Epoche der Weimarer Republik bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde maßgeblich von Reparationsverpflichtungen und Inflation als direkter und eher indirekter Kriegsfolge bestimmt. - Durch ein System entsprechend ausgestalteter Friedensverträge forderten die Siegermächte mit Ausnahme der USA von den besiegten Ländern (Österreich, Ungarn, Bulgarien, Türkei, Deutschland) Entschädigungen und Tribute in Form von Gebietsabtretungen, Sach- und Geldleistungen. Deutschland mußte darüber hinaus im nach dem Verhandlungsort so bezeichneten Versailler Vertrag, der am 28. Juni 1919 nach einem Ultimatum der Siegermächte von der deutschen Regierung unterzeichnet werden mußte, generell die Kriegsschuld und damit die Verantwortung für alle den Siegermächten entstandenen Kosten und Schäden auf sich nehmen. Neben Gebieten im Umfang von etwa 14% seiner Fläche von 1914, die an Nachbarländer abgetreten werden mußten und die für Deutschland überproportionale Einbußen an Ernteerträgen, insbes. bei Kartoffeln und Getreide, und an Rohstoffvorkommen, insbes. an Eisen- und Zinkerz sowie Steinkohle, bedeuteten, wurden auch sämtliche Kolonien an den Völkerbund übertragen. Unter alliierter Überwachung sollte Deutschland bis auf kleine Kontingente der einzelnen Truppenteile demilitarisiert werden. - Wichtiger Bestandteil des Versailler Vertrages war die Verpflichtung Deutschlands zur Leistung von Reparationen, deren Festlegung nach Art, Umfang und Verteilung auf die Siegermächte der alliierten Reparationskommission übertragen wurde. Außer Sachleistungen, wie der weitgehenden Überlassung der Handelsflotte und der Überseekabel sowie Lieferverpflichtungen für Rohstoffe (z. B. Kohle, Holz) und Produkte (z. B. Farbstoffe, Pharmaka), waren umfangreiche Geldleistungen zu erbringen, die zu einem großen Teil von den Empfängerländern wiederum zur Bedienung ihrer Schulden bei den USA eingesetzt werden sollten (interalliierte Verschuldung). Die Leistung von Reparationen als Vermögensübertragung ohne Gegenleistung impliziert das Aufbringungsproblem, im Falle von Geldleistungen außerdem das Transferproblem. Die Aufbringung bedeutete volkswirtschaftlich Kaufkraftentzug, i. d. R. durch zusätzliche steuerliche Belastung. Die Verantwortlichen in dem erst neu errichteten demokratischen, also von der Wählergunst abhängigen System, dessen Wirtschaft zudem durch Krieg und Kriegsfolgen geschwächt war, brachten die Reparationsleistungen nur zum Teil durch entsprechende Belastung der Binnenwirtschaft auf, zum Teil wurden sie durch Kreditaufnahme im Ausland finanziert. Dies ging zu Lasten der Binnenwirtschaft. Doch auch in den Empfängerländern können Reparationen zu sozialen Konflikten führen, da ausländische Produkte auf den Inlandsmarkt strömen, dort heimische Waren verdrängen und somit Arbeitsplätze gefährden können. - Die Einsetzung eines für den Transfer der Reparationen und die Überwachung ihrer korrekten, d. h. durch tatsächlichen Kaufkraftentzug erzielten Aufbringung zuständigen Reparationsagenten im Jahre 1924 sowie die ebenfalls in diesem Jahre durchgeführte Währungsreform machten Deutschland zu einem Schuldnerland guter Bonität. Die Anlage war besonders für ausländische Kapitalanleger attraktiv, da durch die permanente Kapitalknappheit die Zinssätze in Deutschland signifikant über dem internationalen Niveau lagen. Der entsprechende Zustrom von ausländischem Kapital erleichterte die Kreditfinanzierung der Reparationen und damit die Umgehung der mit der Aufbringung national und international verbundenen Probleme, darüber hinaus auch die Bereitstellung der für den Transfer der Reparationen erforderlichen Devisen. Mehrere Jahre lang gelang es der deutschen Regierung zu verschleiern, daß die erforderlichen Beträge zu einem Großteil nicht durch Kaufkraftabschöpfung, sondern durch Kredite aufgebracht wurden. - Als in der Folge des Börsenkrachs 1929 in den USA die ausländischen Kredite kurzfristig zurückgezogen wurden, konnte Deutschland trotz der 1930 eingerichteten und für den Transfer der Reparationen vorgesehenen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel seinen Verpflichtungen nicht länger nachkommen. Die voranschreitende Weltwirtschaftskrise machte die Erfüllung der Reparationsverpflichtungen gänzlich unmöglich, so daß 1931 eine einjährige Einstellung der Zahlungen und der Bedienung der interalliierten Schulden vereinbart wurde (Hoover-Moratorium). 1932 wurde auf der Lausanner Konferenz die verbleibende Reparationsschuld Deutschlands auf 3 Mrd. Goldmark festgesetzt, die jedoch von den nachfolgenden deutschen Regierungen nicht beglichen wurde. Die bis zum 30. Juni 1931 geleisteten Reparationen wurden von deutschen Stellen einerseits und der alliierten Reparationskommission andererseits mit erheblich differierenden Werten angesetzt: Aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Sichtweisen und monetärer Bewertungen stehen den von der alliierten Reparationskommission anerkannten Leistungen im Wert von 21 Mrd. Reichsmark Reparationen über 68 Mrd. Reichsmark gegenüber, die Deutschland erbracht haben will.
III. Inflation: Inflation läßt sich als Prozeß allgemeiner Steigerung der Preise, also des in Geldeinheiten ausgedrückten nominalen Wertes von Gütern und Dienstleistungen, bzw. als Prozeß sinkenden Geldwertes kennzeichnen. Da der inflationäre Prozeß i. d. R. die relativen Preise beeinflußt und ihre Veränderungen verschleiert, kann die realwirtschaftlich richtige Allokation der Ressourcen beeinträchtigt werden. - Seit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 hatte in Deutschland die 1873 eingeführte Mark binnen- und außenwirtschaftlich erheblich an Wert verloren. Der wesentliche Grund dafür ist in der unproduktiven Verwendung wachsender Teile des Sozialprodukts für Kriegsmaterial bei gleichzeitiger Ausweitung der Geldmenge zu sehen. Die deutschen Kriegskosten betrugen 164 Mrd. Mark, von denen nur 6% durch entsprechende Abgaben aufgebracht wurden, dagegen 35% durch kurzfristige und 59% durch langfristige Staatsverschuldung. Die langfristige Kreditaufnahme erfolgte vor allem durch den Verkauf von Kriegsanleihen an Private, die kurzfristige Verschuldung durch die Überlassung von Staatspapieren an die Reichsbank, die im Gegenzug Mark zur Verfügung stellte (Notenpresse). Zu diesem Zweck waren durch das Kriegsnotgesetz von 1914 Reichsschatzwechsel und Reichsschatzanweisungen zur Zweidritteldeckung (ursprünglich ausschließlich gute Handelswechsel) und Darlehnskassenscheine zur Dritteldeckung (ursprünglich ausschließlich Gold, Goldmünzen und Reichskassenscheine) der Reichsbank zugelassen worden. Die letztgenannten Papiere wurden von bestimmten öffentlich-rechtlichen Institutionen gegen Lombardierung geeigneter Werte an Private ausgegeben. Beiderlei Papiere hatten Kassenkurs, d. h. sie wurden von öffentlichen Kassen zur Begleichung von Verbindlichkeiten angenommen, waren jedoch keine gesetzlichen Zahlungsmittel mit allgemeinem Annahmezwang und mit für den Schuldner befreiender Wirkung. Zwischen 1914 und 1918 sank im Deutschen Reich das Volkseinkommen von 46 auf 42 Mrd. Mark (in Preisen von 1913), während der Notenumlauf auf das Siebeneinhalbfache seines Ausgangswertes anstieg. In diesem Zeitraum halbierte sich der Binnenwert der Mark (gemessen an den Kosten der Lebenshaltung), ihr Außenwert fiel auf ein Drittel (gegenüber dem US-Dollar). - Auch nach Beendigung des Ersten Weltkrieges mußte der deutsche Staat enorme Beträge zur Bewältigung der Kriegsfolgelasten aufwenden: Demobilisierung der Streitkräfte, Kriegsopferversorgung, Besatzungskosten, Behebung unmittelbarer Kriegssachschäden, Reparationsleistungen, Schuldendienst für Kriegskredite. Die Finanzierung der dazu erforderlichen Beträge durch Steuern und Abgaben erwies sich angesichts der Umstrukturierung des deutschen Staats- und Finanzwesens als nicht durchführbar; die Staatsverschuldung nahm von 149 Mrd. Mark Ende 1918 über 260 Mrd. Mark Ende 1920 auf 1886 Mrd. Mark Ende 1922 zu. Zwischen 1919 und 1922 stieg die jährliche Inflationsrate von 70% auf 2420%, der Außenwert der Mark sank von 13,5 auf 420 Mark je US-Dollar. Gleichzeitig wuchs der Notenumlauf auf 770 Mrd. Mark. - Da Deutschland bei der Lieferung von Holz und Kohle zur Erfüllung seiner Reparationen in Verzug gekommen war, besetzten Frankreich und Belgien im Januar 1923 das Ruhrgebiet. Der daraufhin von der deutschen Regierung angeordnete passive Widerstand belastete den Reichshaushalt zusätzlich, der wiederum durch Kreditaufnahme bei der Reichsbank ausgeglichen wurde. 1923 wurde zum Jahr der Hyperinflation in Deutschland: Der Preisindex der Lebenshaltung erhöhte sich von 1 auf 1 Mrd., der Preis eines US-Dollars stieg von 17.972 Mark auf 4 200 Milliarden Mark, der Notenumlauf wuchs von 2 Billionen auf 608 000 Trillionen Mark.
IV. Währungsreform: Spätestens 1923 verlor das deutsche Währungssystem seine Funktionstüchtigkeit und die Mark die Akzeptanz bei der Bevölkerung, so daß zahlreiche Überlegungen zur Währungsreform angestellt wurden. Sie umfaßten alle die Rückkehr zur traditionellen Notendeckung durch Gold, Devisen und Handelswechsel und die Unterbindung des unbegrenzten staatlichen Zugriffs auf die Notenpresse. Die Verantwortlichen entschieden sich für ein Zweiphasenmodell: a) Durch die Rentenbank-Verordnung vom 15. Oktober 1923 wurde die Rentenbank mit dem Recht zur Notenemission gegründet; die Reichsbank blieb bestehen, durfte jedoch keine Staatspapiere mehr hereinnehmen und keine Noten mehr emittieren. Die in Mark umlaufende Geldmenge wurde nicht weiter ausgedehnt. Als Deckung des von der Rentenbank auszugebenden Geldes sollte das Grundvermögen der deutschen Wirtschaft und Landwirtschaft dienen, die per Gesetz mit einer Grundschuld über jeweils 1,6 Mrd. Goldmark belegt wurden, die mit 6% zu verzinsen war. Über diese Grundschuld wurden sog. Rentenbankbriefe zu jeweils 500 Goldmark ausgestellt, die die Rentenbank als Aktiva erhielt. Jeder Besitzer von Rentenmark hatte das Recht, das neue Geld in Rentenbankbriefe einzutauschen und somit gegen Papiergeld verzinsliche und wertbeständige, da in Gold definierte und auf Grund und Boden lautende Wertpapiere zu erwerben. Die Rentenmark wurde wie die Goldmark definiert, ihr Wertverhältnis auf 1 Billion Mark festgelegt; sie erhielt Kassenkurs. Regierung und Wirtschaft wurden jeweils 1,2 Mrd. Rentenmark zur Verfügung gestellt. Durch massive Eindämmung der Ausgaben und Erzielung zusätzlicher Einnahmen gelang es, den Staatshaushalt ohne weitere Kredite auszugleichen. Die Stabilisierung der Währung war erfolgreich: Über die doppelte Fiktion "Sicherung durch Grundbesitz" und "Koppelung an Gold" gelang das "Wunder der Rentenmark". Durch die feste Koppelung der Mark an die Rentenmark konnte auch die Umlaufgeschwindigkeit der inflationären Währung herabgesetzt werden, die weiterhin alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel blieb. b) Im Sommer 1924 wurde die Währungsreform durch eine Reihe von Gesetzen vollendet. Der Rentenbank wurde ihr Emissionsrecht wieder entzogen, während die Reichsbank das neue gesetzliche Zahlungsmittel Reichsmark (RM) gegen eine Deckung von Gold, Devisen und guten Handelswechseln ausgeben konnte. Kredite an öffentliche Körperschaften wurden plafondiert. Die Reichsmark wurde - wie ursprünglich auch die Mark - auf den Wert von rund 0,36 Gramm Gold definiert und mit einer Rentenmark gleichgesetzt, die bis Juni 1925 ihre Gültigkeit behielt. Der Außenwert der Reichsmark wurde auf 4,2 zu einem US-Dollar fixiert. Um die am meisten durch die Inflation geschädigten Personen, die Besitzer von Geldforderungen auf Mark, nach der Währungsreform wenigstens ansatzweise zu entschädigen, wurden Mark-Forderungen in Form von Hypotheken und Anleihen privater und öffentlicher Schuldner mit differenzierten Sätzen aufgewertet (Lastenausgleich).
V. Arbeitslosigkeit: In den USA ereignete sich am sog. Schwarzen Freitag, dem 24. Oktober 1929, ein Börsenkrach mit Kursstürzen insbes. kreditfinanzierter, spekulativ überteuerter Aktien. Dieser Kursrückgang bis dahin nicht gekannten Ausmaßes hatte zahlreiche Konkurse, Massenarbeitslosigkeit und das Abgleiten der gesamten amerikanischen Wirtschaft in eine bis Mitte der 30er Jahre dauernde Depression zur Folge. Der bereits seit der amerikanischen Schutzzollgesetzgebung ab 1922 nur noch beschränkt zugängliche US-Markt fiel daraufhin auch für deutsche Exporteure weitgehend aus. Dies bedeutete neben den unmittelbaren beschäftigungspolitischen Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft auch, daß die Erwirtschaftung der für die Reparationszahlungen erforderlichen Devisen erschwert wurde. - Die deutsche Wirtschaft wurde außer mit dem Ausfall internationaler Märkte auch mit den Folgen einer eskalierenden Bankenkrise in Deutschland konfrontiert. Durch die Währungsreform war die Eigenkapitalausstattung auch der Kreditinstitute nachhaltig reduziert worden, so daß bei der eingeschränkten Sparfähigkeit und Sparwilligkeit der deutschen Bevölkerung das boomende Aktivgeschäft weitgehend kreditfinanziert werden mußte. Während die Refinanzierung bei der Reichsbank aufgrund der restriktiven Geldpolitik nur in geringem Umfang möglich war, gelang es infolge des hohen deutschen Zinsniveaus, umfangreiche ausländische Kredite insbes. aus den USA hereinzunehmen (Stand 1929: 38,2 Mrd. RM, davon 26 Mrd. RM kurzfristig). - Dieses Kapital wurde seit 1928 und verstärkt nach dem Börsenkrach abgezogen. Die daraus resultierende Refinanzierungslücke wurde aufgrund der engen Verflechtungen im Bankenbereich akut, als im Mai 1931 in Österreich durch den politisch bedingten Abzug von französischem Kapital eine allgemeine Bankenkrise ausgelöst wurde. In Deutschland mußten im Juli 1931 die Schalterschließung der Kreditinstitute angeordnet und eine Reorganisation zahlreicher Banken mit Übernahme von Aktien durch den Staat durchgeführt werden. - Die Zahl der Arbeitslosen wuchs dramatisch: Winter 1928/29: 3,0 Mio.; Winter 1930/31: 4,4 Mio.; Winter 1931/32: 5,7 Mio.; Winter 1932/33: 6,1 Mio. zuzüglich rund 1 Mio. nicht registrierte Arbeitslose. Damit hatte jeder dritte Arbeitnehmer keinen Arbeitsplatz. Das Ausmaß der Wirtschaftskrise wird auch durch die Entwicklung der Indizes von Industrieproduktion und Volkseinkommen (in Klammern) deutlich: 1928: 100 (100); 1929: 100 (99); 1930: 86 (91); 1931: 68 (74); 1932: 59 (59); 1933: 66 (60). - Die deutschen Regierungen unter Brüning (ab 30. 3. 1930) betrieben in Einklang mit den vorherrschenden zeitgenössischen Vorstellungen zur Wirtschaftstheorie eine deflationäre Politik. Nach der Senkung der Vergütungen im öffentlichen Dienst und der Sozialausgaben im Sommer 1931 folgte im Dezember 1931 die allgemeine Senkung von Preisen, Löhnen, Mieten und Zinsen. Der Großhandelspreisindex für Produktionsgüter sank von 1929 bis 1932 um 15%, für Konsumgüter um 32%. Es wurde unmöglich, die Reparationsverpflichtungen zu erfüllen, so daß es nach mehreren Konferenzen gelang, die Reparationen zunächst ein Jahr lang auszusetzen (Hoover-Moratorium, 20. Juni 1931) und dann auf eine Restsumme von 3 Mrd. Goldmark zu begrenzen (Konferenz von Lausanne, 9. Juli 1932). - Erst im Herbst 1932 leiteten die Regierungen von Papen (ab 1. 6. 1932) und von Schleicher (ab 4. 12. 1932) durch die Vergabe von öffentlichen Arbeiten und die Prämierung von Neueinstellungen eine antizyklische Politik ein. Durch die Einführung von Steuergutscheinen und die Einrichtung bzw. Zulassung von Institutionen, die "einfache" und auch Finanzwechsel zu rediskontfähigen Papieren machten und damit Geldschöpfung trotz restriktiver Zentralbankgesetzgebung ermöglichten (Akzept- und Garantiebank 1931, Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeit ÖffA 1932, Deutsche Bau- und Bodenbank 1923, Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt 1923), schufen die letzten Regierungen der Weimarer Republik die Voraussetzung für eine staatliche Konjunkturpolitik unter dem Einsatz von deficit spending. Es wurden Aufträge für öffentliche Arbeiten im Umfang von 800 Mio. RM vergeben, Steueranrechnungsscheine (Steuergutschriften) im Wert von 2 Mrd. RM für betriebliche Maßnahmen zur Verfügung gestellt sowie 700 Mio. RM als Prämien für die Neueinstellung von Arbeitnehmern bereitgestellt. Durch diese Maßnahmen wurde der Umschwung in der konjunkturellen Entwicklung Deutschlands eingeleitet, von dem das demokratische Regierungssystem jedoch nicht mehr profitierte.

 

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